Als 1999 der Kinofilm Matrix herauskam, war noch nicht abzusehen, dass sich die Geschichte des Hackers Neo, der sich dem politischen Widerstand gegen die Herrschaft der Maschinen anschließt, zu einem dreiteiligen Epos auswachsen sollte. Der Cyber-Underground, wie er vor allem in den USA in den achtziger Jahren bestand, war ein guter Stoff für Thriller, die von Verschwörungen und subversiver Unterwanderung handelten, von der Macht der großen Corporations und den Möglichkeiten individuellen Handelns. Die Cyberpunktrilogie Matrix macht daraus eine welthistorische Schlacht, aber welche Generation stilisiert in ihren Geschichten die sozialen Auseinandersetzungen nicht zu epochalen Kämpfen?
Die Cyberpunker um William Gibson waren cool genug, ihre Visionen sozial konkret zu formulieren, und die Wachowski-Brüder haben diese Praxis in ihrem Blockbuster aufgenommen, vor allem im zweiten Teil Matrix Reloaded. In der Rebellenstadt Zion hatte sich eine afroamerikanisch geprägte "Multitude" versammelt, unter ihnen übrigens in einer Nebenrolle Cornel West, der schwarze Hochschullehrer aus Harvard, der mit seinem Buch Race matters die Ansicht widerlegte, dass "Rasse" lediglich eine soziale Konstruktion darstellt. Er reihte sich hier ein in eine verschworene Gang aus Hackern, Rebellen und Mystikern, die mit Punk und Cyber-Subversion das System attackieren.
Der dritte Teil lässt von diesen hochfliegenden Plänen nicht viel übrig. Die Story wird zwar weitergeführt; die Maschinen greifen Zion an, die Bastion des Widerstands. Aber was als die Geschichte eines Hackers begann, endet hier als militärische Schlacht. Den Rebellen bleibt nichts als ein verzweifelter Abwehrkampf. Neo und Trinity begeben sich ins Zentrum der Maschinenstadt, können jedoch gegen die Übermacht nicht bestehen. Sie durchstoßen die Wolkendecke, als hätten sie sich letztlich doch für die Escape-Taste entschieden, denn soll nicht wenigstens über den Wolken die Freiheit grenzenlos sein? Aber sofort rasen sie wieder hinab in die düstere Welt aus Kabeln und Drähten. Das letzte Gemetzel in Zion ist für die Angreifer nur noch Formsache, da akzeptieren die Maschinen überraschend einen Deal. Das Programm Agent Smith scheint für die Maschinen ein erhebliches Problem geworden zu sein. Sollte Neo den Zweikampf mit seinem Widersacher gewinnen, tritt ein Waffenstillstand zwischen Menschen und Maschinen in Kraft.
Diese Wendung ist nicht nur überraschend, sie ist ausgesprochen kurios. Durch sie wird der Mythos des Auserwählten erledigt, allerdings nicht, wie es Matrix Reloaded andeutete, als bewusste Austreibung des Mystizismus aus der Rebellengruppe. Dieser bleibt gar nichts anderes übrig, als auf ein Wunder zu hoffen, das dann auch als ein Widerspruch innerhalb der Matrix eintritt. Das Programm Smith hat sich mit einem Virus namens "Mensch" infiziert, so dass die Maschinen die Rebellen als das kleinere Problem betrachten.
Der Titel Revolutions ist also reiner Etikettenschwindel. Finster ist die Welt geworden, sie lässt nicht einmal mehr Raum für ein wenig Revolutionsromantik. Das System hat eines seiner ältesten Programme reaktiviert. Es führt Krieg.
In Matrix Revolutions gibt es so gut wie keine Software mehr, nur Hardware, die ballert. Die Matrix selbst wird im Film nicht mehr thematisiert. Wie könnte sie auch umgeschrieben werden, wenn nicht einmal Zeit vorhanden ist, sich in sie einzuhacken? Die Bilder aus der virtuellen Realität, die den ersten beiden Teilen noch einen kühlen Charme verschafften, wie die Verfolgungsjagd auf dem Highway, die Martial-Arts-Duelle, sind kaum noch zu sehen. Stattdessen erscheinen auf einmal verzerrte, schreiende Gesichter von Soldaten und in Trümmern herumkriechende Kommandos, die mit dem Nachladen schwerer Geschütze beschäftigt sind. Sind wir noch im Cyber-Thriller oder schon im Kriegsfilm? In den neunziger Jahren sah selbst vieles, wo ein anderes Genre draufstand, aus wie Science-Fiction, doch dem Anschein nach drängt der Kriegsfilm danach, Leit-Genre zu werden und seine Bilder den Konkurrenten aufzuprägen.
Der Film zeigt den Verlust an Phantasie, an technischer Innovationskraft auf allen Ebenen. Selbst die avancierte Filmtechnik, die in Matrix-Reloaded so selbstbewusst vorgezeigt wurde, wirkt hier wie das angestrengte Upgrade eines bereits existierenden Programms.
Es fällt leicht, Matrix-Revolutions wegen seines Rückfalls in Konventionalität zu kritisieren, ebenso leicht wie die Schuldzuschreibung an das System, das alles mit seinem Krieg überzieht, produktive Widersprüche überdeckt und soziale, technische wie erzählerische Komplexität wirkungsvoll reduziert. Der Gegensatz zwischen einer realen und einer virtuellen Welt wurde einstmals konstruiert, um aus den technischen Möglichkeiten auch soziales Kapital zu schlagen und die Matrix des Kapitals zu bekämpfen. Dieser späte Cyber-Film dokumentiert, wie sehr dieses Projekt unter Druck gekommen ist.
Matrix Revolutions enthält in einer Art Wiederkehr des Verdrängten aber auch den Widerstand gegen die Hardware des Krieges. Als Neo im strömenden Regen gegen Agent Smith antritt, die Reihe der Duplikate entlang geht, beide sich in die Höhe schwingen, an den uniformen Häuserfassaden vorbei, in deren Fenstern unzählige weitere Smith-Duplikate eine surrealistische Kulisse a là Magritte bilden, erwacht die Erinnerung an die aufregenden Möglichkeiten einer verspielten wie politisch bewussten Cyberwelt. Wird die Postmoderne, die ein nostalgisches Verhältnis zu Geschichte unterhielt, nun ihrerseits zum Objekt der Nostalgie?
Die Schlusseinstellung fasst den Widerwillen gegen den neuen, militärischen Code dann programmatisch zusammen. Der Hacker hat sein letztes Gefecht geschlagen. Das neue Erlöserprogramm steht in Gestalt eines kleinen indischen Mädchens bereit, das aus einem Park heraus auf eine Agglomeration von Hochhäusern blickt, in denen die Programme der Matrix ablaufen. Zwischen den Gebäuden geht die Sonne auf, allerdings nicht wirklich, denn die Szene spielt im virtuellen Raum, und das Mädchen bejaht die Frage, ob sie für diese Konstruktion verantwortlich sei. Ein klein wenig Zukunftshoffnung soll schon sein, und sie wird auf die zivilen Möglichkeiten der neuen Technologien dabei nicht verzichten können.
Diese Szene wirkt wie eine letzte Botschaft des Cyberpunk, der provokativ vor zwei Jahrzehnten die "Integration von moderner Technologie und der Gegenkultur der achtziger Jahre" (Bruce Sterling) ankündigte. Tempi passati, meint zufrieden das System und baut die Chips lieber in seine Militärmaschinen ein. Das postmoderne Cyber-Epos Matrix I-III erzählt, warum dies kein gutes letztes Wort ist.
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