Aufgesattelt und ausgebremst

Verkehr Die Politik hat erkannt, dass dem Fahrrad die Zukunft gehört. Trotzdem ist es noch ein weiter Weg bis zur freien Fahrt
Ausgabe 31/2014
Anreiz zum Umsteigen oder Schikane? Markierungen in Berlin-Mitte
Anreiz zum Umsteigen oder Schikane? Markierungen in Berlin-Mitte

Bild: imago / Pemax

Der Weg zur ersten grünen Welle für Radfahrer in Berlin ist kein leichter. Er führt über eine schmale Radspur, kaum einen Meter breit. An einer Stelle ragt ein großer Busch quer über den Weg. Noch bevor man nach dem Ausweichmanöver wieder Schwung geholt hat, bremst einen die rote Ampel an der nächsten Querstraße aus. Erst danach, in der Belziger Straße im Stadtteil Schöneberg, sind drei Ampeln seit einigen Monaten so geschaltet, dass Radler bei einer Geschwindigkeit von 16 bis 18 Kilometern pro Stunde freie Fahrt haben. Es ist ein kurzes Vergnügen. An der nächsten Kreuzung haben wieder die Autos Vorrang.

Es gibt viele gute Gründe, aufs Fahrrad zu steigen. Radfahren ist gesund und ökologisch. Das merken immer mehr Menschen. Heute werden bereits zehn Prozent aller Fahrten mit dem Fahrrad bestritten – Tendenz steigend. Trotzdem werden Radfahrer vielerorts immer noch ausgebremst, müssen sich unebene Bürgersteige mit Fußgängern teilen und geraten an Kreuzungen in brenzlige Situationen mit Autos. Das müsste nicht sein, schließlich gibt es Verkehrskonzepte, die dem Fahrrad mehr Raum einräumen würden, etwa den ambitionierten Nationalen Radverkehrsplan (NRVP). Auch in den Ländern gibt es zukunftsweisende Projekte. „Was wir in den Städten brauchen, ist eine wahre Kultur des Radfahrens“, fasst Burkhard Stork, Geschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) die Anforderungen zusammen. Diese jedoch einzuführen, ist nicht leicht. Die Entscheidung für das Rad bedeutet oft auch eine Entscheidung gegen das Auto. Und da fangen die Probleme an.

Stadtplaner haben sich zwar längst vom Leitbild der autogerechten Kommune verabschiedet, doch so schnell lässt sich die Vergangenheit nicht korrigieren. „Viele Autofahrer erwarten, dass ihr Wagen in der Innenstadt umsonst herumstehen kann“, sagt Professor Gerd-Axel Ahrens von der Technischen Universität Dresden, der sich seit Jahren mit Maßnahmen zur Radverkehrsförderung beschäftigt. Parken ist ein Beispiel für versteckte Subventionen zu Lasten der umweltfreundlichen Verkehrsmittel. Um das zu zeigen, macht Ahrens eine einfache Rechnung auf: Kalkuliert man für einen Autostellplatz, wie unter Verkehrsplanern üblich, rund 25 Quadratmeter und legt die Mietpreise in Berlin-Mitte zugrunde, müsste ein Parkplatz dort 5,15 Euro pro ausgelasteter Stunde kosten. Der tatsächliche Preis: zwei Euro. „Autos aus der Stadt zu bekommen, dafür braucht es einen ganz starken politischen Willen“, sagt auch ADFC-Geschäftsführer Stork. In Kopenhagen, das oft als Fahrrad-Modellstadt gilt, verringerten Politiker etwa die Zahl der Autoparkplätze jährlich um einige Prozent. Schließlich bedeutet mehr Platz für Autos im Umkehrschluss weniger für Räder.

Mit dem Lenker verteidigt

Wie zäh der Konflikt zwischen Radlern und Autofahrern manchmal ausgetragen wird, lässt sich auch an anderer Stelle beobachten, beispielsweise an der Karl-Liebknecht-Straße in Leipzig. Auf der angesagten Einkaufs- und Ausgehmeile fuhren Autos bisher vierspurig, 10.000 Radfahrer mussten jeden Tag neu um ihren Platz kämpfen. Die Forderung der Radler nach einer eigenen Spur brachte der Stadt eine jahrelange, heftige Diskussion – und Verkehrsforscher Ahrens zum Haareraufen. „Ich habe das aus wissenschaftlicher Sicht für eine Phantomdiskussion gehalten“, sagt er. 20.000 Autos pro Tag wie in der Karl-Liebknecht-Straße könne man problemlos zweispurig abwickeln. In der Diskussion um neue Radspuren zu Lasten des Autoverkehrs geht es manchmal weniger um wissenschaftliche Erkenntnisse als vielmehr darum, die Privilegien der Autofahrer zu verteidigen. Zumindest in Leipzig setzte sich am Ende doch die Vernunft durch. Die Bagger sind mittlerweile angerückt. Die Radspuren werden kommen.

Letztendlich sei das gut für beide Gruppen, sagt Verkehrsforscher Ahrens: „Je mehr Menschen aufs Rad umsteigen, desto seltener stehen die Autos im Stau. Den Stau verursachen zu viele Autos, nicht zu viele Räder.“ Das sieht auch Burkhard Stork vom ADFC so: „Wir möchten nicht, dass möglichst viele Radler auf einer Straße durchkommen, sondern möglichst viele Menschen, ob per Auto, Fahrrad oder zu Fuß.“ Das konnte man von einem Fahrradlobbyisten eigentlich nicht erwarten, doch der ADFC hat aus seiner Vergangenheit gelernt. Früher stand der Verband im Ruf, vor allem Anwalt weniger Fahrrad-Raser zu sein, die am liebsten alle Wege für sich alleine hätten und dieses vermeintliche Recht auch mit dem Lenker verteidigten. In der Berliner Bundesgeschäftsstelle sucht deshalb niemand den Konflikt mit den Autofahrern. Anstatt für den Radverkehr zu Lasten des Autos lautstark mehr Geld zu fordern, redet Stork lieber über das subjektive Sicherheitsgefühl von Radlern: „Wir müssen endlich allen Menschen Mut machen, Rad zu fahren. Infrastruktur ist nur ein geringer Teil der Radförderung.“ Von Bürgermeistern fordert Stork, mit gutem Beispiel voranzugehen und selbst Rad zu fahren. Und: „Ich wünsche mir, dass unser Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt aufs Fahrrad steigt, und sei es nur zu publikumswirksamen Aktionen.“

Wie eine erfolgreiche Fahrradpolitik aussieht, kann man in Offenburg sehen. Die 57.000 Einwohner legen mittlerweile jeden vierten Weg mit dem Rad zurück. Die Stadt hat viel Geld investiert, in neue Radwege, ein Radparkhaus und ein kostenloses Radverleihsystem. Wichtig für den Erfolg ist auch ein Telefon mit Anrufbeantworter. Seit über zehn Jahren gibt es in der Stadt eine Nummer, unter der Radfahrer Scherben, Laub und Gestrüpp auf Wegen melden können. „Die Nachrichten gehen von den Technischen Betrieben direkt an den Bautrupp, der in der Nähe ist“, sagt Amrei Bär, Verkehrsplanerin bei der Stadt. Auswertungen zu Beginn ergaben monatlich etwa 20 Anrufe. „Wir haben festgestellt, dass wir Scherben und Schmutz dank des Telefons deutlich schneller beseitigen können“, sagt Bär. Wer Radpolitik betreibt, muss das Auto nicht verteufeln. Aber er kann Anreize zum Umsteigen schaffen. „Jede Kommune sollte Haupt- und Nebenroutennetze für den Radverkehr entwickeln“, schlägt Verkehrsplaner Ahrens vor. „80 Prozent der städtischen Straßen sind Tempo-30-Zonen, auf denen aber nur 20 Prozent des Verkehrs fließen“, sagt Ahrens. „Warum lenken wir die Radrouten nicht stärker über diese Strecken?“ Die Fahrräder könnten sich dort die Fahrbahn mit den Autos teilen. „Radverkehr gehört auf die Straßen“, sagt auch Stork, „aber die Fahrer müssen dort sicher sein.“ Objektiv sind sie das, denn Radfahrer auf der Straße werden von Autos an Kreuzungen besser gesehen als diejenigen auf dem Bürgersteig. Auf viel befahrenen Straßen gerät der Mischverkehr allerdings an seine Grenzen. „Dort brauchen wir separate Radspuren“, sagt Stork. Vorbild könnten die amerikanischen protected bike lanes sein, die mit flexiblen Pollern abgegrenzt sind: „Das Ziel muss sein, dass auch Familien mit Kindern und ältere Leute sich auf dem Rad sicher fühlen.“

Vorbild Dänemark

Das Thema der subjektiven Sicherheit ist wichtig, gerade aus Umweltschutzgründen wäre es jedoch noch wichtiger, Voraussetzungen zu schaffen, die das Fahrrad auch für längere Strecken zur wirklichen Alternative zum Auto werden lassen. „Verlagern wir die Hälfte aller Autofahrten unter fünf Kilometern auf das Rad, senkt das den Ausstoß von CO2 um weniger als drei Prozent“, sagt Gerd-Axel Ahrens. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Einen signifikanten Beitrag zum Umweltschutz könnten hingegen Berufspendler leisten, die aufs Rad umsteigen. In Dänemark wird das Experiment gewagt. In Kopenhagen und Umland gibt es bereits 470 Kilometer Radschnellwege. Entlang dieser Radautobahnen liegen statt Rastplätzen Aufpumpstationen. Im Winter wird Schnee geräumt, Fahrradfahrer genießen an Kreuzungen Vorfahrt. So sollen die sowieso schon radelfreudigen Dänen das Fahrrad künftig auch für längere Strecken problemlos nutzen können.

Ein Modell für Deutschland? Zumindest gibt es erste Ansätze. Ein 85 Kilometer langer Radschnellweg soll im Ruhrgebiet die Städte Hamm und Duisburg verbinden. Noch aber liegt nicht einmal die Machbarkeitsstudie vor. Das Land der Autofahrer hinkt hinterher. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD nimmt Radpolitik gerade einmal einen Absatz ein. Das Wort „Radschnellweg“ sucht man darin vergebens. Die Parteien verweisen auf den Nationalen Radverkehrsplan, der einen Radanteil von 15 Prozent in Deutschland bis zum Jahr 2020 anpeilt. „Ein exzellentes Papier“, findet Burkhard Stork, weil es den Radverkehr ganzheitlich betrachtet: Infrastruktur, Sicherheit, Marketing, Verkehrserziehung. Es wäre auch merkwürdig, würde Stork etwas anderes sagen; der Fahrradclub hat den Plan mitformuliert. Geld gibt das Verkehrsministerium allerdings laut NRVP fast ausschließlich für Radwegebau an Bundesstraßen und –wasserstraßen aus. Für andere Maßnahmen sind nur drei Millionen Euro jährlich geplant, ein verschwindend geringer Betrag des Verkehrsetats. Nun fällt Radwegebau in Städten nicht unter die Aufgaben des Bundes, aber er könnte etwa verstärkt Schnellwege als Modellprojekte fördern. Das findet zumindest der ADFC-Geschäftsführer. Solange das aber nicht passiert, müssen die Politiker der klammen Kommunen das Rad selbst weiterdrehen. „Die künftige Lebensqualität in den Städten hängt davon ab, welche verkehrspolitischen Entscheidungen die Politiker jetzt fällen“, sagt Stork, „Wer das nicht begreift, verspielt die Zukunft seiner Stadt.“

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Geschrieben von

Martin Schlak

Journalist und Physiker. Schreibt Geschichten über Wissenschaft. Beobachtet, wie Technologie unsere Gesellschaft verändert.

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