Schreckliche Schweine!

Österreich Die Slowakei hat ihre Grenzen abgeriegelt. Viele Leute können nicht heim. Da kann man schon mal sauer sein
Ausgabe 23/2020
Gesperrter Radweg zwischen Bratislava und dem österreichischen Berg
Gesperrter Radweg zwischen Bratislava und dem österreichischen Berg

Foto: Alex Halada/Imago Images

Tausende Slowaken leben im österreichischen Umland der Hauptstadt Bratislava, viele sind nun seit fast drei Monaten aus der Slowakei ausgesperrt. Einreisen durften nur im Umkreis von 30 Kilometern lebende Berufspendler, der Rest wurde bei Einreise zur Zwangsquarantäne in staatliche Wohnheime verfrachtet. Vor Corona war der Wohnsitz dieser Slowaken kein Aufreger. Das überteuerte Bratislava grenzt an österreichische Krähwinkel, in denen es günstigeren Wohnraum gibt, oft sogar mit Garten. Erst die Pandemie weckte tiefliegende Instinkte. Die Übersiedler wurden beschimpft: „Ihr verbreitet das Virus“ – „Ihr wolltet ja auf Weltbürger machen“ – „Bleibt schön hinter der Grenze!“

Die Slowakei wurde wie kein anderes kontinentaleuropäisches Land von der Seuche verschont: im Schnitt eine Neuinfektion pro Tag. Gerade deswegen will der neue Premier Igor Matovič nichts von einem Abbau seines „Schutzwalls an den Grenzen“ hören. Er postet Tag für Tag: „Verderben wir uns das nicht!“ Der nah am Wasser gebaute „Emokrat“ hatte jahrelang nur eines im Blick: die Korruption auszurotten. Nun hat er wieder nur ein Ziel: das Virus auszumerzen. Neulich sagte er: „Verderben wir uns das nicht wegen Hunden, die hinter dem Zaun heulen!“ Er meinte damit die eigenen Bürger in Österreich. Ein Skandal war das nicht, die Psychose hat weite Teile der Bevölkerung erfasst. Ich besuche fünf dieser slowakischen Haushalte in Österreich. Sie haben Angst, nur einer will seinen Namen in der Zeitung lesen.

Mikey in Zurndorf hat tätowierte Arme und seitlich geschorene Haare. Er kommt wie Premier Matovič aus Trnava und hält ihn für einen „Trottel“. Als Inhaber einer kleinen Reinigungsfirma in Trnava mietete Mikey vor zwei Jahren ein Einfamilienhaus an der Zurndorfer Hauptstraße. Wir sitzen im engen Garten, drei kleine Kinder und eine Frau in Leggings schauen zu. Mikey sagt: „Es gibt hier eine Million Slowaken.“ Er ist auch Boxer und weckt wohlige Erinnerungen an den Hiphop, mit dem ich im Plattenbau drüben Slowakisch lernte. Mikey will über den „reinen Terror“ reden, den er von slowakischen Polizisten und Soldaten am Grenzübergang erfuhr: „Jedes Mal ist es krasser, schreckliche Schweine. Bestätigung, dass ich in der Slowakei arbeite! ‚Was verkaufst du?‘ Sie nehmen mir den Pass ab. Dann fragt mich der Polizist, ob ich finde, dass slowakische Polizisten Schwänze sind. Nein, wieso? ‚Das haben Sie gesagt.‘ Und dann die Frage: ‚Wozu eiern Sie im Ausland rum?‘ Ich sage, weil uns die Regierung 20 Jahre lang ausgeraubt hat. Verfickte Dreckshuren. Motorhaube aufmachen. ‚Steig aus dem Auto!‘ 25 Minuten quälten sie mich, weil sie glaubten, dass ich Corona rumfahre.“ Meine letzte Frage an Mikey: „Setzt ihr jetzt auch euren eigenen Sauerteig an? – „Was?“ – „Sauerteig, das machen jetzt alle.“ – „Nie! Hier bei Penny haben wir Brot für 80 Cent.“

In Gattendorf bei Maroš und Majka, einem jungen, ehrgeizigen Juristenpaar. Maroš flog für eine österreichische Firma um die Welt, Majka arbeitete für die berüchtigte Finanzgruppe Penta, inzwischen sind beide im Staatsdienst, Maroš ist mit 31 schon Sektionschef in einem Ministerium. Das Paar wohnt in einer neuen Siedlung eng gestaffelter Mehrfamilienhäuser. Wir sitzen in ihrer Wohnküche, die Mietkauf-Genossenschaftswohnung ist winzig, der separat stehende Fahrradraum versperrt die Aussicht. Maroš sagt über den Vorgarten: „Diese 20 Quadratmeter sind genau das, was der Mensch braucht, damit er nicht verrückt wird.“ Sie loben die österreichischen Dörfler, „besonders die Älteren haben sich bemüht, uns zu integrieren“.

Die beiden Beamten dürfen in die Slowakei pendeln. Maroš will „der neuen Führung zur Verfügung stehen“, gerade jetzt, da einige Kollegen millionenschwerer Korruption verdächtigt werden. Er steht „manchmal eine Stunde an der Grenze. Jedes Mal diktiere ich: Vorname, Name, SV-Nummer, Telefon, Kennzeichen. Wenn meine Frau danebensitzt, wird sie dasselbe gefragt.“ Einmal, als er noch drüben war, hörte Maroš im Radio, dass um sechs Uhr die Grenze geschlossen werde. Er stieg aufs Gas. „Schnell raus!“ Der Spitzenbeamte Maroš setzt Sauerteig an, „wohl schon seit zwölf Jahren. Ich koche wahnsinnig gern.“

Nächste Station Hainburg. Daniel Špiner ist Pianist und begleitet bekannte slowakische Sängerinnen. Seit zwei Jahren lebt er mit Frau und Kind in Österreich. „Ein Plus ist, dass ich in Hainburg die Muttersprache höre, gleichzeitig die Nähe des Deutschen.“ Er mag den Brauch des Grüßens, das „Unflexible“ der Österreicher weniger: „Für das Auswechseln der Türklinke am Fahrradraum müssen wir eine Petition schreiben.“

Daniel schätzt, dass er als Pianist durch Corona um die 80 Konzerte verloren hat. Da er drüben Steuern zahlt, kriegt er in Österreich nichts, Direkthilfen zahlt die konservativ-neoliberale Matovič-Regierung nicht aus. Bisher durfte Daniel die Grenze nur für zwei Online-Konzerte überschreiten, „und auch da hatte ich das Gefühl, wenn sie noch schlechtere Laune hätten, käme ich nicht rein“. Die Familie fehlt ihm. Mit eigenem Sauerteig bäckt er nicht.

Kittsee, das slowakischste Dorf Österreichs, grenzt an die Plattenbausiedlung Petržalka. Früher stießen mich die slowakischen Siedlungen hier ab. Die Vorgärten der Mehrparteienhäuser sind so klein, dass man sich beim Grillen notwendigerweise am Grill verbrennt. Nun ist aber auch meine slowakische Frau seit März aus ihrem Land ausgesperrt, und als sie diese Ghettos sieht, ruft sie begeistert aus: „Das ist ja eine einzige Trainingsanzugs-Party!“ Wir nutzen Kittsee seither als Ersatzdroge, wenn uns der Sinn nach Slowakischem steht.

In der „Steinfeldsiedlung“ spreche ich mit Monika, Mitarbeiterin einer Fluglinie in Österreich. Sie lebte zuvor in Irland und erzählt, dass slowakische Banken ihr irisches Einkommen nicht anerkennen wollten, auch bekam sie in der Slowakei keinen Baukredit. Wie für die meisten hier war eine österreichische Genossenschaftswohnung die Lösung.

Was sie gerade besonders stört: „Dass Slowaken in der Slowakei Hass gegen uns schüren – als würden wir alle nur dorthin fahren, um das Virus zu verbreiten.“ Sie verfolge Matovičs melodramatische Pressekonferenzen, die sich täglich über Stunden hinziehen, jetzt „lieber nicht mehr, da kriege ich die Krätze“. Sie wohnt seit zehn Jahren in der Siedlung und dachte anfangs über eine Rückkehr nach. „Meine Eltern haben ein Haus, das wäre für die Kinder besser gewesen. Die staatliche Quarantäne hat uns gestoppt.“ Sauerteig macht sie „schon länger, aber nicht wegen Corona“.

Auch Katerína, Verkäuferin in einem österreichischen Outlet-Center, lebt seit sechs Jahren in der Steinfeldsiedlung, „weil man hier nicht das Gefühl hat, im Ausland zu sein, das ist wie Petržalka“. Sie kam mit ihrem Mann und ihrem jetzt elfjährigen Sohn, es folgten Tante, Onkel und die Mutter. Dann starb ihr Mann, im Januar auch die Mutter. Sie ist keine Pendlerin und darf deshalb nicht einreisen, nicht einmal, um ans frische Grab der Mutter zu gehen.

Das Gespräch mit Katerína stockt oft, die lebenslange Nichtwählerin ist verbittert. In ihrem Landkreis gibt es aktuell keinen einzigen Corona-Erkrankten mehr. „Aber für die Verschonten auf der Insel der Seligen sind wir dennoch gefährlich.“ Den Namen ihres Regierungschefs spricht Katerína ungern aus, meistens sagt sie nur „er“. Auf meine Frage hin, warum Matovič das tut, bringt sie eine interessante These: „Er hat selbst panische Angst vor dem Virus. Er ist ja nicht ganz dicht. Darum treibt er das so ins Extrem, dass er Leute in Lager transportiert.“ Katerína, die bei freier Sicht auf Bratislava ausgesperrte Slowakin, setzt in Kittsee keinen Sauerteig an: „Ich backe kein Brot, nur Kuchen.“ Plötzlich lobt sie, dass „es drüben das bessere Gebäck gibt, hier habt ihr was anderes, diese Semmeln“. Damit verrät sie sich. Die miesen slowakischen Industriebrötchen als die besten der Welt zu bezeichnen – das kann nur jemand, der sich verzweifelt hinübersehnt.

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