Lob der Spannung

Systemvergleich Anmerkungen zur Bildsprache A. R. Pencks. Die Frankfurter Kunsthalle Schirn zeigt eine große Retrospektive

Von heute aus gesehen erscheinen der Kalte Krieg und die Aufteilung der Welt in zwei Blöcke plötzlich nicht nur stabil, sondern auch für die Bewohner beider Teile auskömmlich und sicher. Die Risiken, die die Konkurrenz der politischen Systeme enthielt, geraten aus dem Blick. Auch die Bannflüche, die alles Realsozialistische trafen, werden schwächer, und selbst wer lesen will, wie sehr die im Neoliberalismus Herrschenden abgeschottet regieren und darin der DDR-Nomenklatura ähneln, muss nicht mehr notwendig auf linke Medien zurückgreifen.

Wer durch die Frankfurter Ausstellung mit den Werken des Malers und Bildhauers A.R. Penck streift, wird diesem Teil der Nachkriegsgeschichte in hochkonzentrierter Dosis plötzlich wieder ausgesetzt und muss sich widerstreitenden Gefühlen stellen. Bereits die großformatigen, schwarzen Bilder, allen voran Quo vadis Germania von 1984, signalisieren den Druck und das Überwältigende der zurückliegenden Jahrzehnte. "History is what hurts", schrieb der amerikanische Kulturtheoretiker Fredric Jameson, und diese Bilder Pencks fügen diesem Satz viele Details, aber keine Zweifel hinzu.

Der Eindruck der Überwältigung resultiert nicht nur aus Pencks großen Formaten, seiner verrätselten Bildsprache oder den permanenten Versuchen, neben der Bild- auch eine Theorieproduktion zu betreiben und eine Ästhetik aus dem Atelier mitzuliefern. Ein Raum in der Frankfurter Schirn ist Pencks Büchern, Skizzenbüchern und Heften vorbehalten. An der Wand läuft eine Installation. Auf einem Bildschirm erscheinen wechselnde Buchseiten mit kurzen Sätzen: "Das kann ich mir nicht merken." "Da steht zuviel drin." "Schreib selbst ein Buch." "Fang an."

Natürlich ist das programmatisch gemeint, wie vieles aus der Schreibwerkstatt des 1939 in Dresden geborenen Pencks, der als bildender Künstler in der DDR begann und dort seine eingängige Bildsprache entwickelte, der fortgesetzt drangsaliert wurde, 1980 in den Westen ging und 1989 die Vereinigung der beiden Länder begrüßte. Seinen Bildern und Sentenzen liegt eine historische Situation zugrunde, die hohe politische Forderungen und Aufforderungen zur Parteinahme an die Einzelnen stellte. Doch wenigstens, so könnte ein Einwand lauten, waren es noch politische Anforderungen, und sie stellten sicher, dass es so etwas wie eine Geschichte gibt, die voranschreitet und es erlauben wird, die aktuelle Etappe in nicht ferner Zukunft historisch zu sehen.

"Gegen Lösungen - für Spannung", auch das ist ein Satz Pencks, der sich auf diese Situation beziehen lässt. Und es bereitet keine geringe Irritation, anhand der Bilder und zu einer Zeit, in der alle Versicherungen, das neoliberale Regime sei in seiner Endphase oder doch zumindest einer ernsten Legitimationskrise angekommen, noch einmal die Dynamik der Nachkriegsgesellschaften zu rekonstruieren. Denn: In den Bildern Pencks sind es die großen Systeme und die Gewalt, die Spannung und Bewegung generieren.

In Mike Hammers Geburt - Die Wurzeln des Faschismus und Atomicon, beide von 1974, ist es die Verbindung von politischer Symbolik und technischen Artefakten, die Unruhe und Sprengkraft entfaltet. In dem Bild ist ein Hammer zu sehen, der in geometrische Gebilde übergeht, außerdem eine Sichel. Schwarz wie die Kohleindustrie ist das Bild und der Humor des Malers, der das Staatssymbol der Sowjetunion mit dem amerikanischen Detektiv verquickt und mit Wellenbewegungen, dunklen Wolken und Industrieabgasen in Verbindung bringt, über denen ein bleicher Geist schwebt.

Unweit dieser Bilder finden sich die Geschwister Westen und Osten, an gegenüberliegenden Wänden, ersteres schwarz auf weißem Grund, letzteres umgekehrt. Auch hier stand vermutlich ein grimmiger Humor Pate. Ihn entdeckt spätestens derjenige, der sich und andere beim fortdauernden Kopfwenden und Halsverrenken beobachtet, beim Vergleichen und Unterschiede suchen zwischen Bild Westen und Bild Osten, und der dabei merkt, dass hier museal die Situation des systemvergleichenden Kalte-Kriegs-Bürgers nachgestellt wird. Wohl selten wurde der Museumsbesucher ironischer und listiger in die Ausstellung integriert und gleichzeitig mit der eigenen Vergangenheit als systemvergleichender Zeitgenosse konfrontiert.

Entlastungsfunktion allerdings enthält dieser Humor nicht. Viel ist über die Wiederkehr der Motive und Symbole bei A.R. Penck geschrieben worden und hin und wieder tauchte dabei auch das Wort postmodern auf. Jede Verspieltheit jedoch verschwindet hinter Pencks kybernetischem Ernst. Lockernden Humor sucht man hier vergebens. Es liegt nicht nur an der Ausstellungsprogrammatik, daran, dass diese Ausstellung die großen Werke in einer umfassenden Retrospektive versammelt, die anschließend in das Museum für moderne Kunst der Stadt Paris wandern wird, um dort einen bedeutenden deutschen Künstler zu präsentieren. Humor ist hier tatsächlich das, was man suchen muss - wie in der großen Geschichte auch, wo ihn zuerst jene entdecken, die eben diese Geschichte gegen den Strich zu lesen verstehen.

Dynamik und Spannung aber finden sich nicht nur auf der politischen Bühne. Einen großen Raum nehmen in der Schau die "Standart"-Figuren aus den frühen siebziger Jahren ein. Häufig als Form einer archaisierenden Bildsprache beschrieben, liegt in der Reduktion des Körpers auf geometrische Figuren, in den dreifingrigen Händen aber auch eine Auseinandersetzung mit der modernen Technik. Das Bild Waffen enthält noch mehrere Möglichkeiten. Einem der drei abgebildeten Hände ist das Abbild einer Frau, einem anderen ein Dreieck eingeschrieben. Aber das ist die Ausnahme, primär erscheint das erste Werkzeug des Menschen als deformiertes Maschinenteil, das seine ursprüngliche Vielseitigkeit eingebüßt hat, damit die technischen Instrumente eingesetzt werden können - und das destruktiv. Natürlich lässt sich diese Darstellung als Entfremdung oder Verdinglichung beschrieben, aber, so zeigt es der Aufklärer und Modernist Penck wieder und wieder: in diesem Vorgang liegt eben auch eine Dynamisierung der Möglichkeiten, die der Technik innewohnen. Wenn es gelingt, den Menschen zu einem Teil der Apparate zu machen, erwächst daraus eben auch eine gewaltige Spannung und Dynamik, ohne die eine Geschichte der Nachkriegsgesellschaften nicht geschrieben werden kann.

Auch zu diesem Thema gibt es einen dunklen wie grimmigen Kommentar. Irrationale Welt von 1975 ist eines der finstersten Bilder der Ausstellung. Beinahe wird Penck hier seiner Maxime "Gegen Lösungen - für Spannung" untreu. In der rechten oberen Bildecke, über schweren, schwarzen Gegenständen, chaotischen Strichen, ist ein Mann zu sehen, der scheinbar kurz vor dem Zusammenbruch steht, als wenn er von einem Geschoss oder einer Explosion getroffen worden wäre - ohne Hände. Die schlimmste aller Lösungen, so könnte man das Zeichen deuten, ist vielleicht die, Teile des Menschen systemuntauglich zu instrumentalisieren.

Die großen Themen der Nachkriegsgeschichte kehren wieder in diesem Werk eines Künstlers. Doch der Besucher findet darin mehr als nur diese vergangene Geschichte. Welches Wort man auch vorziehen mag, Pencks Begriff der "Spannung", oder Dynamik, vielleicht sogar Dialektik, Ambivalenz, in Bezug auf Systemkonkurrenz oder Technik - das alles steckt in diesen Bildern und hebt sie über ihre Zeit hinaus.

A.R.Penck. Retrospektive. Kunsthalle Schirn, Frankfurt am Main, noch bis zum 16. September 2007, Katalog, Richter-Verlag, Düsseldorf, 34 Euro


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