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Ankunft Bob Dylan darf endlich nur noch Künstler sein

Loungerock könnte man das nennen, womit Bob Dylan, der im Mai 66 Jahre alt wird, seine Europatournee bestreitet. In acht deutschen Städten ist der in seiner Altersphase angekommene Dylan zu sehen und zu hören. Loungerock ist so etwas wie Rock für Leute, die im Ohrensessel hocken. Er ist leiser. Melodischer. Bluesiger. Und perfekt arrangiert. Für zu Hause hat diese Musik eine sehr gute Anlage zur Voraussetzung, nicht mehr die großen Boxen der jungen Leute.

Gewiss, wenn man heute das 1997 erschienene Album Modern Times hört, wird man das für den Beginn dieser Altersphase Dylans halten. Doch damals hat das keiner so gesehen. Vor zehn Jahren war ja niemand alt.

Bob Dylan spielt bei seiner Europatournee, von den ersten Songs abgesehen, wieder mal nicht Gitarre, sondern Keyboards. Kritik, dass er nicht Keyboard spielen kann, ist ja richtig. Aber kann er Gitarre spielen? Mundharmonika? Singen? Die knödelige Stimme holt, wie schon immer, in jedem Konzert andere Akzente aus dem jeweiligen Stück heraus. Wer sagt, Dylan könne nicht singen, kann bloß nicht zuhören.

Was - zumindest retrospektiv - seit zehn Jahren zu beobachten ist, kann man 2007 beinahe in Vollendung erleben. Spätestens seit Dylan 1997 zum ersten Mal für den Literaturnobelpreis ins Gespräch gebracht wurde, hat sich herumgesprochen, dass es sich lohnt, ihm zuzuhören. Als Shakespeare, Rimbaud, Brecht gilt er, immer mit dem Zusatz "der Musik". Doch kaum jemand nähme Dylan als großen Dichter wahr, sänge er nicht. Seine Unfähigkeit zu singen, ist die Perfektion des großen Vortrags. "Ohne Stimme ist es nur die halbe Lyrik", schreibt Klaus Theweleit.

Dylan nuschelt vor sich hin, und weil sowohl Publikum als auch Band genau hinhören, bekommen sie auch etwas mit. Aber Dylans Abwendung hat nichts Arrogantes, Abkanzelndes. Es ist eher die stille Art: wie der Opa, der einfach ins Bett geht, statt beim Feiern mit den Jungen mithalten zu wollen.

Das alles markiert den alten Dylan. 1997 war überdies das Jahr, als Dylan beim Papst spielte und an einer Herzbeutelinfektion erkrankte. Auch das drückt sich im Loungerock aus, dem ruhigen, melodiösen und doch einzigartig berührenden musikalischen Werk. Frühere Phasen im Leben Bob Dylans fallen da ab, auch wenn sie bekannter sind, mehr bewirkt und für vollere Säle oder Stadien gesorgt haben: die ihm bis heute anhängende Protestsängerperiode, danach die Erfindung des Folkrocks, die esoterische und christliche Phase, die Phase des großen Live-Künstlers, und dann die unentschiedenen Konzerte und Alben. Nein, erst ab Mitte der neunziger Jahre ist Dylan so vollkommen, wie er jetzt ist und wie man auf der aktuellen Europatournee bewundern kann.

Der Beifall, wenn in It´s Alright Ma (I´m Only Bleeding) plötzlich die Zeile auftaucht "But even the president of the United States sometimes must have to stand naked" wird weniger, geringer, leiser. Der subversive Spaß, den es bereitet, sich einen Richard Nixon oder Ronald Reagan mit runtergelassenen Hosen vorzustellen, ist durchs Alter arg relativiert: Was sollte bei einem nackten George W. Bush zum Hingucken reizen? Die Konzentration auf einzelne Stellen in der Dylanschen Musik hat Dylan seinen Zuhörern in den Konzerten gründlich ausgetrieben, in dem er sich und seine Musik stets neu erfand. Der späte Dylan ist nur ganz zu haben. Das ist die Botschaft der Europatournee Dylans, die so schwer zu bemerken ist, weil sie sich so langsam angekündigt hat: Der Künstler Dylan ist fertig, seine Entwicklung abgeschlossen, und was dabei herauskommt, ist großartig. Dylan ist da angekommen, wo er immer hinwollte: einfach ein Künstler, kein Warner und Mahner, kein Gewissen oder Symbol, keine Stimme einer Generation oder rebellischen Jugend. Das hat er immer gesagt, und immer wurde es wahlweise als Dylansche Schnoddrigkeit oder als Beleg einer tief in ihm steckenden Genialität begriffen. Aber dass der Künstler das meint, was er sagt, wollte niemand wahrhaben.

In seiner 2004 erschienenen Autobiografie Chronicles (Freitag 48/2004) hat sich Dylan noch mal der Mühe unterzogen, genau zu begründen, warum er nur für sich verantwortlich sein will: ein autonomer Produzent künstlerischer Werte, einer, der seine Musik auf den Markt wirft, darauf vertrauend, dass sich ihr Tauschwert realisiert. Darauf hat er hingearbeitet, und dass Dylan seit 1988 auf der "Never Ending Tour" ist, zeigt, dass er selbst nicht mehr damit gerechnet hat, den Zirkus, der um ihn gemacht wird, loszuwerden. Forever Old, es ist ihm doch gelungen.

Bob Dylan spielt noch in Stuttgart (20. April), Frankfurt (21.), Mannheim (30.), Leipzig (2. Mai) und Berlin (3.).


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