Ein bisschen Bums

Appetizer Auch in seinen Büchern gibt sich TV-Star-Koch Tim Maelzer gern mit etwas weniger zufrieden

Der arme Zander. Das Schwarzbrot, das gedankenlos auf ihm gehäufelt wurde, hat er nicht verdient. Der Seeteufel hingegen hatte mehr Glück; das bunte Allerlei aus Morcheln, Muscheln und Lasagne fügt sich zu einer gelungenen Kombination. So weit könnte es mit diesen Kochbüchern sein wie mit allen: Ansprechendes findet sich neben Gerichten, die die Gratwanderung zwischen Originalität und Konvention nicht überstanden haben.

Seit Jamie Oliver in England Sozialarbeit und Kochen kombinierte, ist Bewegung in die Szene gekommen. Buch- und Fernsehmarkt werden nicht mehr von den Platzhirschen dominiert wie dem spießigen Lafer. (An dieser Stelle nichts gegen den großartigen Vinzent Klink, dessen Kochen geeignet ist, für kurze Momente mit dieser Welt zu versöhnen.) Oliver beschäftigt nicht nur in seinem Restaurant "Fifteen" arbeitslose Jugendliche, die ausgebildet und mit einer Berufsperspektive versehen werden. Als "Naked Chef", der die Kunst des Kochens wieder auf einfachen Grund stellen will, nämlich auf das Duo Zutaten und Zubereitung, scheint er stilbildend geworden zu sein.

Der Hamburger Tim Mälzer folgte ihm nach, ähnlich erfolgreich im TV und auf dem Buchmarkt. Born to Cook, cool kochen mit Tim Mälzer steht so locker wie nichts sagend auf dem Cover. Dann folgt die Feststellung: Kochen: "Es gibt einfach nichts Schöneres." Dieser Unsinn macht misstrauisch. Was so authentisch inszeniert ist und Enthusiasmus vor sich her trägt, muss etwas zu verbergen haben. Aus anderen Branchen ist gegenwärtig Vergleichbares bekannt, in der Literatur etwa der passionierte Lesefundamentalismus von Elke Heidenreich: Nicht Lesen ist doof. Oder im Fußball die Gewissheit, dass deutsches Fußballspielen bundestraineroffiziell eine ganz tolle Sache ist, der sich wohl niemand verschließen wird. Auch der Schröder könnte einem einfallen mit seinen Geldjobs: das macht soviel Spaß, da kann man nicht genug von bekommen. Bleibt die Frage des Warum, die, obschon meist ersetzt durch den Enthusiasmus des jeweiligen Betreibers, dennoch nicht unter den Tisch fallen sollte.

Genaueres Nachdenken oder Nachfragen ist unerwünscht und out, authentisch sein reicht, und das auch in dieser Küche, denn der Feind ist schnell identifiziert. Traditionell wird Nachdenken in der kulinarischen Kunst mit Verfeinerung und der französischen Küche gleichgesetzt. Hinter permanenten Seitenhieben auf schwer zu handhabende Instrumente, die Beschaffung seltener Zutaten und übertriebene Perfektion ist bei Maelzer schnell die Haute-Cuisine zu entdecken. Ein wenig Unernst ist dabei, aber nicht soviel, dass die Untiefen des "Stilvollen Verarmens", der Aldi-Kochbücher und ähnlicher Barbareien erreicht würden. Nachdem sich die Toskanafraktion mit den Sterneköchen angefreundet hatte, gibt es für die Nachrücker Abgrenzungsbedarf.

Mälzers Kochsendungen haben etwas WG-haftes. Nun könnte man sagen, Studenten mag sein Schaffen etwas bringen. Vom Toast Hawai bis zum Filet Wellington findet hier eine Einführung in die Standards einer leicht gehobenen Küche statt, die der künftige Akademiker früher oder später entdecken wird. Üblicherweise kommt im Studium die Frage, ob Adorno oder Luhmann, Struktur oder Ereignis, vor der Wahl zwischen Rib-Eye-Steak oder Lammschulter, und es gibt keinen Grund, das zu kritisieren. Danach, sagen wir im Frankreichurlaub, kommt dann die Haute-Cuisine zu ihrem Recht. Warum sollten eine gute Theorie und eine gute Küche unproduktive Widersprüche sein? Wer jedoch wie Tim Mälzer kocht, liest auch Ulrich Beck, den bekannten Freizeitsoziologen für jedermann. Überall scheint gegenwärtig Ulrich Beck zu sein, selbst im Kochtopf. Okay, das ist ein wenig ungerecht, Tim Mälzer ist freundlich, er gibt zuweilen ein ziemliches Geschwafel von sich, aber liefert gleichwohl Nützliches. Und dennoch läuft alles auf eine Feier des Mittleren heraus, mit dem wir uns in Ermangelung des Besseren begnügen sollen. Die "vereinfachte Variante" vom Filet Wellington, der Thai-Suppe oder der Crème Brulées (Ingwer?) ist eben etwas anderes als das Original.

Auch fehlt der Alkohol. Selbst das alte Küchen-Schlachtross Biolek kannte den Anfang eines jeden guten Rezeptes: Man nehme ein gutes Glas Wein und schütte es in den Koch. Unvergessen ist auch Baudelaire, der voller Empörung Brillat-Savarins Kochbuch rezensierte und bereits anmerkte, dass Menschen, die keinen Wein trinken oder ihn in Büchern wie diesen missachten, etwas zu verbergen haben.

In dieser Gesellschaft wird viel zuwenig nachgedacht. Überall, auch beim Essen. In einem beachtlichen Backlash wird Unbildung organisiert, im Bildungssystem, in der Küche. Mälzer macht es nicht einmal schlecht und erhält auch mildernde Umstände. Besser eine mittlere Küche als eine mittlere Theorie, denn aus ersterer kann eine bessere, aus letzterer gar nichts mehr werden. Für Einsteiger wird hier Grundlegendes geboten, vom Pizzateig über den Schweinebraten bis zur Rehkeule. Der Autor ist immerhin so bescheiden, dass er seine Rezepte als Anregung qualifiziert und nicht behauptet, das wäre bereits alles. Aber diese Bescheidenheit ist eine leere Geste, denn das Fazit ist besorgniserregend. Allerorten regiert die Selbstgenügsamkeit, der zufolge alle bereits viel gewonnen haben, wenn das Schlimmste vermieden wird. Vom Guten oder Besseren redet schon niemand mehr, Steigerungen in Hinsicht auf Erfreuliches werden kaum mehr für möglich, für reine Utopie gehalten.

Einfach und deftig statt Designerküche, mit dieser Frontstellung lässt sich heute reüssieren. Dabei ist die Verspottung letzterer seit der nun auch schon gute fünfzehn Jahre zurückliegenden Veröffentlichung von Bret Easton Ellis´ Roman American Psycho längst Gemeingut geworden. Falsche und unproduktive Gegensätze werden konstruiert. Wenn Tim Mälzer nicht dauernd behaupten würde, dass alles, was kompliziert ist, "vereinfacht" werden muss, wären seine Bücher durchaus anregend - allerdings abzüglich mancher Formulierungen. Getrocknete Chilis, meint er, geben "jedem Gericht ein bisschen Bums". Schlecht geschrieben ist schlecht gedacht und der Zubereitung des Essens auch nicht förderlich. Es mag sein, dass sein Wirken darauf zielt, soziale Gruppen für etwas zu gewinnen, das sie bislang wenig kümmerte. Aber ist die hiesige Durchschnittsküche wirklich noch so mangelhaft, dass sie dieser Nachhilfe bedarf? Zweifel sind angebracht. Vor allem dem Plädoyer, auch mal mit Weniger zufrieden zu sein, die Ansprüche nicht sehr hoch zu legen, der Feier einer lustigen und ausgesprochen pseudocoolen Genügsamkeit, ist gründlich zu misstrauen.

Tim Mälzer: Born to Cook. Schmeckt nicht gibts nicht. cool kochen mit Tim Mälzer. Goldmann 2004, 166 S., 19,90 EUR

Tim Mälzer, Born to Cook 2. Schmeckt nicht gibts nicht. cool kochen mit Tim Mälzer. Goldmann 2005, 175 S., 19,90 EUR


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