„Bulldozer-Edi“ lässt abreißen

Albanien Wenn Premier Rama das Land umbaut, ist für Rücksicht auf die Minderheit der Griechen fast kein Platz mehr
Ausgabe 16/2021

Nichts fasziniert mich an Albanien so sehr wie seine Baupolitik: Einerseits ist da ein geradezu drittweltlicher Wildwuchs, andererseits ein Künstler im Amt des Premierministers, der Hunderte von Schwarzbauten mit rigidem Zentralismus abreißen ließ, am Kreisverkehr der Tiraner Vorstadt Kamza persönlich Legalisierungsurkunden aushändigte und die versunkene Aromunen-Metropole Moscopole ganz aus Stein wieder aufbauen ließ. Der nationalistische Sozialist Edi Rama, seit 2013 im Amt, will am 25. April wiedergewählt werden. Albanien hat die zur Zeit wohl liberalste Coronapolitik Europas aufzubieten, also fahre ich wieder einmal an die albanische Riviera.

Kahlschlag an der Riviera

2016 knöpfte sich „Bulldozer-Edi“ nämlich den Hauptort der albanischen Riviera vor. Es handelt sich um Himara. Achtzehn Gebäude, die einer Verlängerung seiner neuen Strandpromenade mit LED-Lampen und aerodynamischen Holzbänken im Wege standen, bekamen den Räumungsbefehl. Da dieser Kahlschlag einen Lebensort der griechischen Minderheit betraf, erreichte das albanisch-griechische Verhältnis einen neuen Tiefpunkt. 2010 wurde Aristoteles Goumas in Himara von drei Albanern totgefahren, weil er sie in seinem Laden auf Griechisch bedient hatte.

Bei einem meiner letzten Besuche, im Herbst 2016, stolperte ich bei Dunkelheit in die griechisch-orthodoxe Strandkapelle des sehr griechisch geprägten Küstendorfs Drimades. Ich sah Ikonen, brennende Kerzen, Eidechsen auf den weiß gekalkten Wänden. Ein frischer weicher Geruch umfing mich, es war wärmer als draußen, ich hörte die Meeresbrandung. Nun ist die Strandkapelle versperrt. In einem Café am Steilhang hängt Donald Trumps Kampagnen-Wimpel „Keep America Great!“, der Cafetier kommentiert maliziös das allgegenwärtige Nachrichtenfernsehen. Dort wird auch Edi Rama gezeigt, nachts auf einem fast leeren Platz vor einem farbigen Neubau wahlkämpfend, einsam zuhörend in einen Stuhl versunken, neuerdings mit weißem Bart.

Als ich in Himara einfahre, sind auch dort Stühle in weiten Abständen aufgestellt, auf feuchten Rasenziegeln. Es wird soeben das von der Europäischen Union geförderte „Eco-Museum“ eröffnet, schön gemacht mit hölzernen und oben gepolsterten Sitztruhen, nur dass es kein einziges Ausstellungsobjekt zu sehen gibt. Von den Projektpartnern aus Italien und Montenegro ist keiner da. In den ausliegenden Reiseflyern kommt nichts Griechisches vor, allenfalls mit Ausnahme der Behinderten-Tourismusbroschüre Community Tourism and Accessibility, diese wurde von der italienischen Organisation „Magna Grecia Mare“ miterstellt.

Unten an der Strandpromenade sehe ich gleich: Die zum Abriss bestimmten Häuser stehen noch. 2016 besuchte ich die Familie Neranxis in ihrem einfachen zimmergroßen Anbau. Der 91-jährige Grieche ruhte in einem nachtblauen Pyjama und schwarzem Barett auf dem Diwan, seine 87-jährige Frau huschte behände zwischen Katzen umher. Nun sind die Vorhänge zu, auf dem Flachdach liegt ein Haufen schwarzer Äste. Er wäre jetzt 96, sie 92, sie könnten tot sein.

Meine Zimmerwirtin ist eine Himarer Griechin, stündlich bringt sie mir einen Imbiss, Wasser, Kaffee und Tee aufs Zimmer. Die Gastronomie hat bis 20 Uhr geöffnet, aber nur für eine Handvoll Touristen. Ein alter albanischer Geschäftsmann in Cordhose erklärt die Verschiebung von Phase zwei und drei der Weltpromenade mit den Protesten aus Athen. Er selbst findet Rama gut, natürlich dürfe die Regierung Gebäude abreißen lassen, wenn dies in öffentlichem Interesse sei.

„Edis Problem ist, dass er zu wenig Entschädigung zahlt.“ Eine griechische Gastwirtin brät mir einen Wittling-Fisch, der nur an diesem einen Tag der orthodoxen Fastenzeit gegessen werden darf, und zeigt mir einen Clip zum zweihundertjährigen Jubiläum des modernen griechischen Staates. „Abgerissen wurden nur ein paar Baracken am Kreisverkehr“, sagt sie, wegen der Proteste, die sie in der englischen Übersetzung als „a structure“ bezeichnen. Ein junger Himarer Auswanderer hat von diesen Konflikten noch nie etwas gehört. Eigentlich lebt der Bürger Griechenlands in London, „dort gibt es aber jetzt nichts zu tun“, darum lebt er derzeit in Athen, dort gibt’s auch nichts zu tun, aber es ist wenigstens Athen. Obwohl er nur zwölf Sommerwochen in Albanien verbringt, hat er ein Haus in Himara. „Ich bin doch nicht blöd und zahle 30 Euro pro Nacht im Hotel!“ Hausbesitz hat mythische Bedeutung; Teil des Konflikts ist, dass die hiesigen Griechen ihre Häuser grundsätzlich nicht an Albaner verkaufen.

Ansonsten schwimme ich. Ich schwimme in der muschelförmigen Himarer Bucht des Ionischen Meeres, schwimme mehrmals an den einfachen weißen Anbau der Neranxis’ heran. Niemand kann mir sagen, ob sie noch leben. Ich klopfe lieber nicht bei ihnen an.

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