Die Cyber-Phantasien der achtziger Jahre stehen heute in etwa so hoch im Kurs wie der Nasdaq. Das war nicht immer so: Cyberspace, Cyberbodies, diese hoch aufgeladenen Termini versprachen nicht weniger als Befreiung, auch wenn die Vorstellungen darüber, wer von wem oder was befreit werden sollte, sehr verschieden waren und häufig versponnen blieben. Der Cyberpunk war da schon reflektierter. In diesem Subgenre des Science-Fiction wurden nicht nur die technischen, sondern ebenso die sozialen Verhältnisse in einer neuen Gesellschaft beschrieben, in dunklen Farben, dystopisch, verspielt und mit einer kräftigen Portion Gesellschaftskritik. Kaum irgendwo werden ökonomische und Macht-Verhältnisse so sehr thematisiert wie in den Romanen William Gibsons, dem "Paten" des Cyberpunk.
Der Cyberpunk versprach Ungeheuerliches: Eine Synthese aus Pop-Kultur und neuer Technik und das aus dem Geist der lower class. Das Versprechen konnte erwartungsgemäß nicht eingelöst werden. All die Techno-Freaks, Hacker und Drogenabhängigen, der Wohlstandsmüll, der vom System ausgestoßen worden war, sich in verrottenden Industrielandschaften herumtrieb und zu harten Punk-Rhythmen den Aufstand probte, sie wurden aufgerieben in den kapitalistischen Börsen-Fantasien der New Economy. Aber glücklicherweise gibt es nicht nur die alten Bücher und Manifeste, sondern auch noch die Kulturindustrie und mit ihr das Ungeheuer Mainstream, das aufmerksam renitente Subkulturen beobachtet und zu gegebener Zeit seine Assimilationsarbeit beginnt.
Matrix Reloaded ist zunächst einmal eine Hommage an William Gibson, dessen Roman Neuromancer 1984 den Cyberpunk begründet hatte. Aus Neuromancer stammt die Idee der Matrix; die Widerstandskolonie heißt auch hier Zion, die Hauptfiguren ähneln sich, und wer den dritten Teil der Neuromancer-Trilogie, Mona Lisa Overdrive liest, kann dabei zukünftig das gleichnamige Lied aus dem Matrix-Soundtrack abspielen. Voraussehbar folgt das Urteil, das rebellische Genre sei nun endgültig von der Kulturindustrie aufgesogen worden und zu Blockbustern und Video-Spielen zerschrotet. So nebenbei werden damit noch die Cyber-Euphorie und Technik-Utopien der achtziger Jahre erledigt, die Variationen über die Fragen, wie das Zusammenspiel von Mensch und digitaler Maschine aussehen könnte und inwieweit die neue Technik sich zu emanzipatorischen Zwecken einsetzen ließe.
Der Cyberpunk lädt zu Plünderungen ein, denn er war stilbildend. Er versprach eine neue, postmoderne Coolness, und mit dem hochfliegenden Versuch, Pop und Technik zu vereinen, öffnete er ein weites Feld für Adaptionen. Doch selbst als Gibsons Erfindung, der Cyberspace, systemoffiziell zu Kult erklärt wurde, blieb vieles, was unter dem Begriff Cyberpunk gefasst wurde, der dreckige Untergrund, über dem sich die Konzernfassaden in den Himmel reckten. Sicherlich ist Matrix Reloaded auch ein Lehrstück darüber, wie die Kulturindustrie subversive Bewegungen säubert. Aus Gibsons origineller, teilweise lyrischer Slang-Sprache sind schwachsinnige Dialoge geworden, an die Stelle einer bunt zusammengewürfelten Widerstandsgruppe ist ein religiöser Aufmarsch um den "Auserwählten" Neo getreten, und die Figurennamen (Trinity, Niobe, Persephone) offenbaren ein regressives Moment, das neue Technologien nicht zum ersten Mal begleitet. An Filmen wie Herr der Ringe oder Star Wars ist abzulesen, wie die Fortschritte digitaler Produktionsbedingungen mit vorsintflutlichen Inhalten kombiniert werden. Star Wars war bereits beim Auftakt 1977 ein Anachronismus, denn die space opera mit ihren Mittelschichtsphantasien, ihren reaktionären oder liberalen Imperialisten war ein Produkt der fünfziger Jahre. Wer sich also über die Unzulänglichkeiten von Matrix Reloaded mokiert, artikuliert nicht viel mehr als das Unbehagen der Kulturindustrie an sich selbst. Tatsächlich ist Matrix Reloaded der exemplarische Film, der modernste Filmtechnik zu anderen als regressiven Zwecken einsetzt.
Matrix Reloaded reflektiert die Veränderungen, die seit dem Aufwachen aus allen Cyberträumen eingesetzt haben. Es geht nicht mehr darum, den Cyberspace als Menschheitsglück zu feiern. Darum ging es im Cyberpunk tatsächlich nie, Technik wurde immer ambivalent gesehen. Die Romane von John Shirley und William Gibson, Filme wie Blade Runner, David Cronenbergs eXistenZ oder hierzulande weniger bekannte japanischen Cyberpunkproduktionen wie zuletzt Mamoru Oshiis Avalon enthalten düstere Visionen von Ausbeutung, Konzernherrschaft, undurchschaubarer Macht und nicht zuletzt der Kolonisierung des inner space, der Emotionen und Phantasien. Im zweiten Matrix-Film sind reale und virtuelle Welt in einer Weise getrennt, die Vergnügen, Lust und Glücksversprechen eindeutig in der realen verorten.
In der Matrix, oder nennen wir sie unmetaphorisch bei ihrem richtigen Namen, im High-Tech-Kapitalismus, sind die Figuren cool, tragen die genreübliche Sonnenbrille zur symbolischen Abwehr systemischer Zudringlichkeiten und sind streng in Schwarz gekleidet; die Bewegungen sind präzise. Innerhalb der Matrix müssen sie die Konkurrenz bestehen. Die Agenten, Verteidiger der regierenden Maschinen, haben ein Upgrade erfahren, und außerdem muss der Angriff auf die Widerstandsbasis Zion vereitelt werden. Neos Upgrades ereignen sich jeweils am Ende der Filme; am Schluss des ersten Teils kann er sich in der Matrix gegen die Agenten verteidigen, jetzt schafft er es bereits, in der Wirklichkeit angreifende Maschinen lahm zu legen.
Außerhalb der Matrix verwandeln sich die Rebellen. Ihre Gesichter erhalten Konturen, die verspiegelten Gläser werden abgelegt, die Bewegungen werden lockerer und steigern sich bis zu ekstatischen Tänzen. In einer Szene findet auf Zion ein raumfüllender Rave statt, in einem gigantischen Saal, dessen unterirdische Gewölbe an die "biomechanischen" Räume erinnern, wie sie in Blade Runner und Alien zu sehen waren. Während die anderen tanzen, lieben sich Neo und Trinity. Allerdings erblüht hier nun kein hollywoodtypischer Orgasmus-Kitsch. Die Einstellung ist kurz, es gibt keine verzückten Gesichter oder die üblichen Einstellungen auf die Geschlechtsteile der Frau. Die Kamera bleibt dezent und gibt die Vertrautheit der Figuren nicht preis. Auf dem Rücken von Neo, die Wirbelsäule entlang, sind die Öffnungen zu sehen, an denen er an die Maschinen angeschlossen war.
Ungewöhnlich ist diese Romantik nicht. Der Science-Fiction war immer ein romantisches Genre, nicht nur, wenn es mithilfe metaphysischer Ideologie um die Eroberung ferner Welten ging. In Jean-Luc Godards Alphaville von 1965 fährt der Geheimagent Lemmy Caution in eine Stadt, die von einem Großrechner beherrscht wird. Die Konzerne haben die Macht übernommen, die Menschen sind Bestandteil des Apparats geworden. Gegen diese Übermacht mobilisiert Caution die Poesie, die Lyrik und die Liebe. Am Ende verlässt er mit der aus der Macht des Computers befreiten Frau Alphaville.
Neo muss sich am Schluss von Matrix Reloaded entscheiden, ob er die linke Tür wählt und Zion vor dem vernichtenden Angriff der Maschinen bewahrt oder die rechte Tür, die ihn zur Rettung der in Lebensgefahr schwebenden Trinity führt. Widerstand oder Liebe, Revolutionär oder Privatier - die Gegensatzpaare sind aus hundert Jahren politischer Literatur allzu bekannt. Neo aber durchläuft auch ein emotionales und politisches Upgrade, denn er akzeptiert das mechanische Denken in Kategorien wie Ursache, Wirkung, Teleologie nicht mehr, jenes Entweder-Oder, das keine Varianten, Kontingenzen oder neue, überraschende Entwicklungen kennt. Er wählt die rechte Tür und kann davon ausgehen, dass damit nicht die Entscheidung über den Verlauf der politischen Konfrontation gefallen ist. Die schlechte Alternative ist von der Matrix vorgegeben, Neo aber ist angetreten, um sie neu zu schreiben. Als ihm offenbart wird, er selbst sei ein Teil des Programms, lediglich der sechste "Auserwählte", den der Architekt der Matrix auf den Weg gebracht hat, um die mathematische Kälte der Datenströme durch "Intuition" zu perfektionieren, hat er auch noch ein Identitätsproblem, ist also nicht nur technologisch, sondern emotional in der Postmoderne angekommen.
Der zweite Matrix-Film ist nicht mehr so finster wie der erste und hat sicherlich seine Mängel, aber er ist nicht der Sargnagel für eine einst rebellische Science-Fiction-Gemeinde. Cyberpunk verwandelt sich vielmehr in einen Teil der Kulturindustrie, der eine Gratwanderung auf sich genommen hat. Innerhalb der literarischen Bewegung gab es immer zwei Tendenzen. Die einen konzentrierten sich auf den Cyber-Aspekt und stellten die Frage, wie angesichts der Macht der multinationalen Corporations die neue Technologie eingesetzt wird oder alternativ, rebellisch umfunktioniert werden kann. Andere wie John Shirley setzten auf den Punk-Aspekt und beschrieben das Auseinanderfallen sozialer Bindungen, Gewalt und Bürgerkriege in einer Welt, deren stabile Ordnungsmächte ebenso wie die klassenübergreifenden sozialen Übereinkünfte ausgedient haben. Beides ist gegenwärtig nun wirklich nicht unzeitgemäß.
In Gibsons heroischen Zeiten Mitte der achtziger Jahre waren diese technischen und sozialen Entwicklungen nur in Ansätzen wahrnehmbar. Heute ereignen sich die gruftigen Geschichten des Cyberpunk überall dort, wo das, was in der Matrix Globalisierung genannt wird, für instabile und gewalttätige Zustände gesorgt hat. Die Rebellen in Matrix Reloaded sind folgerichtig zumeist Afroamerikaner, zu einem kleineren Teil Asiaten und einem sehr geringen Weiße. Es war also Zeit, die Geschichte in großem Stil zu erzählen, und natürlich ist es dann nicht mehr die Gleiche. Dennoch ist Matrix Reloaded ein großartiger Film, und das nicht nur aufgrund seiner technischen Perfektion. Mehr an Aufsässigkeit und Widerstand gegenüber einer schwer fassbaren Macht dürfte in einem Hollywood-Blockbuster nicht unterzubringen sein, und das gilt auch, wenn der dritte Teil, Revolutions, der im November starten soll, die politische und soziale Vision unter Erlöser-Mystik und Revolutionsromantik begräbt.
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