Weiblich ist die Zukunft: Katrin Plötner, Anna Bergmann, Bernadette Sonnenbichler und Judith Kuhnert sind vier junge Regisseurinnen, die kritisch und erfolgreich inszenieren. Wenn am Freitag in Berlin das 52. Theatertreffen beginnt, wird dort etwas anderes zu sehen sein: das Hochglanzporträt einer verunsicherten Bühnenlandschaft. Das Sprechtheater befindet sich im Rückzugsgefecht. Schrumpfende Produktionsetats, Zoff um Intendanzen, ein immer schwieriger zu mobilisierendes Publikum und eine Gegenwartsdramatik, die sich mehr für Privatismen als für Zeitfragen interessiert: Probleme allerorten, Lösungen nicht in Sicht. Welchen Stellenwert kann sich das Theater wieder erobern? Und wie? In Frankfurt sprachen wir mit den vier Frauen über die Krise einer Kunstform, die einmal für Avantgarde und Aufbruch stand.
Der Freitag: Seit der Wiedervereinigung haben die deutschen Bühnen kontinuierlich Zuschauer und politische Relevanz verloren. Braucht es also ein neues Theater, um diese Schussfahrt ins gesellschaftliche Abseits zu beenden?
Anna Bergmann: Wir brauchen kein neues Theater, wir brauchen neue Theatergänger. Ich habe im Januar in Karlsruhe La Bohème inszeniert. Es gab Zuschauer, die haben gesagt, das war das Schlimmste, was sie jemals in der Oper gesehen haben. Die sind durchgedreht, weil ich eine Schauspielerin engagiert und mich auch nicht entblödet hatte, einen Sprechtext einzubauen. Aber es war eben ein künstlerischer Versuch, dem Stoff eine neue Lesart abzuringen und damit eine Klientel zu gewinnen, die sonst nicht in die Oper geht. Das hat funktioniert. In den nachfolgenden Aufführungen war die Resonanz positiv. Ohne neue und jüngere Zuschauer werden wir in einem grauen Meer versinken.
Judith Kuhnert: Wir müssen ständig nach neuen Formen suchen. Unser Vorteil gegenüber anderen Medien ist die Nähe zum Publikum, zur Stadt. Wenn sich die Theater als Kunsttempel verstehen und hermetisch abriegeln, dürfen sie sich nicht beklagen, dass Zuschauer wegbleiben. Mit Selbstreferenzialität fahren wir gegen die Wand. Mit der weit verbreiteten Unfähigkeit zur Selbst- und Fremdkritik auch. Was ist das denn für ein Missverständnis, dass Schauspieler toll sind, wenn sie einfach nur als ihr privates Selbst – krasse Type hin oder her – auf der Bühne stehen und uninszeniert Texte aufsagen? Warum darf ich mich nicht um eine Geschichte betrogen fühlen, und warum streitet keiner mit mir darüber, sondern fühlen sich alle persönlich beleidigt? Als dürfe man Theater nicht mehr schlecht finden, weil wir ihm sonst die Berechtigung entziehen.
Zur Person
Judith Kuhnert, 33, arbeitet unter anderem am Staatstheater Darmstadt. Frau Müller muss weg läuft dort seit über einem Jahr vor ausverkauftem Haus. Ab Mai zeigt sie eine neue Bearbeitung in Paderborn. Im Juni hat ihre Uraufführung Klassenkämpfe in Coburg Premiere
Foto: Jan Christoph Hartung für der Freitag
Katrin Plötner: Ich glaube auch, dass die Zukunft des Theaters in der Regionalität liegt. Man merkt, wenn ein Haus in der Stadt verortet ist. Man wird auf der Straße angesprochen, die Menschen wollen über deine Inszenierung reden. Für mich sind diese Rückkopplungen aussagekräftiger als der Blick auf die Zuschauerstatistiken. Die mediale Konkurrenz wird immer vielfältiger, die Zahl der Grauköpfe nimmt zu, die Geburten-zahlen sind rückläufig. Woher soll das Publikum also kommen?
Die Oper ist den gleichen soziologischen Rahmenbedingungen unterworfen und boomt. Ihre Stars werden gefeiert, Aufführungen zur besten Sendezeit übertragen. In einer Zeit, in der beinahe jede Sanierung eines Schauspielhauses hart umkämpft ist, werden pompöse Operntempel gebaut. Wie konnte ausgerechnet die elitäre Oper in einer sich immer mehr ausdifferenzierenden Massengesellschaft dem Schauspiel den Rang ablaufen?
Bergmann: Das kann ich Ihnen genau sagen. Es liegt an einem Qualitätsmaßstab, der nicht unterschritten werden kann. Die Erwartungshaltung des Publikums kann in der Oper nie so total unter-wandert werden wie im Schauspiel. Das Werk als solches ist nicht zu zerstören. Nehmen wir La Bohème. Hat man gute Sänger, kann selbst schlimmstes Regietheater wie meines die Menschen nicht daran hindern, in die Aufführung zu gehen. Notfalls machen sie die Augen zu und können trotzdem etwas für sich entdecken. Das ist im Schauspiel anders. Viele Zuschauer wollen sich, hier wie dort, nicht mehr überraschen lassen. Es existiert aktuell ein grundsätzliches Desinteresse an der Auseinandersetzung, das Ringen mit Formen und Inhalten wird gescheut.
Ist das Publikum zu bequem geworden oder sind viele Inszenierungen zu schlecht?
Bergmann: Es ist eine Mischung aus beidem. Beweihräucherung ist gerade angesagt. Das kann die Oper einfacher und besser.
Plötner: Die Krise des Schauspiels bildet ziemlich exakt die unseres politischen Systems ab. Auch außerhalb der Theater wird kaum ein Thema konsequent durchdrungen oder nach Alternativen gesucht. Es wird zwar viel gemeckert, aber am Ende doch wieder Mutti gewählt. Trotz Festung Europa, TTIP, Maut und anderem Unsinn. Und die Oper definiert sich selbst als unpolitisches Event. Sehen und gesehen werden. Das findet sein Publikum.
Zur Person
Katrin Plötner, 29, wuchs in Berlin-Marzahn auf. Inszeniert hat sie unter anderem am Münchner Residenztheater. Am 30. April ist in Augsburg die Premiere ihrer Uraufführung Playboy. Im Stück der jungen Dramatikerin Marijana Verhoef geht es um Korruption
Foto: Jan Christoph Hartung für der Freitag
Bergmann: Genau. Es gibt in den darstellenden Künsten längst eine konservative Rückbesinnung. Glamour und die Entäußerung einer Bildungskultur sind in unserer Zweidrittelgesellschaft zum Statussymbol geworden, beides verbindet sich mit der Oper. In Karlsruhe habe ich mir ein Armani-Kleid ausgeliehen, das 8.000 Euro kostet. Ich bin einfach in den Laden rein und habe gesagt, ich brauche das für meine Opernpremiere. Das war kein Problem, ich bin nur gefragt worden, wann ich es zurückbringe. Eine kleine Rüstung. Gut gegen die Buhrufe.
Es kann ja aber nicht im Inter-esse der Schauspielhäuser liegen, dem nachzueifern.
Kuhnert: Das Sprechtheater ist beweglicher als die Oper und verfügt über eine größere Bandbreite. Es kann mit historischen Stoffen zu unvorhersehbaren Gedankenexperimenten einladen oder auch mit interaktiven Projekten an ungewöhnlichen Orten zu einem Erlebnis werden. Wir müssen diese Vielfalt nutzen und riskante, spezialisierte Angebote machen. Seien es Stückentwicklungen, die auf lokale Themen Bezug nehmen, Projekte mit Bürgern, Versuche mit neuen Erzählformen oder, schlichter, richtig gut erzählte Geschichten. Wir müssen die Extreme suchen.
Bernadette Sonnenbichler: Ich bin mit Annas Glamour-These nicht einverstanden. Meine Erfahrung ist, dass ein Theater dann gut angenommen wird, wenn sich das Publikum mit dem Haus identifizieren kann. Wenn dort relevante Themen verhandelt werden. Vielleicht mit lokalen Bezügen. Und wenn Inszenierungen eine gewisse Sinnlichkeit bieten. Egal, ob die sich über die Ausstattung, die Musik oder die Interaktion der Darsteller ausdrückt. Die Chance des Theaters ist es doch,einen gegenwärtigen und lustvollen Zugang zu ermöglichen, eine Unmittelbarkeit und Natürlichkeit in der Fiktion herzustellen. Was auf der Bühne passiert, ist entschei-dend. Das Drumherum nicht.
Das heißt konkret?
Sonnenbichler: Theater muss relevant sein und sinnlicher werden. Nicht glamouröser, sondern erlebbarer.
Zur Person
Bernadette Sonnenbichler, 33, arbeitet als freie Theater- und Hörspielregisseurin. Mit Bulgakows Klassiker Der Meister und Margarita konnte sie in Aachen Zuschauer und Kritiker begeistern. Im Mai steht für sie Draußen vor der Tür am Theater Münster an
Foto: Jan Christoph Hartung für der Freitag
Plötner: Richtig. Wenn sich eine Inszenierung nur über den Kopf, nicht über den Bauch vermittelt, scheitert sie. Im Publikum sitzen vielleicht 500 Menschen, jeder hat intellektuell andere Erwartungen an den Abend. Ein gemeinsame Basis, eine Atmosphäre lässt sich nur durch den emotionalen Zugriff konstruieren. Der Austausch interessiert mich, dieser Moment der Transformation, wenn aus einzelnen Zuschauern ein Resonanzkörper wird.
Austausch setzt einen gemeinsamen Zeichensatz voraus. Ich habe Zweifel, ob das zwischen Theatermachern und Theatergängern noch der Fall ist. Was Regisseure und Dramaturgen wollen, wird immer häufiger vom gewöhnlichen Zuschauer nicht mehr verstanden. Ist das Theater zu abgehoben, setzt es zu viel voraus?
Bergmann: Diese Diskrepanz ist nicht neu. Aber ich habe festgestellt, dass Inszenierungen immer konsumierbarer werden müssen. Die Zuschauer fordern das ein. Publikumsgespräche sind daher wichtig. Theater war und ist ein Diskursraum.
Plötner: Ich bin nicht sicher, ob das so generell zutrifft. Wer in eine Inszenierung von Herbert Fritsch geht, sucht nicht den Diskurs. Die Schauspieler brüllen „Murmel, Murmel“, die Zuschauer brüllen „Murmel, Murmel“ zurück. Und zwar über eine halbe Stunde. Ich vermag dahinter nicht den drängenden Wunsch nach Diskurs zu erkennen. Eher das Verlangen nach einem diffusen Gemeinschaftserlebnis, das die Realität abseits des Public Viewing bei Sportveranstaltungen und Tatort-Übertragungen nicht mehr bietet.
Sie haben vor drei Jahren am Münchner Residenztheater Heiner Müllers „Hamletmaschine“ inszeniert und exakt diesen Effekt herausgearbeitet. Ein Showstar spielt mit einer amorphen, ekstatischen Masse, die alles Individuelle in sich aufgelöst hat.
Plötner: Es ist der Wahnsinn, wie schnell sich Zuschauer manipulieren lassen. Bisweilen habe ich regelrecht das Gefühl, manche Regisseure veralbern ihr Publikum. Das ist eine andere Form der Überheblichkeit, die im Theatersystem ohnehin nicht selten ist. Als ich Regieassistentin am Resi war, musste ich einmal Dimiter Gotscheff, den Regisseur, beim Einlassdienst abholen, weil man ihn für einen Obdachlosen hielt. Ich selbst habe diese Geringschätzung erlebt, als ich mit meiner Schulklasse aus einem Brennpunktviertel zum ersten Mal überhaupt ein Theater, die Volksbühne, besucht habe. Das Theater muss sich öffnen und kann, wenn es das anstrebt, natürlich in mehrfacher Weise ein sozialer Diskursraum sein. Ich habe aber den Eindruck, dass es das nicht unbedingt immer und überall sein will.
Bergmann: Braucht es auch nicht. Herbert Fritsch möchte bestimmt keinen überintellektuellen Diskurs führen, sondern unterhalten.
Zur Person
Anna Bergmann, 36, hat in so ziemlich jeder deutschen Stadt, am Wiener Burgtheater sowie in Schweden inszeniert. Seit 2009 führt sie auch im Musiktheater Regie, zuletzt La Bohème . In der nächsten Spielzeit arbeitet sie in Wien, Kassel, Braunschweig, Essen und Lübeck
Foto: Jan Christoph Hartung für der Freitag
Warum sollte der Steuerzahler ein Theater finanzieren, das keine Ansprüche stellt?
Bergmann: Weil sowieso unterschiedliche Formen förderungswürdig sind. Und dann bleibt immer noch die eigene Interpretation des Zuschauers.
Vielleicht ein bisschen wenig.
Sonnenbichler: Aber darauf kommt es an. Ich zweifle manchmal selbst daran, ob es reicht, den Zuschauer in einen inneren Dialog zu treiben, in den Austausch mit sich selbst. Aber dann denke ich, damit ist in einer Ära der zunehmenden Selbstvergewisserung schon viel gewonnen. Wenn ich mir Arbeiten von Fritsch ansehe, fühle ich mich durchaus zur Reflexion eingeladen.
Plötner: Ich weiß nicht. Ich habe mir Fritschs Inszenierung gemeinsam mit zwei Schauspielern angesehen. Danach meinte der eine, das sei das Großartigste gewesen, was er jemals gesehen habe. Der andere sagte, da würde er lieber das Weihnachtsmärchen in Dinkelsbühl spielen. Mehr an eigener Interpretation kam nicht.
Bergmann: Aber wir müssen die Zuschauer schulen und an den Wortschatz des modernen Regietheaters heranführen. Dann haben sie an unseren Inszenierungen auch mehr Spaß.
Das Theater muss also zur Gouvernante der späten Industriegesellschaft werden?
Bergmann: Das ist zugespitzt, im Kern jedoch richtig. Theater darf ästhetisch und inhaltlich kein Museum sein, es muss verändern und formen. Aber wir müssen uns mit dem Publikum auf Augenhöhe auseinandersetzen und es fordern.
Die Subventionen fürs Theater stagnieren. Sie, Frau Bergmann, haben vor fünf Jahren gesagt, in der Theaterszene habe sich ein Dualismus von Marktwirtschaft und Kreativität herausgebildet. Welche Seite hat inzwischen triumphiert?
Bergmann: Der Kampf tobt noch. Überall, wo ich arbeite, sind die Einschränkungen zu spüren. In Hannover war mein Bühnenbild zuteuer, vor drei oder vier Jahren wäre das an einem Staatstheater noch durchgegangen. Vergleichbar war es in Karlsruhe bei Drei Schwestern. Ich wollte einen Chor mit 14 Kindern, damit es nach etwas klingt, das Haus wollte zunächst vier oder fünf finanzieren. Schließlich wurde der große Chor aber doch ermöglicht. Die Produktionsetats haben sich in den letzten fünf Jahren erheblich vermindert. An manchem Haus reichen sie nur noch zur Kunstverwaltung, kreatives Arbeiten ist dort kaum mehr möglich.
Sonnenbichler: Ich habe ähnliche Situationen erlebt. Manchmal muss man um einen Musiker mehr oder weniger feilschen oder darüber diskutieren, ob die Stuhlreihen im Parkett erweitert werden, weil das die Auslastungsquote senken könnte. Das ist inzwischen alltäglich. Da kann es genau an jenen 500 Euro scheitern, die außerhalb der ursprünglichen Kalkulation für einen Sonderposten benötigt werden, weil man eine plötzliche Idee künstlerisch umsetzen möchte. Dieser Fall ist nicht vorgesehen.
Kuhnert: An den kleineren Häusern, an denen ich inszeniere, sind die Ansagen auch knallhart: Nein, wir haben nicht mehr, wir können dieses oder jenes nicht finanzieren. Null Spielraum. Da gibt es nichts zu verhandeln.
Plötner: Jeder von uns hat sicher solche Erfahrungen gesammelt. Dieses Phänomen ist aber nicht auf das Theater beschränkt, das ist ein systemisches Problem. Bei vielen Interviews bekomme ich etwa gesagt, man hätte eigentlich keine Zeit für eine seriöse Vor- und Nachbereitung, würde die sich aber nehmen, auch wenn es den eigenen Stundenlohn dramatisch reduziert. Nicht nur wir Theatermacher sind diesem Druck ausgesetzt, immer marktwirtschaftlicher zu denken, uns zu disziplinieren und billiger zu produzieren. Das ist gesellschaftliche Realität.
Es liegt also nicht nur an den Intendanten, dass die Bereitschaft zur Selbstausbeutung im deutschen Staats- und Stadttheatersystem zur Einstellungsvoraussetzung geworden ist?
Sonnenbichler: Die Leitungen geben den Druck nur nach unten weiter. Wer ständig auf dem schmalen Grat zwischen erwünscht hohen Auslastungszahlen und anspruchsvollen Stücken balanciert, die Unterhaltung des Publi-kums und den Bildungsauftrag gleichzeitig im Blick haben muss, um das eigene Theater gegenüber der Kulturpolitik zu legitimieren, gerät ins Mahlwerk der Zwänge. Die Frage ist, wie wir als junge Regisseure damit umgehen. Ich versuche meistens, diese Zustände sportlich zu nehmen. Für Der Meister und Margarita in Aachen konnte ich nur sechs Wochen proben. Die Darsteller waren oft komplett ausgelaugt, weil sie außerdem noch Wiederaufnahmen spielen mussten. Nicht schön. Daraus muss aber eine Jetzt-erst-recht-Haltung entstehen.
Bergmann: Trotzdem kapitulieren viele. In meinem Jahrgang an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin waren wir vier Regie-absolventen. Einer hat heute eine Weinhandlung, eine Kommilitonin bietet Rhetorikseminare an, einer hat sich auf Theater-Live-Hörspiele spezialisiert.
Plötner: Ich habe am Mozarteum in Salzburg studiert. Uns wurde gesagt, am Ende wird nur jeder Zwanzigste von diesem Beruf leben können, alle anderen machen nach fünf Jahren etwas anderes. So ähnlich kam es. Von meinen Kommilitonen inszeniert noch einer, der Rest ist raus.
Viele Theater wollen die Lücken im Budget durch private oder gewerbliche Sponsoren schließen lassen. Der richtige Weg?
Kuhnert: Das mussten wir schon im Studium machen. Ich war auf einer privaten Akademie in Burghausen, das ist eine reiche Stadt. Uns wurde früh beigebracht, externe Finanzquellen zu erschließen. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Die Grenzen müssen nur klar gezogen werden.
Bergmann: Die Frage ist: Wie abhängig darf sich die Kunst machen? Ich habe letztes Jahr in München ein Aufbaustudium für Theatermanagement absolviert, dort wurden uns auch Strategien für das Rekrutieren von Geldgebern vermittelt. Nikolaus Bachler macht das als Intendant der Bayerischen Staatsoper seit Jahren sehr erfolgreich, sonst wäre sein Etat nicht so hoch. Es gibt Unternehmen, die erwerben komplette Kartenkontingente mehrerer Vorstellungen. Ich finde das problematisch. Denn dann steht sofort der Wunsch nach Mitsprache im Raum. Sollen Sponsoren künftig entscheiden, wer in einer Oper diese oder jene Partie singen darf?
Sonnenbichler: Ich habe einmal in einer Inszenierung eine Produktplatzierung zugelassen, was ich bitter bereue und nie wieder machen werde. Die Theaterleitung hat mich damals inständig darum gebeten, das zu erlauben, damit ein Sponsorenvertrag zustande kam. Damals wurde argumentiert, dieser Geldgeber habe dem Haus viel ermöglicht, jetzt müssten wir ihm entgegenkommen. Die Episode gehört zu den seltsamsten Dingen, die mir bislang passiert sind.
Hätten Sie tatsächlich ablehnen können?
Sonnenbichler: Man hat immer eine Wahl. In diesem Fall habe ich mich für die falsche Alternative entschieden. Aber wir kommen nicht darum herum, Mitstreiter in der Politik und Wirtschaft zu suchen. Wir müssen trotz aller Vorbehalte immer wieder mutig kommunizieren, woran wir glauben und wofür das Theater heute steht.
Plötner: Das ist naiv. Der große Entscheider, der es in der Hand hat, ist zum modernen Mythos geworden. Ein Großteil dieser Gesellschaft hat sich in Sachzwängen verfangen, das Individuum kann sich kaum noch autonom verhalten. Politiker sind keine Ausnahme. Sie müssen erklären, warum große Teile der Kulturetats fürs Theater ausgegeben werden. Die Frage zwischen Kreativität und Markt stellt sich deshalb auch nicht wirklich, weil der Markt in dieser Konstellation immer stärker sein wird. Leider.
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