Eine Tonne Hafermilch ist schonmal sicher. Wenn sich Anfang August 100 Menschen in der Nähe von Köln zum geldfreien Kongress „Utopival“ treffen, dann ist die Versorgung das geringste Problem. Die verbleibende Haltbarkeitszeit der Hafermilch entspricht nicht den Richtlinien des Großhandels, der Produzent hat sie deshalb den Organisatoren des Kongresses geschenkt.
Acht Mitglieder hat das Organisationsteam, seit vergangenem Dezember fragen sie bei Lebensmittelfirmen nach nicht mehr verkaufsfähigen Produkten. Sie haben einen zum Tagungszentrum umgebauten Bauernhof im Bergischen Land gefunden, dessen Betreiber sie dort kostenlos übernachten sowie Strom und Wasser nutzen lässt. „Als wir mit ihm die Hausordnung durchgegangen sind, hat er die darin au
e darin aufgeführten Preise mit einem großen Lächeln durchgestrichen“, sagt Mitorganisator Tobias Rosswog. „Wir haben miteinander eine ganz andere Beziehung als die der klassischen Rollen von Konsumenten und Produzenten.“Rosswog und die anderen organisieren das „Utopival“ zum zweiten Mal – ohne Teilnehmerbeiträge, ohne Fördergelder, ohne Honorare für Referenten, ohne Budget. Sie tun das bewusst, weil sie nicht nur auf Geld verzichten, sondern sich komplett vom Prinzip Leistung/Gegenleistung verabschieden wollen. „Es gibt nie festgelegte Gegenleistungen für Schenkungen“, sagt Rosswog. Es gehe nicht darum, für die fünf Kongresstage einer Utopie auf Zeit zu frönen. „Wir wollen Denkanstöße für ein anderes Miteinander geben.“ Es soll um Alternativen zu Verwertungslogik und Durchökonomisierung aller Lebensbereiche gehen, die über Tauschwirtschaft hinausgehen und sich wohl am ehesten als besonders konsequente Form von solidarischer Ökonomie beschreiben lassen.Tobias Rosswog ist 24 Jahre alt, seine Mitorganisatorin Pia Damm ist 22. Beide leben auch außerhalb des Kongresses komplett geldfrei und das schon seit einigen Jahren. Sie halten Vorträge über ihre Idee einer „Ökonomie des Vertrauens“, Postwachstum und nicht zuletzt ihre persönlichen Erfahrungen. Vereinfacht wird ihre Lebensweise freilich dadurch, dass sie beide in der Krankenkasse noch familienversichert sind.Das Los entscheidetDas Interesse an geldfreien Utopien ist groß: Einen Monat lang dauerte die Anmeldephase für das „Utopival“, 350 vornehmlich junge Menschen bekundeten ihr Interesse. Doch die Kapazitäten reichen nur für weniger als ein Drittel davon. Selektive Auswahlkriterien sollte es aber nicht geben. Also durfte weder entscheidend sein, wer bei der Registrierung am schnellsten gewesen war noch, wer das schönste ausformulierte Motivationsschreiben geschickt hatte. Stattdessen wurden die 100 Teilnehmer für den Kongress ausgelost.Sie dürfen sich über nicht mit Geld entlohnte und zugleich hochkarätige Referierende freuen: Gülcan Nitsch, Biologin und Initiatorin der türkischsprachigen Umweltgruppe Yeşil Çember (Grüner Kreis) spricht darüber, wie wichtig es ist, Akteure für eine zukunftsfähige Gesellschaft zu gewinnen, die sich in Herkunft, Bildungsniveau und sozialem Status unterscheiden. Bildungsaktivist und Hartz-IV-Designermöbel-Architekt Van Bo Le-Mentzel sagt, er freue sich auf das „Utopival“ als eine „Spielwiese für Querdenker“. Außerdem kommt der populärste Vertreter der Postwachstumsökonomie: Niko Paech. Warum? „Weil dieses Netzwerk Menschen zusammenbringt, die nicht einfach nur hohle Forderungen stellen oder das Konsumsystem durch kosmetische Maßnahmen begrünen wollen, sondern das leben, wofür sie stehen“, schreibt Paech in der Programmübersicht.Fahrradmixer gesuchtDoch die größte Herausforderung für die Organisatoren ist es nicht, ohne Honorarversprechen interessante Referenten anzulocken, sondern ihrem Anspruch gerecht zu werden, ein „Mitmachkongress“ zu sein. Alle sollen etwas einbringen, Workshops anbieten, Foto- wie Filmmaterial sammeln und aufbereiten, das Abschlusskonzert mit musikalischen Beiträgen gestalten. Zudem sind noch einige Ausrüstungsgegenstände vonnöten; damit Hafermilch und all die anderen nicht mehr verkäuflichen Lebensmittel verarbeitet werden können, braucht es etwa noch einen Fahrradmixer. Der unterscheidet sich von einem herkömmlichen Mixer lediglich dadurch, dass er nicht von Strom aus der Steckdose, sondern durch Tritte in Fahrradpedale in Gang gesetzt wird.„Dadurch, dass der Kongress kostenfrei ist, fällt automatisch die Konsumierendenrolle weg“, sagt Pia Damm. „Alle können aus innerer Motivation zum Gelingen des ‚Utopivals’ mit ihren Talenten beitragen.“ Einen anderen Vorteil gegenüber ähnlichen Kongressen mit Geld hat Tobias Rosswog ausgemacht: „Wir mussten keine ellenlangen Anträge auf finanzielle Förderung durch Stiftungen stellen.“Placeholder link-1