Mit dem NATO-Beitritt Montenegros 2017 ist das kleine Ferienländchen zum Frontstaat geworden. Die NATO schickt jedes Jahr ihr „erstes Counter-Hybrid Warfare Team“ vorbei, und 2018 wurde in der Hauptstadt Podgorica unter dem Schirm des „Atlantic Council“ das „Digitalforensische Zentrum“ angesiedelt. Dieses DFC gewährte mir vor Ostern einen Termin, aufgrund eines Alptraums von kommunalen Corona-Quarantäne-Staus kam ich aber zu spät. Ich stand vor einem Stahltor mit metallic funkelnden Flächen und Augen, eine aufregende Balkanschönheit und ein kahler, seinen grauen Anzug sprengender Securitymann öffneten einen Spalt weit die Tür. Ein Eishauch von Pentagon umwehte mich. Sie schickten mich weg.
„Person of Contact“
Ich war auf diese digitalen Forensiker aufmerksam geworden, als sie eine verdeckte prochinesische Kampagne im serbischen Internet aufdeckten. Diese Kampagne wurde zwischen 9. März und 9. April 2020 ausgerollt, also in der Zeit, als alle europäischen Staaten verzweifelt medizinische Ausrüstung aufzutreiben suchten und die chinesische Regierung die serbische mit großem Pomp belieferte. „China ist ein großer, aufrichtiger Freund Serbiens“, twitterte da eine Ana Blažić, „sie unterstützen uns stets selbstlos, tapfer und bedingungslos!“ Auch ein Darko Veselić nannte die Volksrepublik einen „wahren Freund, der mit unwahrscheinlichem Enthusiasmus an die Serbien-Hilfe herangeht. Sie sind wirklich ein majestätisches Volk. Ein unendliches Danke!“ Der Haken daran: Laut dem DFC stammten 71,9 Prozent der 30.000 Tweets von Bots.
Vor Pfingsten, zufällig zum 15-jährigen Jubiläum von Montenegros erneuerter Unabhängigkeit, komme ich rein. Draußen vibriert die Terrassen-Landschaft um die Confiserie „Parisienne“, drinnen durchleuchtet mich NATO-Maske tragende Security. Außer einer Fotogalerie mit US-Politikern wie John McCain und vielen Notebooks gibt es nichts zu sehen. Mitarbeiter Milan – die Zahnspange gibt ihm was Ziviles – schüttelt mir die Hand. Maske trägt er nicht mehr, sie sind alle schon mit den hier eigentlich raren Pfizer-Vakzinen durchgeimpft. Das DFC, erklärt er, wird zu 100 Prozent vom US-State-Department finanziert. Die Information, wie viel Personal fürs DFC arbeitet, sei zwar nicht geheim, herausgegeben wird sie aber auch nicht. Aus allen Westbalkanländern außer Albanien liefern Freelancer zu, vor allem aber „haben wir eine PoC bei Twitter in Zagreb“. Auch dank dieser „Person of Contact“ pflegt Twitter auf Zuruf des DFC einzuschreiten. Alle 1.124 China-Jubel-Bot-Profile wurden zum Beispiel rasch gelöscht.
„Unser Hauptziel“, sagt der junge Politikwissenschaftler, „ist die Beschäftigung mit bösartigem ausländischen Einfluss, vor allem aus China und Russland.“ Da war „bösartiger russischer Einfluss“ in Montenegro seit 2015, ein angeblicher russisch-serbischer Putschversuch am Tag der Parlamentswahl 2016, „so haben wir begriffen, dass wir etwas dagegen tun müssen“. Montenegro ist das NATO-Mitglied mit der prorussischsten Bevölkerung. „Wenn es ein Referendum gegeben hätte“, gibt der begeisterte NATO-Anhänger zu, „wäre Montenegro nicht in der NATO.“ Auch deswegen wurde das DFC im abgelegenen Podgorica angesiedelt. Ich muss ihn mehrmals fragen, ob er es für fair hält, ohne demokratische Mehrheit einem Militärbündnis beizutreten. „Why not?“, sagt er schließlich. „Es gab im Parlament eine Mehrheit dafür.“
Der Fokus der DFC-Arbeit liegt auf Serbien, auch weil es den „Backchannel“ für russischen Einfluss auf dem Balkan darstellt. Milans These, wonach Serbien einige proserbisch-prorussische Politiker Montenegros hochschreibt, kann ich als Leser der fünf serbischen Revolverblätter bestätigen, etwas weniger seine Aussage: „Wenn du in Serbien ein Medium aufmachst, glaubst du, du bist in China.“ Eher glaubt man, man ist in einem von einem Genie regierten Land.
Das DFC nutzt die beste und teuerste Tracking-Software, die üblicherweise aus den USA und Israel kommt. Die hybriden Kriege, gegen die das DFC in der letzten Zeit forensisch gekämpft hat, weisen allerdings bei Weitem nicht immer Züge eines großen gefinkelten geostrategischen Weltringens auf. Auffällig oft beschäftigt sich das DFC mit einem kleinlichen Fingerhakeln zwischen zwei Balkanpolitikern, die beide in den 1990ern an der Seite von Slobodan Milošević Karriere machten und sich inzwischen spinnefeind sind – der serbische Präsident Aleksandar Vučić und der montenegrinische Präsident Milo Đukanović. Da viele Montenegriner lieber serbische als die schwachbrüstigen montenegrinischen Medien verfolgen, sitzt der NATO-Umarmer „Milo“ medial auf dem kürzeren Ast. Bevor seine Partei abgewählt wurde, ließ er sogar den beliebten serbischen Sender TV Happy für mehrere Monate schließen. Darauf folgte, dass serbische Sender die „Schlacht um Nikšić“ ausriefen. Der Đukanović-Clan kommt aus Nikšić. Die Schlacht um die Kommunalwahl dort, räumt Milan ein, war allerdings ganz „oldschool“.
Auf meine Frage, wie man einen realen Twitteranten von einem Bot unterscheidet, nennt Milan fünf Indizien: 1. Anonymität. 2. Gestohlene Fotos. 3. Tausend Tweets am Tag, ein Mensch schafft das nicht. 4. Retweetet werden ausschließlich der serbische Präsident und der chinesische Botschafter. 5. Der Account tweetet nur zu einem einzigen Thema. Im konkreten Fall folgten alle 1.124 Bot-Accounts auch dem Profil der serbischen Regierungspartei SNS. Diese hat ein Faible für Bot-Netzwerke, bereits im Februar 2020 löschte Twitter – nach einem Hinweis des DFC – 8.000 Bot-Profile der SNS.
China selbst hatte, wenn ich den Digitalforensiker recht verstehe, mit dem Lobpreisen Chinas nichts zu tun. Der Täter war die serbische Regierung, die erfolgreich eine Pro-China- und Anti-EU-Stimmung verstärkte, obwohl laut Milan 75 Prozent der Covid-Hilfen von der EU kamen. China selbst geht „smart“ vor, erkennt Milan an, als „Soft Power, die Ungarn für die EU benutzt und Serbien für den Balkan – die Schwachstelle der EU“. China benutzt zwar weltweit Twitter-Accounts zur Imagepolitur, in China selbst ist Twitter aber verboten. Echt smart.
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