Superstar ohne Migrationshintergrund

Lena Deutschland ist wieder Europameister: Lena hat der Zufriedenheit der Menschen ohne Migrationshintergrund, Hartz IV und Schulabbruch ein hübsches Gesicht verpasst

Nun also Lena. Nach 28 Jahren ist Deutschland wieder Europameister. Zwar nur im Singen, aber doch mit Fähnchen, Kreischen, Autokorso und Ministerpräsidenten, die sich anstellen, um einer 19-jährigen Abiturientin die Hand zu drücken.
Von einer „nationalen Aufgabe“ hatte Stefan Raab vorab gesprochen, danach von einem „historischen Augenblick“. Raabs Firma „Brainpool“ hatte in einem Casting die Sängern Lena Meyer-Landrut für den Eurovisions-Wettbewerb entdeckt und aufgebaut.
Da kann, wer will, nörgeln, dass so etwas einer Kulturnation, die im Mittelpunkt einer tiefen Krise der europäischen Währung steckt, nicht gemäß sei. Doch ist die politische Dimension der Veranstaltung unübersehbar. Die wirkt um so stärker, weil die Eurovision in den letzten Jahren etwas erlebt hat, das man mit leichten Bauchschmerzen einen Demokratisierungsschub nennen könnte: Die Punkte, die ein Land vergibt, werden zu 50 Prozent aus dem Publikumsvoting bestimmt, die andere Hälfte von einer Jury. Und immer häufiger finden in den Teilnehmerländern Castings statt. Beides zielt, zugegeben, nicht auf eine zu lobende Partizipation an kulturpolitischen Entscheidungen.

Vielmehr kommt zum einen durch die Anrufe der Fans Geld herein – und handelt es sich zum anderen schlicht um Legitimationsbeschaffung: Nicht eine Jury blamiert sich mehr mit „zero points“, sondern der Souverän selbst.
Hohe Wertungen in der Eurovisions-Geschichte erhielt die Bundesrepublik erst, als die sozialliberale Entspannungspolitik die Nachbarn in Europa entspannter leben ließ: das wurde mit dritten Plätzen 1970, 1971 und 1972 honoriert. 1974 wurde Helmut Schmidt Kanzler und Westdeutschland rutschte mit Cindy Bert prompt auf Platz 14 ab. Als Anfang der achtziger Jahre eine breite Friedensbewegung die politische Kultur Deutschlands dominierte, beruhigte das auch Schlager-Europa: 1980 und 1981 Platz zwei und schließlich 1982 nicht zufällig mit dem Titel Ein bisschen Frieden der bis 2010 größte deutsche Erfolg.

Dieses Jahr also ein bisschen Party, was wenige Wochen vor der Fußball-WM daran erinnert, wie positiv der „Partynationalismus“ bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland, in Europa wahrgenommen wurde: Freundliche Fahnenschwenkerei von Menschen, die erstaunlich nett aussehen. Die Schülerin Lena repräsentiert dieses offene, unschuldige und ihrem Selbstbild gemäße normal-patriotische Wesen der deutschen Gegenwartsgesellschaft auf sehr glaubwürdige Weise. Gerade der für eine deutsche Teilnehmerin an diesem Wettbewerb ungewöhnliche Umstand, nicht von der Bild-Zeitung promotet worden zu sein, belegt ihre credibility. Nachvollziehbar also, dass sich in die nette 19-Jährige nicht nur Deutschland, sondern seit Samstag Europa verlieben konnte.

Was an Lena Deutschland ist, erkennt man vor allem daran, was Lena nicht ist: Anders als bei den Casting-Shows des Fernsehens, allen voran Dieter Bohlens Deutschland sucht den Superstar auf RTL, haben sich bei der Vorauswahl von Raab und ARD wie selbstverständlich nur Bewerber ohne Migrationshintergrund, Hartz IV und Schulabbruch durchgesetzt. RTL mag seinen migrantischen „Superstars“ eine Chance zum sozialen Aufstieg versprechen, für die vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgetragene „nationale Aufgabe“ bleiben fürs erste Leute wie Lena vorgesehen, über die man dann erzählen kann, dass der Großvater westdeutscher Botschafter in Moskau und Chef des Bundespräsidialamtes gewesen ist. Und so ist Lena Meyer-Landrut vor allem: ein Kind aus höherem Hause, das der Zufriedenheit, die weite Kreise dieser Gesellschaft für dieses Land empfinden, ein hübsches Gesicht verpasst.

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