Zu Kreuze kriechen

Paranoia In "Schatten auf Hollywood" zeichnet Frank Niess noch einmal die bleiernen Jahre des McCarthyismus in Amerika nach

Mit dem Ruf It´s time for a change gewann Bill Clinton seinen ersten Wahlkampf gegen George Bush senior, doch mit und nach ihm hat sich der Wechsel ohne Wandel eingebürgert, der Austausch des politischen Personals, das nur aus Pflichtbewusstsein heraus von der Notwendigkeit und dem Nutzen einer neuen Regierung spricht. Aber das sollte nicht den Sinn trüben für reale, überraschende wie erklärungsbedürftige Veränderungen in Politik und Gesellschaft.

Einer der auffälligsten war im 20. Jahrhundert die Kehrtwende vom New Deal zum McCarthyismus. Die Geschichte, wie es gelang, den gesellschaftlichen Konsens über eine einigermaßen gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums durch eine pathologische Verschwörungstheorie zu verdrängen, wird in Zeiten des Patriot Act und aktueller Pathologien wieder erinnert.

In seinem Buch Schatten auf Hollywood verzichtet Frank Niess auf vieles. Die Ursachen des McCarthyismus, seine politische Durchsetzung und sozialhistorische Bedeutung streift er nur kurz. Das kann in der einschlägigen historischen Literatur oder den Lebenserinnerungen von Gore Vidal oder Arthur Miller nachgelesen werden. Niess verfährt weitgehend deskriptiv und konzentriert sich auf eine genaue Darstellung, wie Kulturschaffende, Schauspieler, Schriftsteller, Drehbuchautoren malträtiert wurden. Gore Vidal lässt in seinem Buch über das Goldene Zeitalter eine Figur witzeln, auch der Dentalbereich in der Armee sei kommunistisch unterwandert und bedürfe besonderen Augenmerks, und er übertreibt dabei nicht einmal.

Im Mittelpunkt der Verdächtigungen standen die in den Kulturindustrien Beschäftigten, die zum Beispiel in Kinofilmen lachende Russen darboten und damit den American way of life unterwanderten. Diese dunkle Periode der amerikanischen Geschichte wird zwar nach dem Senator Joseph McCarthy benannt, aber da dieser erst spät auf den rollenden Zug aufsprang und auch in den großen Schauverhören des Komitees für unamerikanische Aktivitäten nicht involviert war, verfolgt Niess viel stärker das Wirken von J. Edgar Hoover, der 48 Jahre lang, von 1924 bis zu seinem Tod 1972, das FBI leitete; McCarthy wäre ohne Hoover nicht möglich gewesen, schreibt Niess, und bereits eine Kurzfassung einiger Lebensstationen untermauert seine These.

Schon früh sichtete Hoover den späteren Staatsfeind und legte seit 1917 seine berüchtigten Dossiers über Linke aller Schattierungen an. Als FBI-Direktor, und zwar auch und sogar explizit gefördert von F. D. Roosevelt, der in Philip Roths letztem Roman Verschwörung gegen Amerika wie in vielen anderen New Deal-Verklärungen ikonisiert wird, legte er den Grundstein für die späteren Exzesse. Der Einzige, der dem allgewaltigen Direktor Paroli bot, war der Mafioso Meyer Lanski, der geschont werden musste, weil er Fotos besaß, die Hoovers Homosexualität bewiesen. Hoover seinerseits, so berichtet Gore Vidal in seinen Memoiren, erpresste die Brüder Robert und John F. Kennedy, wobei der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist, dass Robert Kennedy ein Zögling von Joseph McCarthy war.

Soweit die institutionelle Basis und einige Personalia; detailliert beschreibt Niess nun, welche Verheerungen die Paranoia und das Kalkül hinter ihr - laut Vidal ging es darum, die Militarisierung der Wirtschaft nach dem Krieg abzusichern - anrichteten. Hier wird es traurig und ästhetisch frustrierend. Niess zitiert einen amerikanischen Filmhistoriker mit den Worten: Eine Decke der Mittelmäßigkeit legte sich über die kulturelle und künstlerische Produktion in Amerika. Prominente Drehbuchautoren wie Dalton Trumbo, Dashiel Hammett, der Regisseur Elia Kazan und viele andere wurden vorgeladen, denunziert, diffamiert und mit Berufsverboten belegt. Detailliert beschreibt Niess, mit welch miesen Methoden sie und andere regelrecht weich geklopft wurden. Trumbo hielt stand und schlug zurück - er wolle lieber sterben als zu Kreuze kriechen, und er verglich die Methoden der Kommunistenjäger mit denen Himmlers und Goebbels´. Hammett war am Ende ein gebrochener Mann. Kazan wurde massiv unter Druck gesetzt; das Arbeitsverbot vor Augen nannte er dem Ausschuss die Namen von acht ihm bekannten Kommunisten, in der Hoffnung, es werde ihm vergeben, weil er die Betroffenen vorab unterrichtet hatte und ihre politische Zugehörigkeit allgemein bekannt war. Aber bis zu seinem Tod wurde ihm dieser Kniefall nicht verziehen.

Diese Geschichten von Zivilcourage und Opportunismus, von gezielt geschürter Paranoia wären ohne den Patriot Act des Präsidenten Bush längst nicht so aktuell. Ob sie zu mehr als einem Memento taugen? Es bleibt das Staunen, was in dieser westlichen Gesellschaft möglich war und vor allem, wie schnell soziale Konjunkturen wechseln können. Wenige Jahre vor dem McCarthyismus feierte die Popular Front der amerikanischen Linken ihre großen Erfolge. Nachzulesen ist das in dem Buch The cultural front von Michael Denning, das leider bislang nicht übersetzt wurde, aber dazugehört, wenn über die amerikanische Kultur dieser Zeit gesprochen wird - nicht nur um zu dokumentieren, was alles zerstört wurde. Dort steht auch, was in den USA einmal möglich war.

Frank Niess: Schatten auf Hollywood. McCarthy, Bush jr. und die Folgen. Papyrossa, Köln 2005, 247 S., 16,90 EUR


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