Opfer und Täter

Machete In Uzodinma Iwealas Roman " Du sollst Bestie sein" landet ein Kindersoldat im Kinderheim

Nach den Diskussionen um "Feuerherz", den Roman von Senait Mehari, sowie die Verfilmung, die auf der diesjährigen Berlinale vehement kritisiert wurde, scheint das Thema der Kindersoldaten seine mediale Unschuld verloren zu haben. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass hier eine große öffentliche Teilnahme und Empörung vorausgesetzt oder doch leicht hervorgerufen werden können. Kinder werden unter Drogen gesetzt und brutalisiert in den fürchterlichen Bürger- und Bandenkriegen Afrikas eingesetzt. Seit vielen Jahren geschieht das, viele ehemalige Kindersoldaten ließ das nicht ruhen und, so geht die Erzählung, sie bedrängten den bekannten westafrikanischen Schriftsteller Ahmadou Kourouma, ihre Geschichte zu erzählen, damit die Welt davon erfährt. Kourouma ließ sich überzeugen und er schrieb "Allah muss nicht gerecht sein", den Bericht eines Jungen aus der Elfenbeinküste, der unbedingt Kindersoldat werden möchte.

Kouroumas Roman, der 2000 zuerst in Frankreich herauskam und weltweit übersetzt wurde, gilt als herausragende literarische Bearbeitung dieses Themas. Schwer vorstellbar, dass Uzodinma Iweala ihn nicht kennt, zumal auch er sich in seinem Roman Du sollst Bestie sein ebenfalls für die personale Erzählweise und die Einfühlung in das Schicksal eines Kindersoldaten entscheidet. Iweala hat in Harvard studiert; er lebt in Washington und Nigeria. Mit dem Problem der afrikanischen Kindersoldaten hatte er sich in seiner Abschlussarbeit an der Universität beschäftigt. Sein Roman ist aus dieser Arbeit erwachsen; er enthält allerdings nichts Thesenartiges, keine Mengen an angelesenem Material, die literarisiert werden. Der Autor hat sich für eine poetische Verdichtung entschieden, er bietet keine Information, sondern Teilnahme - allerdings nicht auf der unmittelbaren Ebene der bildhaften, suggestiven Beschreibung. Sein Roman ist zwar aus der Perspektive eines Kindersoldaten geschrieben, aber keinen Augenblick entsteht der Eindruck, hier spreche tatsächlich einer, der genau das getan hätte, wovon erzählt wird. Iweala hat eine Kunstsprache gefunden. Die Syntax ist häufig unvollständig, bestimmte und unbestimmte Artikel fehlen regelmäßig. Auf Reflexionen wird verzichtet, stattdessen werden Eindrücke, Geschehnisse, Bewusstseinszustände wiedergegeben.

Der junge Agu, unklaren Alters, ungefähr kurz vor der Pubertät, gerät in Bandenkriegen zwischen die Fronten. Sein Dorf wird angegriffen, die Familie verstreut und Agu von einer der herumstreunenden Gruppen rekrutiert. Detailliert, aber nicht ausschweifend wird beschrieben, wie Agu sowohl feindliche Bandenkämpfer wie unschuldige Frauen mit der Machete buchstäblich klein hackt. Agu wird wie andere Jungs vom Kommandanten vergewaltigt, er ist Opfer und Täter zugleich, ihn schaudert vor der Gewalt und er wird doch schuldig darin verwickelt.

In diesem Roman wird eine Ästhetik des Schreckens und der Grausamkeit evoziert, wie sie in Europa aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs aufstieg. Eine vorzeitige Entlastung, wie sie ein naiver Humanismus bietet, nach dem das alles doch nicht wahr sein kann und verschwindet, wenn man es herausschreit, wird gemieden, indem die Beschädigungen anerkannt und in den Text, in die Syntax hineingezogen werden. Dazu gehört auch die Abwesenheit eines eindeutigen Ortes und einer datierbaren Zeit. Es bleibt offen, in welchem Land, welchem Bürgerkrieg das alles geschieht - als wollte der Autor die politische oder historische Einordnung unbedingt verhindern. So etwas passiert dauernd, ständig, überall - deshalb sollte, so meint der Text, wer es verstehen will, die Mechanismen erkennen, die Kinder zu enthemmten Kriegern machen und die konkreten politischen Umstände zunächst vernachlässigen.

Sicherlich sind andere literarische Strategien denkbar. Iwealas Vorgänger Kourouma siedelt das Schicksal seines Kindersoldaten Birahima in Westafrika an, in den Gebieten von Sierra Leone, Elfenbeinküste und Liberia. Er erklärt genau, wer gerade die Macht innehat, welche Warlords sich um die Beute, also die verscherbelten Rohstoffe des Landes oder die mageren Besitztümer der Bewohner prügeln und massakrieren. Aber diese sozial konkrete Beschreibung ermöglicht nicht befreiendes Verständnis oder voreilige Entlastung. Man weiß, wer gerade Rädelsführer ist, aber es macht keinen Unterschied und so bleibt dem Schriftsteller die trockene wie traurige Chronistenpflicht.

Vielleicht hat Iweala den Film Blood Diamonds von Edward Zwick, mit Leonardo diCaprio in der Hauptrolle, gesehen. Dort wird, ebenso wie in seinem Roman, zu Beginn eine Familie auseinander gerissen; der Vater muss nach Diamanten graben, der Sohn wird Kindersoldat. Im Hollywood-Thriller gelingt nach einem bedeutenden Diamantenfund, den Genrekonventionen der Filmindustrie ist es gedankt, die Wiedervereinigung. Sie gelingt aber nicht problemfrei und in einer Szene bleibt es eine Weile unklar, ob der unter Drogen stehende Junge den Vater als Feind der Bande identifiziert und killt oder in ihm die familiären und humanen Gefühle noch regsam sind. Im Film geht´s noch mal gut, nicht aber im Roman.

Die Hauptfigur Agu landet am Ende in einem kirchlich verwalteten Heim und ist der gröbsten Verwahrlosung entkommen, eine Rückkehr zu Familie und einem Zustand, wie er vor dem Krieg herrschte, ist nicht möglich, außer Wunschfantasien, die um zukünftigen beruflichen Erfolg kreisen, kommt keine zivile Perspektive in Sicht. "Ich überleg, ob es vielleicht Weg gibt, wie ich hier rauskomm", Sätze wie dieser spiegeln die aussichtslose Lage vieler, von Kriegen zerrütteter Länder Afrikas wieder. Ein lauer und naiver Humanismus wie der von Senait Menari und ihrem Bestseller Feuerherz hat sich nicht zur Höhe einer einsichtigen Formulierung wie jener durchgerungen. Das vage und offene vielleicht, der fehlende unbestimmte Artikel, Anakoluthe und andere Stilmittel verdeutlichen, wie dünn die Schicht des Humanismus ist, wie leicht zu zerstören und schwer wiederherzustellen.

Der Autor vermeidet geschickt viele Fallen, die das Motiv des Kindersoldaten bereithält. Iweala wird als junger amerikanischer Autor gepriesen, er unterläuft jedoch den westlichen Gestus der Überlegenheit, wie er sich in der Gegenüberstellung einer behüteten und beschützten Kindheit (Westen) sowie einer völligen, abscheulichen Verrohung (Afrika) ausdrückt. Alles, was mit dieser kolonialen Attitüde ausgestattet oder zumindest kompatibel ist, hat das Zeug zum Bestseller - die ihrer selbst so gewisse Empörung ist garantiert. Iweala aber situiert das Geschehen nicht konkret in Ort und Zeit, allenfalls Afrika ist als Ort der Handlung kenntlich.

Natürlich kann niemand so tun, als wäre das, was in Afrika geschieht, auch in Europa oder Amerika möglich - selbst wenn hier Kindheit auch nicht mehr das gut behütete Gehege darstellt, das als Leitbild in den Nachkriegsrepubliken ausgegeben wurde. Aber auf geschickte Weise gelingt bei Iweala der Brückenschlag. Er hat einen Kindersoldaten als Erzählerfigur eingeschaltet und lädt solcherart zur Einfühlung ein, verhindert aber durch die Abstraktion von Ort und Zeit zuviel Nähe; und er verbindet eine auch hierzulande wohl bekannte Ästhetik des Schreckens mit den Banden- und Bürgerkriegen Afrikas. Iweala hat mit seinem ersten Roman dem bisher herausragenden Buch Kouroumas zu diesem Thema ein mindestens gleichwertiges zur Seite gestellt.

Uzodinma Iweala Du sollst Bestie sein. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay. Ammann, Zürich 2008, 157 S., 18,90 EUR

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