Aufklärung

Linksbündig Dopinggeständnisse im Radsport als Freibrief für die Medien

Aufklärung ist ein sehr unterschiedlich verwendeter Begriff. Er beschreibt nicht nur das spätestens mit der französischen Revolution zur materiellen Gewalt gewordene ideengeschichtliche Konzept, dessen immanente Widersprüche von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno analysiert wurden. Auch in der Sphäre der Geheimdienste und der Kriminalistik ist das Wort Aufklärung zu Hause, denn dort sollen, freilich sehr abhängig vom jeweiligen Interesse und ideologischen Standort des Ermittlers, unklare Verhältnisse aufgeklart werden.

Dass die "rückhaltlose Aufklärung", wie sie gegenwärtig gerne gegenüber den Angestellten im Profiradsport gefordert wird, mit erstgenanntem Aufklärungsbegriff in Einklang zu bringen wäre, lässt sich kaum behaupten. Die taz beispielsweise, ein seinem Selbstverständnis nach dem kritischen Sportjournalismus verpflichtetes Presseorgan, schreibt über die jüngsten Geständnisse zur Einnahme von Dopingsubstanzen, diese seien "so halbgar, dass sie wohl kaum die sakramentale Absolution eines Beichtvaters erhielten". Stattdessen fordert die taz eine "echte Läuterung", die "weh tun" müsse. Beichten, büßen, strafen, läutern - gern wüsste man, ob es noch einen weiteren gesellschaftlichen Bereich gibt, den die taz derart vormodern aufräumen würde.

Aber Sport ist was Besonderes. In den letzten Wochen wurde, so scheint es, nachgewiesen, dass im Profiradsport von A bis Z, von Aldag bis Zabel, gedopt wurde. Wer noch nicht gestanden hat, dem wurde, wie dem früheren Profi Mario Kummer in der Neuen Zürcher Zeitung, einfach ein von ihm nicht autorisiertes Dopinggeständnis untergeschoben, das der dann dementieren musste. Oder es wurde durch die Bild am Sonntag eine Dopingbezichtigung eines früheren Betreuers gegen Jan Ullrich kolportiert, die dieser Masseur dann dahingehend relativieren musste, dass er selbst eigentlich nichts weiß und schon gar nicht selbst gespritzt hat. Oder der Spiegel, auch so ein Blatt, das sich selbst als aufklärerisch sieht, versprach dies: "Wie dreist jedoch die Lügen waren, dokumentiert der Spiegel", in dem er Doping leugnende Zitate von mittlerweile geständigen Sportlern veröffentlicht, und dann dieses Zitat von Jan Ullrich: "Ich habe zu keinem Zeitpunkt verbotene Dopingmittel konsumiert, gespritzt oder auf andere Art und Weise zu mir genommen", was im Jahr 1999 in einer eidesstattlichen Versicherung mitgeteilt hatte. Aus dem weder durch Zweifel getrübten noch durch eine Tatsache gestützten Glauben, dass der Tour-de-France-Sieger von 1997, Jan Ullrich, bestimmt auch gedopt habe, wird beim Spiegel einfach eine "dokumentierte Lüge" montiert.

Qualitätsjournalismus, wo man hinschaut. Hauptsache, so die feste Überzeugung in den meisten Sportressorts, es wird Haltung bewiesen, und es werden Namen genannt.

Es sei, wo gegenwärtig derart viel Doping enthüllt wird, an Katrin Krabbe erinnert, die leichtathletische Sprinterin, der Anfang bis Mitte der neunziger Jahre, Doping nachgesagt wurde und die bis zum heutigen Tag in der Meldungssprache der Nachrichtenagenturen als Dopingsünderin gilt. Krabbe wurde drei Mal ein Dopingverfahren angehängt, aber sie wurde kein einziges Mal wegen Doping verurteilt (weil das nicht gelang, durfte sie wegen "unsportlichen Verhaltens" an der Ausübung ihres Berufes gehindert). Aus dem Umstand, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sich entschlossen hat, zu glauben, dass Krabbe eine Dopingsünderin ist, wurde im Diskurs schnell eine Tatsache konstruiert.

Wenn die Öffentlichkeit glaubt, dass es sich um einen Dopingfall handelt, ist es einer. Und wenn sie es nicht glauben will, wie um die Jahrhundertwende beim wegen Dopings für zwei Jahre gesperrten Langstreckenläufer Dieter Baumann, dann ist es eben kein Dopingfall, sondern, wie in diesem Beispiel, die Manipulation einer Zahnpastatube. Jedem Fan und jedem Sportjournalisten steht es selbstverständlich frei, das eine oder das andere zu glauben; jeder Mensch darf über andere Menschen irgendwas argwöhnen oder immer das Beste annehmen. Bevor es aber als Tatsachenbehauptung in die Zeitung geschrieben wird, muss man es nachweisen können. Und das kann man weder im Falle von Frau Krabbe noch in dem von Herrn Ullrich.

Was sich großspurig kritischer Sportjournalismus nennt, kommt bloß als Ressentiment geladenes Raunen daher, als Stimmungsmache, und in einigen Fällen ist es nicht weit weg von übler Nachrede. Die Aufklärer, die sich ständig zu Wort melden, sind journalistisch tätige Jäger, die hinter dem Skalp von Profisportlern her sind.


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