Andreas Weber denkt sich Sätze aus, die es in sich haben: „Die Faszination durch die großen Raubtiere ist dem Menschen bis heute geblieben, auch wenn die wirklich gefährlichen Fleischfresser inzwischen fast überall eine Sache der Zoos sind.“ Ihr Autor ist Naturwissenschaftler, er hat nachgedacht und hart recherchiert für Erkenntnisse dieser Qualität und stürzt die Grundlagen gleich mehrerer Disziplinen grundlegend um – ein multipler Paradigmenwechsler also.
Neben der Anthropologie gilt das auch für die Ökonomie. Öl selbst ist Mehrwert. Was haben sich Ökonomen, Marx eingeschlossen, das Hirn zergrübelt, woher der Wert und der Mehrwert kommen. Das Öl ist’s, nicht der Beton und nicht der Yeti. Die Physik: Zurzeit lassen wir auf der Erde die Entropie explodieren. Glücklicherweise nicht die Relativitätstheorie und auch nicht die Schwerkraft, sonst ginge es mit der Menschheit bald dorthin, wohin es den Leser dieser Sachbücher verschlägt – in den freien Fall.
Das waren nur ein paar Beispiele für schlecht Formuliertes und halb Gedachtes. Wenn Webers Gegner nicht die richtigen wären, könnte man ihn sich selbst und seinen Spaziergängen durch superauthentische Alpen-Reservate überlassen. Aber Weber hat mitunter recht, wenn er gegen die ökonomistische Logik der kapitalistischen Gesellschaft polemisiert und darauf hinweist, dass die betriebswirtschaftlichen Rechnungen, die einen Profit ausweisen, ohne ihre ökologischen Kosten gemacht werden.
Ein totes Rotkehlchen für 150 Euro
Mittlerweile liegen präzise Rechnungen vor, die eben jenen Kosten auf die Spur kommen wollen. Ökologen haben zum Beispiel den Wert der kompletten Biosphäre auf rund 50 Billionen Dollar pro Jahr taxiert. Ausgehend von solchen Berechnungen lassen sich Zerstörungen der Umwelt abschätzen, die in betriebswirtschaftlichen Kalkulationen nicht vorkommen.
Würden diese Kosten in einem grünen Bilanzverfahren berücksichtigt, ergäben sich andere ökonomische Präferenzen, und es wäre zum Beispiel über die Gewichtung der staatlichen Subventionspolitik zu reden. Forderungen wie diese werden mittlerweile vielfach erhoben; sie sind auch bei dem amerikanischen Publizisten Thomas Friedman (Freitag 6/09) nachzulesen. Weber allerdings hat genau nachgerechnet und herausgefunden, dass ein Rotkehlchen mit 150 Euro zu Buche schlägt – ein totes vermutlich, neue dürften im Handel günstiger zu haben sein.
Ebenso irrelevant in der vorherrschenden It’s the economy, stupid!-Doktrin bleibe, so der Autor, die Lebensqualität der Menschen. Er rezipiert die Ergebnisse von Glücksforschern: Die setzen die Grenze, bis zu der mehr Besitz signifikant mehr Zufriedenheit zur Folge hat, bei im Schnitt 10.000 Euro pro Jahr an. Ab dieser Einkommensgrenze steige das individuell empfundene Glück nicht mehr prozentual zum Einkommen. Deutsche zum Beispiel fühlten sich diesen Expertisen zufolge weniger glücklich als die Bewohner der Dominikanischen Republik oder von Bhutan.
Kooperation der Arten statt Konkurrenz
Auch was Nachhaltigkeit, die Bedeutung eines gesunden Ökosystems oder auch theoretische Kontroversen, etwa über den Darwinismus, betrifft, setzt der Autor auf aktuelle Themen und favorisiert positive Wege zukünftiger sozialer Entwicklung. Denen, die sich auf Darwin berufen und das Konkurrenzprinzip in Natur und Gesellschaft propagieren, hält er plausibel entgegen, in der Natur gebe es hinreichend viele Beispiele für eine glückliche Kooperation der Arten.
Was Weber vorbringt, ist nicht immer Mainstream in den Wissenschaften, aber in Teilbereichen konsensfähiges Wissen. Darauf ließe sich problemlos eine profunde Kritik darwinistischer oder konsumistischer Vorstellungen begründen. Weber hat Gespür für den Nerv der Zeit und entsprechende Fachliteratur rezipiert. Aber er verrührt alles zu einem theoretischen Urschleim und hofft, dass die Leser ihn als Hausmachereintopf goutieren.
Aus Unbehagen wird Harmonie. Irgendwas ist faul in diesen Landen, dass es zum Himmel stinkt. Aber das Gute liegt so nah – da wird im Naturschutzgebiet ein wenig der Tourismus gepflegt, das rechnet sich, alle sind glücklich. So schnell kann es gehen. Und Weber schaut versonnen den Viechern beim Muhen und den Wölfen beim Jaulen zu. Dabei denkt er sich, dass Ökonomie und Natur eigentlich doch friedlich versöhnt werden könnten. Ergo hat er sich zehn Gebote für eine humanistische Wirtschaft und ihre Umsetzung ausgedacht, und jetzt sitzt er da, beziehungsweise wandert umher und schaut sich beständig um, wie viele ihm wohl nachlaufen.
Alles fühlt - der Rezensent
Sein erstes Gebot lautet: größtmögliche Autonomie aller Beteiligten. Klingt gut, aber das gilt dann auch für Josef Ackermann, und da hat die Sache schon ihren Haken. Das sechste Gebot: Unbestechlichkeit – die Entmischung von Kapital und Politik. Au ja, tolle Idee. Unter dem siebten Gebot findet sich der konservative Moral-Evergreen: scharfe Besteuerung von Computerspielen. Irgendwann reicht es dann. Alles fühlt heißt Webers erstes Buch. Lederschildkröten, Blauwale, Wölfe, das Grünzeug auch. Einen aber hat der Autor vergessen – es fühlt auch der Rezensent. Auch er gerät an den Rand des Infarktes und wird trübsinnig, wenn Stilblüten sich ein munteres Stelldichein geben.
Webers zweites Buch heißt Biokapital. Das klingt verheißungsvoll nach Biopolitik und Foucault und zusätzlich nach einer Kritik des Kapitalismus, deren Fehlen bei Foucault oft bemängelt wurde. Aber das Ergebnis lautet hier: Geld allein schenkt keine Zufriedenheit. Manche Bücher auch nicht.
Alles fühlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften Andreas Weber, 352 S., TB Berlin, Berlin 2008, 9,90
Biokapital. Die Versöhnung von Ökonomie, Natur und Menschlichkeit TB Berlin, Berlin 2008, 240 S., 19,90
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