Der Terror des Dopings

Medientagebuch Kritischer Sportjournalismus ist heute selbstverständlicher. Zu selbstverständlich?

Sehr lange ist es noch nicht her, da waren die Sportjournalisten die Außenseiter der Redaktion, wie der Titel einer wissenschaftlichen Studie lautet. Sie waren die Deppen, die mit ihren Freitagabendspielen den Redaktionsschluss gefährdeten, die am Ende von Pressekonferenzen nach Bier rochen und deren Renommee sich aus dem exklusiven Besitz der Telefonnummern der Stars speiste.

Nicht nur, dass man heute besser über die stets wechselnden Mobilnummern verfügt, ist mittlerweile anders. Der Sport ist in den letzten 15, 20 Jahren in der Gesellschaft angekommen, und der Journalismus hat darauf reagiert. Ereignisse wie die Heysel-Katastrophe von Brüssel 1985, als Fußballfans zu Tode gedrückt wurden, haben die Grenzen des Sportjournalismus gezeigt. Der Reporter, den die Redaktion zum Ereignis geschickt hatte, erwies sich plötzlich als unfähig, journalistisch mit dem Ereignis umzugehen: "Das hat mit Fußball nichts zu tun", war nicht gerade Ausweis einer Kompetenz.

Der Wandel des Sportjournalismus kam von unten. 1983 führte die taz ihre Seite "Leibesübungen" ein: der Distanz, Ironie und über die Jahre auch der Recherche verpflichtet. Andere Blätter zogen nach. Auf einmal wurden Fans, Wissenschaftler, Spieler oder Anwohner befragt, und man ließ sich nicht mehr alles vom Pressesprecher in den Block diktieren.

Am vergangenen Wochenende kamen in Dortmund 170 Journalistinnen und Journalisten zur ersten Konferenz im deutschsprachigen Raum zusammen, bei der es um kritischen Sportjournalismus gehen sollte. Veranstaltet wurde sie vom Institut für Journalistik der TU Dortmund und vom Sportnetzwerk, einem noch recht jungen Zusammenschluss der Recherche verpflichteter Sportjournalisten. Auf ein Ereignis wie diese Konferenz hatte man je nach Lebensalter seit 10, 20 oder 50 Jahren gewartet, und am Rande der Veranstaltung war immer zu hören, hier seien ja auch die "Großen der Szene" anwesend, und mancher scherzte vom Autogramm, das er sich von dem ein oder anderen abholen wollte.

Zum Wandel des Sportjournalismus gehört jedoch auch, dass die Vorbereiter des besseren Sportjournalismus in Deutschland nicht nur nicht anwesend waren, sie wurden auch kaum vermisst. Die frühen Macher der taz-Leibesübungen fehlten, die Blattmacher von Hattrick oder Caracho und von Projekten aus jüngerer Zeit, wie den Fußballmagazinen 11Freunde oder Rund, waren in den 22 Workshops, die in Dortmund angeboten wurden, nicht präsent.

Es hat sich, was niemandem zum Vorwurf zu machen ist (schon gar nicht den verdienstvollen Organisatoren der Konferenz), eine Form der Institutionalisierung des kritischen Sportjournalismus herausgebildet: Selbst kleinere Redaktionen halten sich ihren Experten für Sportpolitik, Themen wie Kommerzialisierung, Doping, Rechtsextremismus oder Fankultur werden mittlerweile von den Agenturen bedient, von denen man früher nur die zeitnahe Übermittlung jeder gelben Karte gewöhnt war.

Aber die Art der Behandlung dieser Themen hat sich eben auch geändert. Das alles beherrschende Thema der Dortmunder Konferenz war Doping, und hier lässt sich die Transformation nicht schlecht zeigen. Doping ist pfui, lautet der Konsens, da ist vom "Verbrechen" oder der "Seuche" die Rede, ein besonders kritischer Journalist, Elmar Theveßen vom ZDF, suchte in seinem Workshop gar Parallelen zwischen Terror und Doping, zwischen Bin Laden und Erik Zabel. In einem anderen Vortrag entwarf die Journalistin Grit Hartmann das Bild einer "Propagandamaschine", die von der deutschen Sportpolitik installiert werde, Doping sei das "Menetekel einer entfesselten Moderne".

Ein der Aufklärung verpflichteter Grundsatz, alles in Frage zu stellen, eben auch das eigene Urteil oder Vorurteil zu diesen Dingen, ist verloren gegangen: Ist es wirklich richtig, im Namen dessen, was so unkritisch "sauberer Sport" genannt wird, Berufsverbote zu fordern? Verletzen die Dopingkontrollen nicht Privatsphäre? Läuft die Forderung nach strengeren Kontrollen nicht einher mit Wolfgang Schäubles Vorstellungen einer kontrollierteren Gesellschaft? Solche Fragen wären es, die von außen gestellt werden müssten, vom nicht etablierten Journalismus, von denen, die sich nicht auf den Wettlauf einlassen, wer zuerst den deutschen Biathleten Doping nachzuweisen vermag.

Ansätze in diese Richtung des Journalismus gibt es, sie waren in Dortmund präsent. Es sind die vielfältigen Blogger, die sich mit der literarischen und fachlichen Qualität der Qualitätspresse auseinandersetzen, die das Internet- und Fernsehgeschehen kritisch verfolgen und vor allem: sehr frei diskutieren.

Der gegenwärtige Zustand des Sportjournalismus lässt sich vielleicht so zusammenfassen: Wir sind nicht mehr die Deppen der Redaktion, sondern haben in zu vielen Bereichen derart erfolgreich aufgeschlossen, dass wir zu den Normalen der Redaktion zählen. Das ist wesentlich besser als früher, mehr nicht.

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