Der Begriff Authentizität ist schwer auszusprechen und noch schwerer zu fassen. Man kann ihn wie JensKabisch als „Dispositiv der Suche, des Strebens, des Seins des ,wahren Selbst“ bestimmen. So richtig bringt einen das aber auch nicht weiter. Am besten nähert man sich dem Konzept wohl mit Synonymen wie Echtheit oder Glaubwürdigkeit. Das reicht als Vorverständnis für die Lektüre von Innocent Nation. Barack Obama und die Politik der Authentizität. Das Buch fragt, wie Obamas Suche nach neuer Glaubwürdigkeit den Entwurf des Politischen beeinflusst. So viel sei verraten: Der Ruf nach Authentizität hat einen Preis.
Das Buch ist mehr als eine akademische Fingerübung, weil Kabisch seine recht allgemeinen Thesen vom Verhältnis zwischen Authentizität, Repräsentation, (Post-)Ironie und der Instanz der Bilder an das politische Tagesgeschäft rückkoppelt. Zunächst ein Blick in den US-Wahlkampf 2008. Seine Wahlkampf-Strategen ließen ihn damals in „epochalen Bildern“ posieren, inszenierten ihn, als ob er schon Präsident gewesen wäre. Man denke etwa an die Rede des Kandidaten Obama in Berlin im Jahr 2008. Parallelen zu Besuchen früherer Präsidenten waren ausdrücklich gewollt. So brannte sich der Kandidat als authentisch und präsidial in das amerikanische Bildergedächtnis ein – angesichts der Lücken in seiner Biografie, auf die politische Gegner immer wieder hinwiesen, immens wichtig.
Eine Inszenierung ist eine Inszenierung und kann immer als solche gesehen werden, ist dann also gerade nicht authentisch. Wer aber Obamas Sieg nun einzig als Erfolg seiner PR-Berater sieht, denkt zu kurz. Zünden konnte deren Kampagne „Hope. Change. We can believe in“, weil Präsident George W. Bush nach dem Irak-Einsatz eine gespaltene Nation zurückließ. Der Krieg hatte sich bekanntlich maßgeblich durch eine Lüge legitimiert. Zwar beschworen alle amerikanischen Präsidenten in ihren Reden immer wieder den amerikanischen Traum, die verbindende Erzählung der Nation, doch bei Obama war ein entscheidendes Detail anders: sein Körper „als soziale Konstruktion […], als Ort des Versprechens seiner Authentizität“.
Durch ihre multinationale Herkunftsgeschichte sei Obamas Familie eine „Nation im Kleinen“ – und habe den ersten schwarzen Präsidenten so zu dem unifier (Einiger) stilisiert, den die Nation so dringend suchte. Das, und hier liegt nun die entscheidende Wendung, gelte nicht nur symbolisch. Obamas Körper sei die wahre „Inkarnation des amerikanischen Traums“.
Selbstperfektionierung
Das Konzept der Authentizität glänzt heilsversprechend – wo aber fällt sein Schatten hin? Seine wahre Bewährungsprobe fand der Wunsch nach Glaubwürdigkeit nach der Wahl. Obama hatte wie niemand vor ihm weltweit als Projektionsfläche derjenigen gedient, die sich eine Abkehr von der neoliberalen Doktrin der USA erhofften. Tatsächlich aber, so Kabisch, sei der von Obama ausgerufene Wandel ein „Gebot der Selbstperfektionierung“ nach allen kapitalistischen Spielregeln. Die staatlichen Institutionen übernehmen darin nurmehr die Funktion von Leitplanken, um der Verwirklichung des Einzelnen möglichst wenig im Wege zu stehen. Die Außenpolitik steht ebenfalls unter dem Gebot des Wandels, den Obama in seiner Wahlkampfbiografie als „wahre Genialität dieses Staates“ bezeichnet. Kabisch sieht in der Idee ein teleologisches Prinzip, das die Erfüllung eines transnationalen Heilsversprechens anstrebe. Der Wandel eines sich als universal denkenden Amerikas müsse daher von der Nation selber ausgehen: „den Wandel prägen, anstatt selbst von ihm geprägt zu werden“, sagte Obama einmal selbst. In den konkreten außenpolitischen Direktiven führt das dann wohl dazu, dass die US-Regierung weiter Drohnen und somit den Tod per Fernsteuerung in andere Länder schickt. Und Verbrecher ohne Verfahren ermorden lässt; erinnert sei an die Tötung Osama bin Ladens. Die Legitimationen dieser Handlungen lesen sich „gleich einem Glaubensbekenntnis an das amerikanische Versprechen“, das eben Freiheit und Gerechtigkeit für alle bereithält – von Terroristen einmal abgesehen.
So gewendet, hat Kabisch vollkommen recht, wenn er Obama als „stramme[n] Gefolgsmann amerikanischer innen- wie außenpolitischer Traditionen und realpolitischer Interessen“ hinstellt – entgegengesetzt den Erwartungen, die die Weltgemeinschaft vor seinem Amtsantritt hegte. Bleibt die „Neugründung der Selbstbeschreibung“ des politischen Körpers – demnach das größte Verdienst Obamas – letztlich ohne die erhofften realpolitischen Auswirkungen, wirft das die Frage auf: Wie viel ist das Konzept der Authentizität tatsächlich wert, wenn es im politischen Alltagsgeschäft doch so kraftlos bleibt?
Innocent Nation. Barack Obama und die Politik der Authentizität Jens Kabisch Turia + Kant 2013, 384 S., 40 €
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