Etwa 12.000 Ägypter leben im Kosovo. Sie haben einen offiziellen Feiertag, tauschen Höflichkeiten mit den bislang regierenden UÇK-Kommandanten Haradinaj und Thaçi aus. Ihre Ägyptisch-Liberale Partei (PLE) hat das eigene Ergebnis bei den Wahlen am 6. Oktober verdoppelt. Von außen gesehen werden die Ägypter mit den 15.000 Aschkali und 9.000 Roma zur Gruppe „RAE“ zusammengefasst (ohne es offen auszusprechen, sieht man diese Gruppen letztlich als Roma an). Für die RAE-Minderheiten sind im Kosovo-Parlament vier von 120 Mandaten reserviert, die PLE ist nun im RAE-Segment die populärste Partei. Voraussichtlich zwei ägyptische Abgeordnete bestimmen über die künftige Regierung mit.
Die Distanz der albanischsprachigen Ägypter und Aschkali zu den Roma wird auch damit erklärt, dass die Roma im Kosovokrieg der Kollaboration mit den Serben verdächtigt wurden; rachedurstige Albaner sollen 1999 in Brekoć einem neun Tage alten Roma-Baby den Kopf abgesägt haben. Die Aschkali sagen mehrheitlich, sie seien aus Persien, die Ägypter aus Ägypten. Ich nehme das so hin. Wer bin ich, ihnen zu erklären, sie stammten in Wahrheit aus Indien? Immerhin besuchte Dr. Zahi Hawass die hiesigen Ägypter, der berühmte ägyptische Fernseharchäologe, der sogar einmal dreieinhalb Monate lang in Kairo Minister für Altertumsgüter war.
Ein Cafetier singt laut
Zentrum der ägyptischen Minderheit ist die westkosovarische Großgemeinde Gjakova, 5.117 der 94.556 Einwohner deklarierten sich in der Volkszählung von 2011 als Ägypter. Ich komme im Dunkeln an. Ich halte vor „Oita Event“, in dieser Hochzeitshalle feierte die PLE ihre Wahlparty. Der Nachtwächter sagt: „Tausend Ägypter waren auf dem Fest. Sie haben zu trinken gekriegt, zu essen nicht.“ Ich halte im Ägypter-Slum „Kolonia“. Die Caritas Schweiz engagiert sich hier, andere stellten eine Moschee hin. Hinter dem Lehmweg am Müllhaufen sehe ich identische Kleinhäuser, eingefasst von einer langen, hohen, unverputzten Mauer. Ich spaziere durchs ägyptische Viertel der Stadt. Es unterscheidet sich kaum von albanischen Quartieren im Kosovo. Ich sehe durch ein Fenster islamisch-grün bedeckte Särge, an denen jeweils eine schwarz verschleierte Witwe hockt; die Witwen sind aber eine visuelle Täuschung. Gegen Mitternacht wird die Straße leer. Ein Cafetier singt laut.
Am Vormittag gehe ich wieder durchs Viertel, eine Bäckerei haut billige Fladenbrote mit reingeschnittenen Salamischeiben raus. Schräg gegenüber vom gardinenverhangenen PLE-Parteilokal sitzt jener Cafetier. Er hat sieben Kinder, das älteste ist die zwölfjährige Ylka, sie spricht Deutsch wie eine Deutsche. Die Familie wurde vor acht Monaten aus Deutschland abgeschoben. Ylka sagt: „In meiner Klasse flossen Tränen.“ Im Gjakova geht sie nicht zur Schule. Begründung: „Hier werden Kinder geschlagen, in Deutschland nicht.“ Dass ihr Vater in der Nacht „bei Bier und Raki“ sang, überrascht sie.
Eine Migrationsgeschichte haben fast alle im Café und fast alle mit deutschem Hintergrund. Da ist etwa ein Alter, der nach einem Schlaganfall mehr flüstert als spricht. Er lebt seit 30 Jahren in Cuxhaven, sein Sohn führt die Pizzeria mit türkischem Lokalnamen weiter, auch mit seiner winzigen deutschen Rente will er nicht zurück. Er flüstert: „Zu Deutschen sage ich nicht, dass ich Ägypter bin, für die bin ich Kosovare.“ Die Männer organisieren mir in einer Stunde ein Interview mit der Nr. 2 der Ägyptisch-Liberalen Partei. Es findet im nahen Einkaufszentrum statt, in Anwesenheit einer spontan gerufenen Dolmetscherin und des Coverboys aus dem Wahlvideo der PLE.
Artan Berisha korrigiert mich sogleich: Nicht 1.000, sondern 2.000 Ägypter seien auf der Wahlparty gewesen. Er glaube, dass er als zweiter PLE-Abgeordneter ins Parlament einziehen werde. Aber sicher sei das nicht, wegen Wahlanfechtungen und der Sache mit angeblich von Serben vergifteten Stimmzetteln ist das Ergebnis der von 55 Prozent der Kosovaren ignorierten Wahl in der Schwebe. Den unbestreitbaren Triumph der ägyptischen Liberalen erklärt Berisha auch mit seinem Wirken als Vizeminister: 70 Häuser gebaut, 60 Ägypter im Ausland medizinisch behandelt, 750 Stipendien von einmalig 300 Euro zur Stimulierung von Schulbesuch aufgelegt. „Vor allem aber waren wir nah an der Community.“ Ich frage ihn: „Warum nennen Sie sich liberal? Bei uns werden liberale Parteien von Reichen gewählt, sind Ihre Wähler nicht arm?“ Der glatt rasierte Jüngling, der auch als Fondsmanager durchgehen würde, lacht auf: „Bei uns bedeutet liberal gleiche Rechte. So sind etwa 30 Prozent unserer Mitglieder Frauen.“
Noch vor den Serben
Sein Parteichef Veton Berisha saß in der Fraktion des Wahlverlierers, Ex-Premier Haradinaj. Ist die Niederlage des bisherigen Koalitionärs ein Problem? Das sei es nicht, so der routinierte Jungpolitiker ungerührt, „weil die PLE mit jeder Regierungspartei zusammenarbeitet, egal mit welcher“. Dass der linksnationalistische Wahlsieger Albin Kurti das Parlament mehrmals mit Tränengas lahmlegte, „das war falsch, das sollte uns aber keine Sorge machen, er wird nicht allein regieren“. Er habe gerade erst mit Kurti verhandelt, diese Sondierungen seien gut verlaufen: „Wir haben ihm unseren Willen präsentiert, und er ist bereit, für ein besseres Leben der ägyptischen Community zu sorgen.“
Ansonsten sagt Artan Berisha, dass seine Ägypter aus Ägypten seien: „RAE ist ein Schimpfwort, wir haben nichts mit den Roma zu tun, nur die Trennung von den Aschkali ist künstlich.“ Und es gebe nicht 12.000, sondern 25.000 Kosovo-Ägypter. Viele würden sich nicht deklarieren, denn „wenn man keine so gute Bildung hat, macht man das, was die anderen sagen“. Die 2021 fällige Volkszählung will die Partei daher „selbst organisieren“. Der ägyptische Liberale beharrt darauf: „Wir sind seit 15 Jahrhunderten im Kosovo.“ – „Die Serben kamen also später?“ – „Ja.“ – „Und was sagte der ägyptische Ex-Minister Hawass, der als Mitglied einer Delegation bei Ihnen war? – „Er war überrascht, dass es Ägypter im Kosovo gibt.“
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