Am Samstag gehen in Salt Lake City - bis vor wenigen Wochen noch Olympiastadt - die 9. Winter-Paralympics zu Ende, und erstmals werden diese Olympischen Spiele für Behinderte täglich von ARD und ZDF umfassend ins Bild gesetzt. Deutsche Erfolge bleiben nicht aus, aber die Namen der Goldmedaillengewinner wird sich dennoch kaum einer merken können oder wollen, und auf einen "Zickenstreit" wie zwischen den nichtbehinderten Anni Friesinger und Claudia Pechstein wartet das medial geprägte Publikum leider vergeblich. Ein Streit zwischen einer Oberschenkelamputierten und einer Querschnittsgelähmten würde von weiten Teilen des Publikums vermutlich als geschmacklos wahrgenommen.
Immerhin, die Freunde der Nationenwertung kommen auf ihre Kosten und das nicht nur, wenn sie Deutschland-Fans sind, wie man Nationalisten im Sport nennt. Zwar gibt es bei den Winter-Paralympics in Salt Lake City, anders als bei den Olympischen Spielen, lediglich vier Sportarten - Biathlon, Ski Alpin, Skilanglauf und Eisschlittenhockey, was eine Art Eishockey darstellen soll -, aber dennoch sind jede Menge Auszeichnungen im Angebot: Die etwa 500 Sportler und Sportlerinnen in Salt Lake City streiten um 300 Medaillen. Unterscheiden die für nichtbehinderte Sportler zuständigen Verbände meist nur zwischen Männern und Frauen, was, wenn es sich um den Schachverband handelt, ja auch nicht so richtig nachvollziehbar ist (und ich mir gerne mal die Argumente desjenigen anhören würde, der zwar für eine Trennung von Frauen- und Männerschach eintritt, gleichwohl Schach nicht als Behindertensportart gelten lassen möchte), so haben die Behindertensportler eine kaum überschaubare Liste an Schadensklassen aufgestellt, deren vordergründiger Zweck es ist, für Gerechtigkeit zu sorgen, damit nicht völlig unterschiedlich behinderte Sportler um die gleiche Goldmedaille wetteifern.
Zwölf solcher Klassen gibt es mittlerweile. Vollblinde etwa starten mit solchen Sportlern in einer Gruppe, die zwar über Lichtempfinden verfügen, aber nur die Umrisse einer Hand erkennen können. Letztere müssen im Wettkampf jedoch eine undurchsichtige Brille tragen. Sie werden zusammengefasst. So ist es mit anderen, von entsprechenden Kommissionen als vergleichbar eingestuften Behinderungen auch. Da wird die Schwere in Prozent und nach Punkten angegeben, damit es einigermaßen große Teilnehmerfelder gibt. Früher gab es noch mehr Schadensklassen, und die Wahrscheinlichkeit mit einer Medaille nach Hause zu fahren, war noch größer. Was freilich auch diese Botschaft enthielt: Wer´s nicht mal da aufs Treppchen schafft, ist erst recht ein Loser.
Das Problem mit den Schadensklassen ist diffizil, und es erweist sich als das große Dilemma des Behindertensports. Einerseits hat Sport einfach zu sein, leicht verständlich, und am Ende eines Wettkampfs will der Zuschauer wissen, wer gewonnen hat. Wenn aber nach einem Biathlon-Rennen der Erste, der über die Ziellinie fährt, Gold gewonnen hat, der Zweite ebenso, der Dritte jedoch Silber erhält, der Vierte hingegen wieder Gold, dann mögen die jeweiligen Schadensklassen noch so gut und gerecht zugeordnet sein, eine Popularisierung dieses Sports wird gleichwohl nicht gelingen.
Andererseits wird aber seitens des Publikums vom Behindertensport erwartet, dass er als das Besondere erkennbar bleibt: Sport von Menschen, die ein sichtbares (und anders als in der Fußgängerzone bei den Paralympics wirklich zum Angaffen freigegebenes) körperliches Handicap aufweisen und damit scheinbar übermenschliche Leistungen vollbringen. Lockert man die Schadensklassen im Sinne der Vereinfachung des Sports, gewinnen über kurz oder lang die am wenigsten Behinderten, und die sehen dann aus - welche Enttäuschung fürs Publikum - wie ich und du. Dabei hat man sich doch einen richtigen Behinderten immer ganz anders vorgestellt. Belässt man jedoch die Schadensklassen so wie sie gegenwärtig sind oder macht sie gar für die Aktiven noch gerechter (schließlich ist jede Behinderung individuell), bleibt alles beim Charakter des Behindertensports als randständige Exotenveranstaltung, wo Blinde nach Gehör schießen und Beinamputierte auf süßen kleinen Schlitten Eishockey spielen.
Als das, was sich die meisten Behindertensportler wünschen, als ein richtiges Sportereignis, ausgetragen von richtigen Sportlern, haben die Paralympics keine Chance: Ihre Marktlücke besteht lediglich im Exotendasein. Das wiederum unterscheidet die Behindertensportler nicht so sehr vom Alltag nichtsporttreibender Behinderter, und ist also irgendwie normal.
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