Die Kraft des Tresens

Ursprungsort Das bevorstehende Rauchverbot in Kneipen ist ein weiterer Beleg für das Ende der sozialdemokratischen Kultur

Was wird eigentlich aus der Eckkneipe? Solche Sorgen werden in der Regel nur abseits des großen politischen Diskurses formuliert, doch der Wille der Großen Koalition, das Rauchen und andere Genüsse bis zur völligen Unattraktivität einzuschränken, trifft besonders die kleinen Eckkneipen. Plötzlich sollen extra ausgewiesene Raucherräume geschaffen werden. Zur Konkurrenz durch den Markt, auf dem ambitionierte Szenecafés und hell-freundliche Coffee-to-go-Shops ihren Beitrag zur Abschaffung der Eckkneipe leisten, gesellt sich nun die Bedrohung durch ein staatlich verordnetes Aus.

Das gesellschaftliche Umfeld hat sich ohnehin gegen die Kneipe um die Ecke verschworen: Einen gemeinschaftlichen Feierabend, der etwa um fünf oder sechs Uhr beginnt und jeden Tag stattfindet, gibt es schon lange nicht mehr. Die bereits ohne Rauch- und sonstige Verbotsforderungen prekäre Lage der Eckkneipen resultiert aus dem Scheitern der gewerkschaftlichen Bemühungen, das Normalarbeitsverhältnis zu retten.

Durch die Verbotspläne wurde ein interessanter Wettlauf eingeleitet: Beschert der Staat mit seinen Verboten oder der Markt mit seiner Verdrängung den Eckkneipen das Ende? Was im Falles des Marktes benennbaren Gesetzmäßigkeiten gehorcht, wirkt beim Staat irritierend: Wenn der Staat über den Umweg Nichtrauchergesetz die proletarische Eckkneipe eliminiert, ist das, als überwältigte ein mobiles Einsatzkommando einen kiffenden 97-Jährigen - eine reine und nur dämliche Machtdemonstration am schwachen Objekt. Jens Jessen vermerkte in der Zeit der letzten Woche, dass bei den Verbotsplänen vor allem die Vergnügen unterer Schichten zur Disposition stehen: Alkohol, Tabak, Hunde, Autos, billige Fernreisen, Computerspiele, Fernsehen und Fastfood. "Der Klassencharakter lacht einen geradezu schamlos an", schreibt Jessen.

Dem in den aktuellen Verbotsgesetzen offensichtlichen Illiberalismus haftet nichts Soziales an, nichts womit, um es mal plakativ zu formulieren, neoliberale Auswüchse des globalisierten Marktes beschnitten, die schlimmsten Nachteile abgefedert werden könnten. Es geht, und damit werden die Verbote ja auch begründet, um scheinbar allgemeingültige, höhere Werte: Nichtrauchen für die Volksgesundheit, kein Alkohol für die Jugend ebenso, gleichfalls aus diesen Gründen kein maschinell gefertigtes Essen mehr, keine Billigflüge für den Klimaschutz, und damit es künftiger weniger Amokläufe in Gymnasien gibt, werden Computerspiele verboten. Als wäre Zensur jemals eine gute Idee gewesen.

Dass das Rauchen, um beim gegenwärtig am stärksten diskutierten Thema zu bleiben, gerade wenn es im Übermaß geschieht, nicht gesund ist, wissen ja alle. Es ist ähnlich bekannt, wie der Umstand, dass zu viel Arbeit und zu wenig Schlaf ungesund sind, und dass es auch nicht dem Wohlbefinden dient, einen Arbeitstag hundemüde anzutreten, der sich nur mit viel Kaffee überstehen lässt. Um es mit Erich Kästner zu sagen: "Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich."

Der Eifer, mit dem zurzeit für das staatliche Verbot des Rauchen gestritten wird, legt den Verdacht nahe, es handele sich beim Rauchen um etwas Subversives. Der Verdacht ist nicht abwegig, betrachtet man beispielsweise die gängige Rede vom "Stammtisch", der alkohol- und rauchgeschwängert Ursprungsort diskriminierender Reden sein soll. Hier wird die Kneipe mit ihren Charakteristika Bier und Zigarette als Ursprungsort des Faschistoiden denunziert, als wären es der Tisch, das Getränk oder die Rauchschwaden, die es zu bekämpfen gelte - statt die Urheber der rechten Sprüche. In der pseudopolitisch begründeten Ablehnung des Stammtischs findet sich die bloß auf andere projizierte eigene Angst vor der vom Alkohol gelösten Zunge, die dafür sorgt, dass sowohl kluge als auch dumme Gedanken jeweils schärfer formuliert werden: Nennt man im Suff seinen Chef ein Arschloch, geht es im Folgenden ja nicht darum, ob man recht hat, sondern ob ihm diese allzu freie Rede hinterbracht wird.

In einer funktionierenden proletarischen Öffentlichkeit wäre das anders. Wie der Volkspark in den Städten für die Menschen da ist, die sich keinen Garten, schon gar nicht parkähnlich angelegt, leisten können, so ist die Kneipe für die Menschen da, denen Salons, Herren- und Raucherzimmer in der Wohnung nicht nur nicht bezahlbar, sondern kulturell auch nicht vorstellbar sind. "Das einzige Bollwerk der politischen Freiheit des Proletariats, das ihm nicht so leicht konfisziert werden kann, ist - das Wirtshaus", schrieb der Sozialdemokrat Karl Kautsky. Dort waren die Gedanken frei.

Die gesellschaftlichen Konsequenzen, die das anstehende Rauchverbot haben wird, sind nur weitere Belege für das Ende sozialdemokratischer Kultur. Die SPD wurde natürlich in einem Wirtshaus gegründet, 1869 im Eisenacher "Goldenen Löwen", und die ganze Arbeiterbewegung ist nur vor dem Hintergrund rauchgeschwängerter Kneipenzimmer denkbar. "Ohne Wirtshaus gibt es für den deutschen Proletarier nicht bloß kein geselliges, sondern auch kein politisches Leben", verkündete Kautsky. Seine Nachfahren namens Ulla Schmidt und Kurt Beck haben mit solch klugem soziologischem Verständnis gesellschaftlicher Prozesse nichts am Hut.

Es ist kein Zufall, dass die Verbotslust die Zigarette trifft und nicht im gleichen Umfang die Pfeife und Zigarre. Die Zigarette ist die proletarische, die schnelle Genussform. Darin ähnelt sie dem Massengenuss von Pils, der erst durch die Entwicklung industrieller Fertigungsformen für untergäriges Bier möglich wurde. "Tatsächlich erscheint das Prinzip moderner kapitalistischer Produktion und Konsumtion in der Zigarette exemplarisch", schreibt der Historiker Wolfgang Schivelbusch. Der schnelle Rausch durchs schnell gekippte Pils und die hastig gepaffte Zigarette sind die Genussformen, die der Takt der fordistischen Maschinenparks erlaubt. "Die Zigarette kennt nicht mehr das eigentliche Rauch-Ritual, das Pfeifen- und Zigarrenrauchen begleitet", beschreibt Schivelbusch den Klassencharakter der unterschiedlichen Genussformen. "Das traditionelle Ritual ist auf die Sache, den Tabak, bezogen. Dafür entwickelt die Zigarette einen neuen Typ von Rauch-Ritual: er ist bezogen nicht auf die Sache - die von der Reklame verdeckt ist -, sondern auf die Reklame." Was in dieser Darstellung als zu brechende Manipulation erscheint (und zum Teil ja auch so begründet wird), ist im Grunde nur das, was man von jeder anderen Emanzipationsbewegung auch kennt: dass sie nämlich nur in bürgerlicher Prägung (meinetwegen auch: Deformation) denkbar ist. Dass es eben kein richtiges Leben im falschen gibt.

Selbstverständlich ist Rauchen ein Zeichen für den Wunsch nach Emanzipation - wie bestimmte Kleidermoden, Musiktrends und Haarstile auch. Rauchen spielte hier immer eine besondere Rolle, wie nicht nur die paffenden 12-jährigen Bengels beweisen, die auf dem Jungenklo Erwachsene spielen. Deutlicher und seriöser wird es in den Kämpfen, die beispielsweise viele Frauen sowohl in den zwanziger- als auch in den fünfziger Jahren um ihr Recht führten, öffentlich rauchen zu dürfen. Trotz aller Nichtraucherkampagnen der letzten Jahre ist die Gruppe der jungen Frauen, die mit dem Rauchen beginnen, die einzige Rauchergruppe, die wächst. Es ist eben immer noch ein Symbol für den Wunsch nach individueller Autonomie.

Welchen Fetisch die Zigarette befriedigt, lässt sich in der Werbung anschauen: der Geschmack von Freiheit und Abenteuer, die Verheißung von liberté toujours. Dass Freiheit etwas anderes ist, muss niemandem erklärt werden - das wissen alle. Aber es sind Symbole. Und sage keiner, es seien nur Symbole; wahre, echte - oder wie immer sie dann geheißen wird - Emanzipation sei etwas anderes. Viele Kämpfe der Gegenwart, etwa gegen die Pflicht von Mädchen und Frauen zum Tragen von Kopftüchern oder um christliche Kreuze in Schulzimmern, handeln scheinbar nur von Symbolen. Und die Frage, wer den öffentlichen Raum bestimmt, wer verbieten oder erlauben darf, wie man sich im öffentlichen Raum bewegt, ist für eine bürgerliche und halbwegs liberale Gesellschaft von großer Bedeutung.

So betrachtet sind die Verbotsgesetze, die auf Länder- und Bundesebene gegenwärtig durchgesetzt werden, ein dramatischer Rückschritt. Sie erinnern an das 19. Jahrhundert: Die gesellschaftlichen Strukturen sorgen geradezu notwendig für die Missachtung gesundheitlicher Standards bei der großen Mehrheit der Bevölkerung, doch dem Staat und den gesellschaftlichen Eliten fallen keine besseren Ideen ein, als Verbote auszusprechen oder Appelle an die Eigenverantwortlichkeit zu formulieren. Friedrich Engels hielt dem die simple Beobachtung der Realität entgegen: "Es ist die moralische und physische Notwendigkeit vorhanden, dass unter diesen Umständen eine sehr große Menge der Arbeiter dem Trunk verfallen muss."

Dass im 19. Jahrhundert wesentlich über das Trinken debattiert wurde und heute eher über das Rauchen, markiert keinen qualitativen Unterschied. In beiden Fällen sind die Kampagnen primär von der Sorge um den Zustand der Volksgesundheit getragen. In beiden Fällen werden aus diesem Grunde liberale Werte geopfert wie das Recht, über sich selbst zu entscheiden. Und die in beiden Fällen zu beobachtende illiberale Komponente kann man durchaus weiter denken. "Als ob die Behandlung seines Körpers jedes einzelnen Sache selber wäre", heißt es in Hitlers Mein Kampf. "Es gibt keine Freiheit, auf Kosten der Nachwelt und damit der Rasse zu sündigen."

Also: Verteidigt das Bierchen und die Zigarette in der Eckkneipe! Das ist nämlich Politik.


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