Non, Gérard

FRANKREICH Auch Jospin sollte das Blair-Schröder-Papier unterschreiben, lehnte aber ab

Von Jospin lernen, heißt siegen lernen. Das stand unglücklicherweise nicht in dem Papier, das Gerhard Schröder und Tony Blair der europäischen Sozialdemokratie nahegelegt haben. Andernfalls wären die EU-Wahlen wohl nicht so unterschiedlich ausgefallen. Nach dem Einbruch von SPD und Labour, aber dem soliden Resultat des Parti Socialiste (PS) ist die Schadenfreude in Paris groß.

Sollte man es Bauernschläue nennen oder einfach nur »die neue Rücksichtslosigkeit«? Unmittelbar nach dem Kölner EU-Gipfel vom 3./4. Juni hatte Schröder den französischen Premier ins Willy-Brandt-Haus nach Berlin geladen. Titel des Kolloquiums mit anschließenden Fragen von Schülern: »Perspektiven der deutsch-französischen Freundschaft«. Es sollte gezeigt werden, das Verhältnis zu Paris ist auch der neuen rot-grünen Bundesregierung wahre Herzenssache. Solchermaßen zufriedengestellt, ließ der Kanzler seinen Gast fahren, um alsbald sein deutsch-britisches Papier aus dem Hut zu ziehen. Es heißt, Tony Blair habe darauf gedrängt, mit dem liberal-sozialen Erguß noch vor den Europawahlen anzutreten. Jospin jedenfalls fühlte sich düpiert, denn Frankreichs Rechte versuchte Kapital aus dem Alleingang der Sozialdemokraten in London und Bonn zu schlagen. Über den Zeitpunkt der Veröffentlichung werde er zu gegebener Zeit noch sein Wort sagen, kündigte Jospin recht säuerlich an, über den Inhalt des Papiers erst recht. Deutsch-französische Krisen gibt es immer wieder, selten aber Zerwürfnisse, die rein parteipolitisch motiviert sind wie dieses hier. Weil Gerhard Schröder seine auch in Frankreich als weitgehend planlos empfundene Regierungspolitik auf Kurs bringen und gleich noch Macht als neuer Parteivorsitzender testen will, stößt er Jospin vor den Kopf.

Die letzte Debatte der Franzosen über Wesen und Wirken der deutschen Sozialdemokratie ist fast 20 Jahre alt. Während der Polen-Krise 1981 ließ die Zeitschrift Commentaire Intellektuelle aller Couleur antreten, um über die SPD zu schreiben. In Paris wechselten sich Solidaritätskundgebungen für Lech Walesa ab. In Bonn lehrte indes Egon Bahr, daß nicht immer Zeit für politische Freiheiten sei, und die Polen schon einmal zurückstecken müßten, der Stabilität zwischen Ost und West zuliebe. Der Verdacht von 1981 lautete, die SPD besäße außenpolitisch keine sonderlich ausgeprägten Wertvorstellungen. Die Vermutung von 1999 lautet, daß Schröders »Neue Mitte« eine gut gekleidete Runde von Schaumschlägern ist. »Der Kanzler liebt Medien-Coups«, spöttelt die Rue de Solférino, in der die Sozialisten ihren Parteisitz haben, und sieht mit einem gewissen Überdruß Schröders großer »GGG«-Rede im Bundestag (»Globalisierung gemeinsam gestalten«) entgegen.

Während der deutsche Kanzler auf der einen Seite eine modernistische, in Managerdeutsch verpackte SPD aufpumpt, zeichnet er auf der anderen vom PS das Bild einer orthodoxen Arbeiterpartei des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Tatsächlich sehen Frankreichs Sozialisten wirtschaftspolitisch einiges anders als der Kanzler, besonders was die Einführung der 35-Stunden-Woche anbelangt. Als Bodo Hombach im Februar nach Paris gekommen war, sah er zuerst PS-Sekretär Francois Hollande und anschließend Außenminister Hubert Védrine. »Ein Kulturschock«, erinnern sich Teilnehmer der Gespräche, Hombach habe eine Synthese von Sozialdemokratie und Liberalismus vorgeschlagen und zugleich laut über ein »Manifest« nachgedacht, das Blair, Schröder und Jospin unterschreiben könnten. Entworfen wurde dieses Papier dann allein durch Hombach und den Blair-Vertrauten Mandelsohn. Jospin sollte lediglich seine Unterschrift geben, was er nonchalant ablehnte.

Für Jacques-Pierre Gougeon, deutschlandpolitischer Berater des Kabinetts Jos pin, ist dies alles ein Beweis für eine wachsende Kluft zwischen PS und SPD. Seit dem Lafontaine-Rücktritt vermißt die Linksregierung offenbar einen Ansprechpartner in Bonn. Jospin hatte 1997 sein Amt mit dem moralischen Anspruch angetreten: »Tun, was man sagt. Sagen, was man tut.«

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