SPORTPLATZ "Vergessen Sie nicht: Bewag.de!" Drei Sprecher begleiten das Publikum durch die Nächte beim Berliner Sechstagerennen, und während zwei von ihnen ...
"Vergessen Sie nicht: Bewag.de!" Drei Sprecher begleiten das Publikum durch die Nächte beim Berliner Sechstagerennen, und während zwei von ihnen versuchen, das sportliche Geschehen in Worte zu fassen, sagt der dritte immer wieder solche Sätze: "Bewag. Das ist Know-How und Service." Der junge Mann, er heißt Yared Terfa Dibaba und ist ein gut aussehender Schwarzer mit Glatze und geschulter, wenngleich etwas langweiliger Stimme, ist auch für die Anmoderation auf der Showbühne verantwortlich. Da sagt er dann Sätze wie: "Begrüßen Sie mit einem Berliner Applaus: Frank Zander!"
Zwei Sprecher für den Sport, einer für die Show, die Sponsoren, also den Rest - das zeigt die Besonderheit des Berliner Sechstagerennens ganz gut. Es drückt einen
ckt einen Kompromiss aus, der besagt, dass eine solche Veranstaltung zwar viel mit Show, Sekt und in anderen Städten sogar mit Strip zu tun haben muss, dass es aber in Berlin mehr als sonst wo auch auf den Sport ankommt.Das liegt, um es kurz zu machen, an der DDR: Die Rennen finden im Berliner Velodrom statt; und das liegt genau dort, wo noch vor weniger als zehn Jahren die Werner-Seelenbinder-Halle stand, gegenüber dem Alten Schlachthof, wo bald schicke Appartements entstehen sollen, zu erreichen über die S-Bahnstation Landsberger Allee, die früher Leninallee hieß.Nun wurde zwar die alte Halle abgerissen, und eine neue errichtet; nun hat zwar der Schlachthof seinen Namen behalten, nicht aber seine Funktion, während die S-Bahnstation noch ihre Funktion hat, nicht mehr ihren Namen, aber all das verhindert nicht, dass ein Sechstagerennen vor allem von interessiertem und leidlich kundigem Publikum besucht werden muss. Bier saufen, Frank Zander hören oder mal nen Strip begucken kann man, das weiß zehn Jahre nach der Einheit sogar Ostpublikum, auch woanders.Der Kompromiss beim Berliner Radfahren drückt sich auch im Namen aus: Sechstagerennen. In anderen Städten, nämlich den westlichen, hat sich der Begriff "Sixdays" eingebürgert. Er ist kurz, klingt angenehm und drückt zur Genüge aus, worum es geht - ein sechs Tage andauerndes Spektakel. In Berlin hingegen - soll heißen: in Ostberlin - spricht man immer noch von der "Winterbahn", wie man zu Zeiten der großen Radsportveranstaltungen in der Seelenbinder-Halle immer von der Winterbahn geredet hat. Der Begriff drückt aus, worum es sportlich geht: Im Winter, wenn Schnee, Glatteis und Außentemperaturen Training und Wettkampf draußen erschweren, weichen die Radfahrer von der Straße oder dem Stadion auf die überdachte Bahn aus. Beide Begriffe - Sixdays und Winterbahn - unter einen Hut zu bringen, heißt für die Berliner Veranstalter, auf den früheren deutschen Begriff zurückzugreifen. Im Wort "Sechstagerennen" steckt beides - die sechs Tage und vor allem Nächte andauernde Show, in ihm steckt aber auch der Hinweis auf das sportliche Rennen.Der Kompromiss - Show für den Westen und Sport für den Osten - zeigte sich sehr genau beim diesjährigen Berliner Sechstagerennen, und zwar nicht nur im Namen, sondern auch bei der Choreografie der Eröffnung: Der Startschuss wurde von dem Schauspieler Heinz Hönig abgegeben - und von Täve Schur. Der frühere Radweltmeister und heutige Bundestagsabgeordnete stand für das Sportliche, das freilich im Berliner Velodrom nicht nur sportlich ist.Wenn hierher die Winterbahn-Fans kommen, die im Programmheft Rundenzeiten notieren, die Abweichungen von der Ideallinie beim Sprint kommentieren, die ein zu Besuch gekommenes Ex-Radsportidol mit Gebrüll über fünf Reihen hinweg begrüßen und die statt der Baguettes und Pizzen lieber ihre mitgebrachten Stullen auspacken, dann dokumentieren sie nicht nur, dass ihnen der Radsport wichtig ist. Sie wollen auch, dass sie der Radsport selbst dann, wenn er organisiert wird, wie man im Westen halt Radsport präsentiert, doch noch an das erinnert, was sie schon kennen: die große Jagd, die Sprintwertungen, die Steherrennen etc. Und wenn sie hundert Beispiele kennen, dass und wo mal geschoben wurde - ihren guten alten Radsport verteidigen sie, denn sonst hätten sie ja keinen Grund, alljährlich die teuren Karten für die Winterbahn zu erwerben.Beim Berliner Sechstagerennen kommentieren die Fachjournalisten Herbert Watterott und Christian Stoll das sportliche Geschehen, und immer, wenn sie gerade eine Pause machen, geht Yared Terfa Dibaba mit einem kurzen Werbesatz dazwischen. Ist zwischendurch einer der zahllosen Wettbewerbe zu Ende, wissen aber auch die zwei Jungs vom Fach, was zu sagen ist. "Gratulieren Sie den Fahrern mit einem Berliner Applaus", sagen sie dann, und das radsportverständige Publikum pariert, genau wie bei Frank Zander, wenn es dazu aufgefordert wird.Im Sechstagerennen steckt viel Versöhnung.
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