Kurz nach ihrem 40. Geburtstag bin ich mit Nadija Sawtschenko verabredet. Die ukrainische Kampfpilotin wurde zu Kriegsbeginn 2014 nach Russland verschleppt, für den Tod zweier russischer Journalisten angeklagt und verurteilt. Für die Propaganda dort war sie „Satans Tochter“, für die ukrainische „Heldin der Ukraine“. 2016 wurde sie, auch dank der Vermittlung des ukrainischen Oligarchen Viktor Medwedtschuk, von Wladimir Putin begnadigt. Sie nahm einen Sitz im ukrainischen Parlament ein, schockierte aber ihre nationalistischen Förderer, als sie Separatistenführer traf und auf eigene Faust über Gefangenenaustausch verhandelte. 2018 wurde sie unter dem Vorwurf, sie habe das gesamte ukrainische Parlament niedermetzeln wollen, in ukrainische Haft gesteckt. 2019 kam sie frei, ihr Prozess wurde seither immer wieder vertagt. Sie bekam eine Interviewsendung auf einem Sender des engen Putin-Freundes Medwedtschuk, in diesem Winter ließ Präsident Wolodymyr Selenskyj alle Sender der in Kiew zunehmend populären Medwedtschuk-Opposition schließen, danach verlor sich Sawtschenkos Spur.
Ihre Statthalterin, die ich während Sawtschenkos ukrainischer Haft interviewte, durchleuchtet mich aus der Ferne, es gilt „Informationssicherheit“. Schließlich bestellt sie mich vor ein Pseudo-Wildwest-Restaurant in der rauen, vom Zentrum abgeschnittenen Kiewer Plattenbausiedlung Troeschtschina. Dort grüßt mich eine Sowjettante in einem Panzer von schwarzem Kleid, mit grauen Schläfen und grünem Mundschutz. Ich stammle: „Sie sind aber nicht Tetjana.“ Es ist Nadija Sawtschenko, ich habe sie nicht erkannt. Beim Fotografieren im Wildwestlokal stellt sie sich von der US-Fahne weg, „besser nicht!“ Nach Russland und der Ukraine fehle ihr nur noch Haft in den USA, wegen ihrer öffentlichen Aussagen über Geld, das sich ein einstiger Umweltminister, Ex-Präsident Poroschenko und Präsidentensohn Hunter Biden geteilt hätten, hält sie das für möglich. Die Maske trägt sie wegen einer Allergie, nicht wegen Covid, zur Pandemiepolitik hat sie eine ganz andere Meinung. Ukrainer, prahlt sie, seien „freiheitsliebend und lassen sich nicht einsperren wie die Deutschen“.
Von sich selbst enttäuscht
Ich frage, was sie jetzt macht. „Ich lebe“, sie sei in den Kiez ihrer Kindheit zurückgekehrt und pflege ihre 84-jährige Mutter. „Kinder habe ich noch nicht und brauche auch keine.“ Ich frage weiter, ob sie den Irak-Krieg, ihren ersten Kampfeinsatz, aus heutiger Sicht richtig findet. Ihre Antwort klingt abgeklärt. Sie ließ sich schon damals nicht für blöd verkaufen, doch Soldaten hätten zu gehorchen und „eine Welt ohne Krieg wird es nie geben“.
Sawtschenko wurde 2019 eine Präsidentschaftsbewerbung verweigert, sie konnte nur im winzigen Frontwahlkreis Sajzewe für das Parlament kandidieren. Warum bekam sie nur acht Stimmen? „Es gibt dort nur 300 Wahlberechtigte“, erklärt sie, „die anderen Kandidaten haben 1.200 bis 1.500 Dollar für eine Stimme bezahlt. Auf meine acht bin ich so stolz wie auf Millionen Stimmen.“ Die Ukraine sei keine Demokratie. Medwedtschuk, den sie persönlich nicht kenne, sei ein Träger des oligarchischen Systems, es gebe aber „keine absolut bösen und absolut guten Menschen“, für seine Hilfe sei sie ihm dankbar.
Will sie, wie ihr nachgesagt wurde, in der Ukraine eine Diktatur einführen? „Selenskyj macht’s schon.“ Ich lasse sie ihre Idee einer demokratisch legitimierten „Zwischenlandungsdiktatur“ entwickeln, welche die Bevölkerung zur Demokratie hinführen soll. Die Ex-Soldatin unterscheidet: „Erstens, die Tyrannei eines Mannes wie in Belarus und Russland, zweitens, die Diktatur des Gesetzes wie in Deutschland, drittens, die Diktatur des Bewusstseins wie in der Schweiz.“ Sawtschenko will zum Schweizer Muster und zu einer neutralen Ukraine. Sie hat alles von Churchill und Singapurs früherem Premier Lee Kuan Yew gelesen, de Gaulle muss sie sich noch widmen. Aber Hand aufs Herz, wer hätte die Größe, seine Machtfülle auch wieder abzugeben? „Da war einer im frühen Rom“, antwortet Sawtschenko, kommt aber nicht auf den Namen. Sie sucht im Handy. Sie geht, während ich meinen Borschtsch esse, zum Rauchen raus, sucht immerzu weiter nach dem Namen.
Der Borschtsch war gut. Ich gestehe ihr, dass die Ukraine mein liebstes Land war, seit dem Krieg aber nicht mehr. „Alles wird gut“, sagt sie mit jäher Zuversicht, „sie wird wieder Ihr liebstes Land.“ Ihr Kampfpilotinnenblick strahlt Autorität aus, ich glaube ihr. „Wir sind mehr von uns selbst enttäuscht als den Politikern, nach jedem geistigen Aufbäumen werden wir uns gegenseitig zum Wolf“, meint sie. Als ich danach im Bus sitze, der mich aus dem traurigen Troeschtschina hinausbringt, schickt mir Nadija Sawtschenko noch eine SMS. „Diokletian, er lebte 284 – 305.“ Nun ja, nicht mehr so ganz das frühe Rom, auch von einem Hinführen zur Demokratie konnte keine Rede sein, tatsächlich aber gab dieser Diokletian seine Macht freiwillig ab. Dann schreibt sie mir noch: „Kommen Sie wieder in die Ukraine, bei uns wird auf jeden Fall alles gut! Und der Borschtsch mundet immer.“
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