Auf kosmopolitischer Spur

Fußballbuch Der Sportpublizist Dietrich Schulze-Marmeling hat die Bedeutung des liberalen Judentums für die Geschichte des FC Bayern München rekonstruiert

Wie drückt man’s aus? Der FC Bayern und seine Juden heißt das vorliegende Buch und handelt sich mit dem besitzanzeigenden Fürwort prompt die Kritik ein, der Fußballklub könne über die Juden wie über seine Angestellten verfügen. Stünde aber dort „und die Juden“ läge der Einwand nahe, die Gruppe, um die es ginge, würde einerseits monolithisch und andererseits als etwas Fremdes behandelt. Doch wäre da etwas über „jüdische Wurzeln“ des deutschen Rekordmeisters zu lesen, hätte das andere Nachteile: Nicht mehr von konkreten Menschen wäre die Rede, zudem würde so getan, als stünde das, was als Jüdisches charakterisiert wird, nur am Anfang der Vereinsgeschichte, ohne nennenswerten Bezug zu heute. Und zudem könnte man es so verstehen, als habe der FC Bayern eine irgendwie geartete religiöse Geschichte.

Hat er aber nicht. Und sieht man vom Titel ab, liegt mit diesem Werk eines der besten Stücke Fußballgeschichte vor, die es zwischen deutschen Buchdeckeln bislang gab. Dietrich Schulze-Marmeling, der für sich in Anspruch nehmen darf, vor etwa 20 Jahren der erste deutsche Publizist gewesen zu sein, der die kritische Fußballgeschichtsschreibung auch auf die deutsche Kickerei übertragen hatte, holt nun aus einem vergleichsweise kleinen Thema ganz Großes raus: Wie nämlich in der Geschichte des erfolgreichsten deutschen Fußballklubs immer wieder eine Spur liberalen Judentums auftaucht und welche Bedeutung das dafür hat, wie der FC Bayern heute ist. Dafür ist sein Buch überraschend, aber verdient zum „Fußballbuch des Jahres 2011“ ausgerufen worden.

Eher polyglott?

Es ist keine singuläre Geschichte, die Schulze-Marmeling erzählt, aber auch keine, die auf allzu viele Klubs zu übertragen wäre. Der Fußball setzte sich hierzulande gegen die deutschnationale Turnerei durch, und entsprechend war er verschrien: als angelsächsisch, als liberal, als kosmopolitisch. Und nicht wenige seiner Träger in Deutschland waren Juden: Walter Bensemann etwa, der Kicker-Gründer, oder John Bloch, der den ersten deutschen Fußballklub gründete. Mit der Etablierung des Fußballs wurde eine Konkurrenz in Gang gesetzt, was und wer den Fußball dominiere: eine eher polyglotte Linie oder eine, die den Fußball als militaristische Übung verstand. Diese Konkurrenz fand sich auch in Vereinen – und der FC Bayern war, natürlich nicht widerspruchsfrei, aber in der Tendenz immer in der liberalen Linie.

Bei dem Schwabinger Künstlerklub – im Unterschied zu den anfangs mehr kleinbürgerlichen als proletarischen Sechzigern des TSV 1860 München aus dem Stadtteil Giesing – rankte sich viel, wenn auch bei Weitem nicht alles, um die Person Kurt Landauer. Der trat schon 1901 in den Klub ein, und bis 1933 blieb der liberale jüdische Münchner Geschäftsmann Präsident des FC Bayern. Er trat „mit Rücksicht auf die staatspolitische Neugestaltung“ zurück. Vorher, in den Zwanzigern, kämpften Landauer und der FC Bayern für eine Professionalisierung des Fußballs, dafür, dass der deutsche Fußball Anschluss an die damals wichtigen Fußballnationen England, Österreich, Ungarn und die Tschechoslowakei finden konnte. Doch der Deutsche Fußballbund wurde schon ab 1925 von dem Deutschnationalen Felix Linnemann präsidiert, der nach 1939 als Kriminaldirektor in Hannover für die Deportation der Sinti und Roma in KZs verantwortlich war.

Der FC Bayern, obwohl er 1933 noch von dem jüdischen Coach Richard Dombi betreut wurde, unterstützte die – vom NS-Staat gar nicht angeordnete, sondern von den Vereinen freiwillig vollzogene – Arisierung des Sports. Gleichwohl blieb Kurt Landauer noch bis 1937 im Umfeld des Klubs aktiv. Er kam ins KZ Dachau und ging, als er dort entlassen wurde, ins Exil in die Schweiz. Als die Bayern 1943 in Zürich spielten, gelang es der Gestapo zwar, ein Treffen der Spieler mit ihrem Ex-Präsidenten zu verhindern; aber die Mannschaft lief nach dem Spiel zur Tribüne und winkte Landauer zu.

Kein Widerstandsklub

Nach 1944 lehnt der Münchner Oberbürgermeister, ein NSDAP-Mann namens Fiehler, es ab, den FC Bayern für dessen Süddeutsche Meisterschaft zu ehren, weil er „bis zur Machtübernahme von einem Juden geführt worden ist“, wie die Begründung lautet. Ein Widerstandsklub war der FC Bayern nicht. Es offenbart sich aber, wie selbst in Zeiten von „Endlösung“ und „totalem Krieg“ sich das liberal-jüdische Fußballerbe als zu sperrig erwies, um total nazifiziert zu werden.

Im Juni 1945 kam Landauer zurück nach München und war im August 1945 wieder Präsident – auch dies ist ungewöhnlich, aber nicht einzigartig: Auch bei Werder Bremen und den Stuttgarter Kickers kamen jüdische Funktionäre zurück und übernahmen wieder Ämter im Verein. Kurt Landauer steckte sogar 10.000 D-Mark, die er aus einem Wiedergutmachungsfonds erhalten hatte, in den Klub. Und bei Schulze-Marmeling erfährt man auch dieses Detail: Dass nämlich das erste Nachkriegsderby gegen den TSV 1860 München nicht nur 4:0 für die Bayern endete, sondern dass die Einnahmen des Spiels an die Verfolgten des Nazi-Regimes gespendet wurden.

Was Schulze-Marmeling mustergültig beleuchtet, ist eine Art kosmopolitische Spur, eine Weltläufigkeit, die die Art des Fußballs ausmacht, für die sich in seiner Frühzeit auch viele Liberale, darunter viele Juden, begeisterten. Der Fußball war von Beginn an eine liberale Veranstaltung gewesen, und, wie Schulze-Marmeling nicht nur am Beispiel des Amateurismus zeigen kann, waren alle Versuche, diesen Sport deutschnational zurechtzuzurren, nicht nur politisch fatal, sie haben auch dem Sport selbst geschadet.

Erst vor wenigen Jahren hat der aktuelle FC Bayern damit begonnen, sich positiv zu seiner Geschichte zu bekennen: Nicht mehr das Abwimmeln, mit Politik wolle man nichts zu tun haben, dominiert mittlerweile, sondern der Stolz auf die liberale Fußballkultur, der man – trotz vieler dramatischer und sehr oft selbst verschuldeter Rückschläge – letztlich seine heutige Größe verdankt.

Bleibt nur noch das Nachdenken über den Buchtitel. Ohne eine Alternative zu haben, ist der vorliegende so ganz nicht gelungen.

Dietrich Schulze-MarmelingDer FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur Die Werkstatt 2011, 272 S., 14,90

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