Im Boxen sagt man, daß du von dem Punch ausgeknockt wirst, den du nicht kommen siehst«, schreibt die amerikanische Feministin, Schriftstellerin und Box reporterin Katherine Dunn in ihrem Essay Just as Fierce: »Im größeren Zusammenhang gilt, daß wir dann geschwächt sind, wenn wir die Realität ignorieren. Wir leben mit unterschiedlicher Wahrnehmung von männlicher und weiblicher Aggression. Die Aggression von Frauen wird einfach nicht als real wahrgenommen. Sie gilt nicht als gefährlich, nur als süß. Oder sie gilt nur als Selbstverteidigung oder als irgendwie von Männern inspiriert. In den wenigen Fällen, in denen man nicht umhin kann, eine Frau als wirklich verantwortlich für eine Gewalttat zu bezeichnen, wird sie als
Frauen, die hauen
PROFIBOXERINNEN Kampfsportarten sind längst keine Männerdomäne mehr, und wie ein Blick in die Geschichte des Boxens zeigt, waren sie es auch nie
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wird sie als Monster und als unnatürliche Frau bezeichnet.«Katherine Dunn lobt das Boxen, sie empfindet es als faszinierend, egal, ob Frauen oder Männer boxen. Dabei scheint ihr Lob zunächst ein modisches zu sein, denn das zugrunde liegende Phänomen Frauen-Profiboxen ist auf den ersten Blick eine Erscheinung der neunziger Jahre. In Deutschland werden die Kämpfe der 22jährigen Fliegengewichts-Weltmeisterin Regina Halmich seit kurzer Zeit im Fernsehen übertragen, mit Silke Weickenmeier, Daisy Lang und Jeanette Witte gibt es noch weitere gute deutsche Berufsboxerinnen, und der Anteil von Frauen in Amateurboxvereinen beträgt in Nordrhein-Westfalen beispielsweise circa 25 Prozent.In Großbritannien erkämpfte 1998 mit Jane Couch einer der Stars der Boxerinnen-Szene gegen den nationalen Verband BBBC vor Gericht die Profilizenz, nach ihr kamen viele Frauen, zum Teil bereits in eigenen Gyms trainierend. Recht verbreitet ist Frauenboxen noch in Italien, Frankreich und Spanien, und auch aus der Schweiz kam schon mal eine Profiweltmeisterin.Am verbreitetsten ist professionelles Frauenboxen in den USA. Hier gibt es in beinah jeder Gewichtsklasse Stars, hier wird für einzelne Kämpfe mehr als 100.000 Dollar Gage gezahlt, und hier kümmern sich so umstrittene Starpromoter wie Don King um die Boxerinnen.Katherine Dunn hat sich mit vielen amerikanischen Amateur- und Profiboxerinnen unterhalten. »Auf die Frage, warum sie kämpfen wollten, antworteten beinah alle, daß sie es genießen, genauso, wie es Männer und Jungen genießen.«Dunn folgert aus ihren Beobachtungen unter Boxerinnen in Bezug auf die Konstruk tion von weiblicher Identität im Anschluß an neuere feministische Diskurse mit einem Bekenntnis zur Heterogenität: »Es ist an der Zeit, zu erkennen, daß es eine Vielzahl unterschiedlicher Frauen gibt. Frauen sind real. Und dieses Reale deckt alle menschlichen Rollen ab, von brav bis wild, von schlecht bis gut, von verängstigt bis gefährlich. Es ist nicht nur so, daß wir Macht verdient hätten, wir besitzen sie schon. Und Macht in dieser und jeder anderen Gesellschaft ist nicht nur die Fähigkeit, Gutes zu tun. Sie schließt absolut und notwendigerweise auch die Fähigkeit ein, Schaden anzurichten und die Bereitschaft, dafür Verantwortung zu akzeptieren.«Dunn argumentiert gegen feministische Autorinnen wie Andrea Dworkin, Catherine MacKinnon oder Patricia Ireland, denen sie vorwirft, sie pflegten Frauen primär als hilflose Ziele männlicher Gewalt zu zeichnen.Boxen sollten Frauen, so könnte man Dunns Argumentation zusammenfassen, nicht aus dem Gedanken der Selbstverteidigung heraus, sie sollten es auch nicht tun, um mit Männern gleichzuziehen, sich auf deren Feld unter dem von ihnen aufgestellten Regelwerk zu messen, sondern - es klingt ein wenig banal und markiert gleichwohl im Widerspruch zu manch früherem Diskurs das aktuelle weibliche Selbstverständnis - diejenigen Frauen sollten boxen, die gerne boxen.Die Anfänge des FrauenboxensDie Geschichte des Frauenboxens beginnt nicht etwa, wie man annehmen könnte, in den neunziger Jahren dieses Jahrhunderts, sondern zur gleichen Zeit wie das Männerboxen, nämlich im 18. Jahrhundert, sie ist aber beinah völlig verdrängt und vergessen worden.Einer der ersten Hinweise auf öffentliches Frauenboxen ist diese angeblich im Jahr 1728 in der englischen Daily Post erschienene Anzeige: »Ich, Elisabeth Wilkinson, wohnhaft zu Clerkenwell, habe mit Anna Hyfield einen erregten Wortwechsel gehabt, bei dem diese sich zu Beleidigungen hat hinreißen lassen. Ich bin nun keineswegs gewillt, die Sache im Sande verlaufen zu lassen und verlange Sühne. Deshalb fordere ich sie zu einem Zweikampf heraus unter der Bedingung, daß wir um den Einsatz von 60 Pfund kämpfen. Wer die andere zu Boden schlägt, soll Siegerin sein.« Wenige Tage später soll Anna Hyfield aus Newgate Market geantwortet haben: »So Gott will, werde ich dir mehr Schläge erteilen, als du vertragen kannst. Ich mache wenig Worte, aber ich schlage desto härter!«Die englische Historikerin Vanessa Toulmin berichtet über das schauboxende Geschwisterpaar George und Grace Maddox, das in England ab 1776 gemeinsam bei Jahrmärkten auftrat. Grace assistierte ihrem Bruder George. Immer, wenn einer der Gäste über ihren Bruder gesiegt hatte, stieg sie in den Ring und verhaute ihn.Die historische Existenz des bemerkenswerten Pärchens ist wohl verbürgt. Ein Volkslied aus jener Zeit lautet:»George the pride of the milling race, Secur'd his conquests with a Grace But once neglected, changed the case, George ne'er had lost, had he said - Grace!« Das Boxen, in seinen englischen Jahrmarkt ursprüngen noch als »Pugilismus« vom Gentlemanboxen fein unterschieden, veränderte sich, und schon während die Männer nach dem neuen Regelwerk des Marquess von Queensberry (1867) boxten, gab es auch noch Boxerinnen. Eine der berühmtesten um 1880 herum war Polly Fairclough, die auch auf Jahrmärkten antrat und dort als »Female Champion of the World« beworben wurde. In den Erinnerungen eines Zeitgenossen, die erst im Jahr 1953 niedergeschrieben wurden, heißt es: »Ich sah Polly Fairclough, eine sehr intelligente Boxerin, bei der Burton Statute Fair vor vielen Jahren, um 1880. Ich erinnere mich auch an eine andere Boxerin, die gemeinsam mit ihrem Ehemann auftrat, der überall Mush Collings genannt wurde.« Die genannten Boxerinnen waren kein einzigartiges Phänomen. William Moore etwa, der eine Boxbude besaß, hatte um 1912 eine zeitweilige Boxlizenz für seine Töchter beantragt, damit sie in der Familienshow boxen durften. Die Historikerin Toulmin berichtet von etlichen solcher Familienboxunternehmen, zum Beispiel interviewte sie einen Mann, der von seiner Familie berichtete: »Meine Großmutter und mein Großvater boxten gewöhnlich gegeneinander, wobei meine Großmutter immer erzählte, daß sie meinen Großvater sehr geärgert hätte. Meine Großmutter boxte auf dem Jahrmarkt auch gegen Männer aus der Menge, da trug sie dann einen Brustschutz, aber mein Großvater erzählte, daß sie so schnell war, daß sie ohnehin von niemandem getroffen wurde.« Nach dem Ende des ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution gab es solcherart öffentliches Frauenboxen auch in Deutschland. Boxende Damen hatte es in Deutschland vorher nur in Clubs und Salons gegeben, wo sie sich von Boxlehrern unterrichten ließen. Bis 1918 war aber jedwedes öffentliche Boxen in Deutschland verboten. Ab 1920 wurden im Berliner Metropol und im Berliner Friedrichstadtpalast Damenbox-Wettbewerbe veranstaltet. In einer Polemik dagegen schreibt der unter dem Pseudonym »Rumpelstilzchen« veröffentlichende deutsch-nationale Major a.D. Adolf Stein: »Innerhalb des viereckigen Kampfplatzes, den man ÂRing nennt, ist nun noch ein kleineres Viereck abgegrenzt. Auf diesem wird geboxt. Unsäglich komisch geboxt. Um die Federgewichts-Meisterschaften von Mittelgalizien. Eigentlich geben sich die Damen nur operettenhafte Ohrfeigen. Alles ist einstudiert, auch der Sieg der angeblich deutschen über angeblich ausländische Boxerinnen, auch das angeblich impulsive Lospauken der angeblichen Ilona Kowacs, einer drallen Köchinnenfigur, die wegen unfairer Kampfesweise - sie tritt die Gegnerin vor die Schienbeine - distanziert wird und nun dem Manager zu Leibe geht und ihm einen Blecheimer an den Kopf wirft.« Andere Quellen, wie etwa sporadische Hinweise im seit 1920 existierenden Fachblatt Box sport, legen nahe, daß einige der im Metropol und Friedrichstadtpalast durchaus sportlichen Charakter trugen. Und in England war trotz der Nähe zu den Jahrmärkten immer ein sportlicher Wettbewerb sichergestellt. Eine der berühmtesten Boxerinnen wurde die 1913 geborene Annie Hayes, geborene Hickmann. Ihre ganze Familie verdiente sich durch Boxen ihren Lebensunterhalt; sie erzählte einmal in einem Interview: »Ich muß um die 14 gewesen sein, als ich mit der Arbeit in der Show begann, aber ich sah älter aus, weil ich sehr groß war. Am Anfang schlug ich nur den Sandsack, was niemanden aufregte. Einmal waren wir in Worcester, und das Zelt war voller Zigeuner, einer sagte: ´Ich boxe gegen sie´, mein Vater sagte nein, aber ich protestierte, denn er hatte den Leuten ja immer erzählt, ich sei Champion der Ladyboxer, so müßte er mich wohl auch mal kämpfen lassen. So trat ich also mit dem Zigeuner in den Ring, sidesteppte ihn ein- oder zweimal aus, wie ich es bei meinem Dad und meinem Bruder gesehen hatte - ich wußte ja, was ich zu tun hatte. Er war irritiert, so tanzte ich ihn nochmal aus, und dann schlug ich ihn - er ging aus dem Ring.« Die Motive der Profiboxerinnen, die meist auf dem Jahrmarkt antraten, waren unterschiedlich. Meist fingen sie aus den gleichen Gründen an wie ihre Brüder - weil sie einfach in eine Boxerfamilie hineingeboren wurden. Von einer besonderen Freiwilligkeit in der Berufswahl läßt sich vielleicht nicht sprechen, der Zwang jedoch ist nicht größer als bei anderen beruflichen oder familiären Entscheidungen von Frauen in der jeweiligen Zeit. Der Grad der Freiwilligkeit nahm mit der Zeit zu. Der erkennbar mit gehässigem Blick von dem Phänomen berichtende deutsch-nationale Major Stein alias Rumpelstilzchen kolportiert eine Antwort, die er im Metropol erhielt: »Wenn andere Damens sich im Reichstag wählen lassen, warum soll'n wa denn nich boxen dirfen?« Frauenboxen, auch wenn es um Meisterschaften ging, fand weder in England noch in den USA oder Deutschland unter dem Dach der jeweiligen Profi- oder Amateurverbände statt. Das Fehlen einer institutionellen Absicherung erleichterte die Verdrängung und das später von den jeweiligen Männerverbänden ausgesprochene Verbot. In Deutschland wurde Jahrmarktboxen und damit auch das Frauenboxen 1937 verboten. Nach 1945 wurde an diese Tradition zunächst nicht wieder angeknüpft, zumindest nicht mit sportlichen Ambitionen. Legalisierung in den neunziger Jahren Erst im November 1994 fand wieder ein öffentlicher Nachkriegs-Frauenboxkampf in Deutschland bei den »1. Hamburger Frauensporttagen« statt, eine Legalisierung des Amateurboxens erfolgte im Jahr 1996, also erst vor drei Jahren. Vorher machten sich die Verbandsfunktionäre Sorgen um weiblichen Brustkrebs und andere biologische Probleme. Die Argumentation des britischen Verbandes BBBC, die 1998 in dem von Jane Couch angestrengten Arbeitsgerichtsprozeß vorgetragen wurde, lautete, Frauen seien aufgrund ihrer Monatsperiode »mental instabil« und fürs Boxen ungeeignet. Betrachtet man die mittlerweile entwickelte Frauenboxszene, fällt auf, was Sportsoziologen schon für andere Sportarten, beispielsweise dem Tennis oder dem Fußball, herausgefunden haben: Frauensport wird zwar nach den gleichen, allenfalls gering modifizierten Regeln wie Männersport betrieben, gehorcht aber einer eigenen Ästhetik, einer eigenen Dramaturgie und in gewisser Weise auch eigenen Werten. Analog zu Erkenntnissen der feministischen Linguistik, wonach männliches Gesprächsverhalten oftmals dem Ziel gehorcht, eine Diskussion als Punktsieger (übrigens ein Begriff aus dem Boxsport) zu verlassen, während bei Frauen eher ein Bedürfnis nach Ausgleich im Dialog als nach ergebnisorientiertem Ideen-, Meinungs- und Informationsaustausch festzustellen ist, daß also trotz Benutzens der gleichen Sprache und Regeln nicht in jedem Fall kompatible Sprechweisen entstanden sind, läßt sich beim Sport formulieren: Die Fähigkeit eines männlichen Weltklassetennisspielers oder -boxers, eine gleichfalls in der Weltklasse angesiedelte Konkurrentin derselben Sportart mit ziemlicher Sicherheit sportlich zu besiegen, kann nicht als Überlegenheit des Männersports über den Frauensport gedeutet werden, sondern nur als Demonstration jeweils unterschiedlicher Praxis. Wobei diejenige Praxis, welche stärker auf die Effizienz und aufs Gewinnenwollen orientiert ist, tatsächlich auch meist obsiegt. Beim Frauenboxen ist diese Beobachtung, die sich in der Sportsprache mit dem Hinweis, daß Frauen technischer, variantenreicher und weniger K.o.-orientiert boxen, ausdrücken läßt, noch um eine weitere zu ergänzen: Es haben sich in den USA einerseits und in Europa andererseits unterschiedliche Frauenboxsysteme entwickelt. In den USA treten die Kämpferinnen mit einem durch die Kleidung unterstützten Sexappeal in den Ring, sie tragen beispielsweise goldene und kurze Röckchen, knappe BHs und bieten große Show. Europäische Boxerinnen hingegen, Prototyp ist die Fliegengewichts-Weltmeisterin Regina Halmich, treten sportiv mit Wettkampfhose und Sport-BH in den Ring und verzichten auf die Betonung erotischer Aspekte des Boxsports. Ein Ausdruck dieser parallel existierenden weiblichen Boxsysteme ist, daß es schon drei Weltverbände im Profiboxen der Frauen gibt, jeder honoriert ein anderes Boxsystem. Ein anderer Ausdruck ist die sportliche Biographie der Kämpferinnen. In Europa kommen sie meist aus dem Kickboxsport, in den USA beginnen sie sofort mit dem Boxen, und nur ganz wenige entstammen, wie es bei den Männern am häufigsten vorkommt, der Amateurboxszene. All diese unterschiedlichen Boxsysteme geben Katherine Dunns These von der weiblichen Vielfalt Recht, die eben auch im weiblichen Profiboxen zu beobachten ist. Eine Gewichtung, welches Boxsystem besser, schöner oder effektiver ist, bedeutet diese Erkenntnis nicht. Der häufig in Europa vertretenen Auffassung, US-Frauenboxen sei ja bloß Show, wäre entgegenzuhalten, daß erstens Show und Entertainment ein hartes und von nicht allzuvielen Menschen beherrschtes Business sind und zweitens, daß die scheinbar das bloß auf sportliche Effizienz orientierte Boxen repräsentierenden deutschen Profikämpferinnen allesamt in den USA noch nicht gewinnen konnten. Auch ein Rückschluß von der wachsenden Präsenz von Frauen im »männlich« konnotierten Boxsport auf eine größere, gar vollständige Entscheidungsgewalt von Frauen über ihren Lebensweg, erscheint zumindest mit Blick auf die soziale Funktion, die Boxen für Frauen wie für Männer in den USA erfüllt - oft der einzige Weg aus dem Ghetto nämlich - unbegründet. Soviel läßt sich vielleicht sagen: Das Bild der kämpfenden Frau hat in allen gesellschaftlichen Bereichen an Attraktivität und Akzeptanz gewonnen und gilt nicht mehr als »unweiblich«. Das Boxen ist nur ein besonders prägnanter Ausdruck dieser gesellschaftlichen Entwicklung mit all ihren Widersprüchlichkeiten. Aber die Beschäftigung mit dem Boxen lehrt, jeden Punch zu sehen, damit man nicht ausgeknockt wird. Martin Krauß, freier Sportjournalist in Berlin, schreibt zur Zeit zusammen mit Knud Kohr ein Buch über die Geschichte des deutschen Profiboxens, das im Verlag Die Werkstatt, Göttingen, erscheinen wird.
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