Die Rückkehr des Hausmeisters

Nationalmannschaft Jogi Löw wollte das DFB-Team zu einem effizienten Unternehmen umbauen, mit flexibel austauschbaren Arbeitnehmern. Jetzt greift er aber doch wieder auf Stammkräfte zurück

Der Urlaub ist für Joachim Löw vorbei. Er überwinterte im Werbespot eines großen Reiseveranstalters, wo ihm willfährige Hotelbedienstete nicht von der Seite wichen und ihn mit Cocktails und Früchte-Ensembles verwöhnten. Löw vermutete eine Vorzugsbehandlung aufgrund seiner Prominenz und ließ die Dame an der Rezeption in seinem gemütlichen Badisch wissen: „Das isch ja alles sehr lieb, aber bitte wegen mir keine Extrawürschte.“ Davon kann natürlich keine Rede sein, das Haus bietet einfach einen perfekten Service. Für alle Gäste gleichermaßen.

Das ist die Welt des freundlichen Herrn Löw, der das vertikale Prinzip auf dem Platz gleichermaßen propagiert wie in der Personalpolitik. Heute Abend steht der 49-Jährige wieder an der Seitenlinie, wenn sein Team in Düsseldorf zum ersten Test des Jahres gegen Norwegen antritt. Doch ein Blick auf die voraussichtliche Aufstellung verrät: Die Beißer sind zurück. Die anvisierte flache Hierarchie bekommt durch die Rückkehr von Torsten Frings und Michael Ballack wieder eine mächtige Delle. Sind die geschmähten Leitwölfe rehabilitiert und auf dem Weg zurück zu ihren privilegierten Plätzen im Nationalmannschaftsrudel?

Die Nationalmannschaft als schlanker Weltkonzern

Nach der numerisch zwar erfolgreichen, spielerisch aber eher verkorksten Europameisterschaft letzten Sommer rief Löw das Ende der Extrawürste aus. Das Nationalteam, über viele Jahre Spielplatz für Kicker, die in ihren Vereinen auf den Ersatzbänken saßen, sollte endgültig wieder zum Pool der Besten und Fittesten werden. Die aktuelle Leistung war entscheidend, nicht das einstmals Geleistete. Der traditionsreiche Mittelständler Nationalelf sollte umstrukturiert werden zu einem schlanken effektiven Weltkonzern, in dem die Akteure je nach Formkurve schnell ausgetauscht werden konnten, um so die maximale internationale Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren.

Die neue Fußballergeneration um Spieler wie Philipp Lahm, Simon Rolfes oder Thomas Hitzlsperger schien für dieses Projekt prädestiniert: Absolute Topkräfte, taktisch und technisch so geschult, als finde ihr Spiel auf einer Laptoptastatur statt, die nach innen den Umgang zwischen IT-Angestellten pflegen und nach außen ihr eigener Pressesprecher sind. Perfekte Teamplayer, die sich ganz dem System unterordnen und bisweilen strategisch aufmucken, weil die Werbeindustrie Gesichter mit Wiedererkennungswert braucht.

Prominentestes Opfer von Löws neuer Leistungsideologie war der Bremer Torsten Frings. Ein lauter Büffel im Kreise leiser Lämmer, der weder das Alphabet noch die Algebra erfunden hat und über eher beschränkte fußballerische Mittel verfügt. Die Querelen in der Folge sind bekannt: Frings berief sich auf seine Verdienste als 78-maliger Nationalsspieler und drohte mit Rücktritt, sein alter Kompagnon Michael Ballack forderte vom Bundestrainer öffentlich mehr Respekt vor den Etablierten und stand kurz vor dem Rauswurf. Löw begegnete dem Konflikt mit einem Verhaltenskodex, der einer Maulkorbverordung für alle Beteiligten gleichkam. Die Vision eines harmonischen transparenten Unternehmens war dahin. Dazu kam noch der sportliche Mißerfolg mit der 1:2-Niederlage gegen England vergangenen November, bei der das Team ohne Ballack und Frings wie eine Herde überzüchteter Hochleistungskühe von den Graß fressenden Angelsachsen düpiert wurde.

Sehnsucht nach Erdung

Für das Spiel gegen Norwegen fordert Löw nun „mehr Emotion“. Dazu braucht er Typen wie den zuweilen hitzköpfigen Ballack, dessen Nominierung wegen seiner besonderen Begabung ohnehin außer Frage steht, aber auch einen Typ wie Frings, der bislang eine grottenschlechte Saison gespielt hat. Frings könne sich "berechtigte Hoffnungen" machen, eingesetzt zu werden, sagte Löw dennoch im Vorfeld. Leistung genießt scheinbar nicht mehr oberste Priorität. In einem gesellschaftlichen Umfeld, das sich nach dem neoliberalen Burnout nach Erdung und Stetigkeit sehnt, holt sich der Bundestrainer den gefürchteten Hausmeister in seine Firma zurück. Löws Urlaub ist vorbei, der Börsengang erst einmal verschoben.

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