Zwei Tage vor dem Terroranschlag von Halle (Saale) meldete der Deutschlandfunk: Die Bundesregierung schwächt den Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus – acht Millionen Euro Kürzung, von 400 Modellprojekten werden nur 100 fortgesetzt. „Demokratie leben“ heißt das Programm des Bundesfamilienministeriums, mit dem das Engagement gegen rechts gestärkt werden soll. Es läuft seit 2015, und ohne sein Geld läuft für zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen so gut wie nichts. In diesem Jahr endet die erste Förderperiode. „Die Modellprojekte sind ein Seismograf“, sagt Judith Rahner. Sie leitet bei der Amadeu Antonio Stiftung die Fachstelle Gender, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. „Wenn wir in Sachsen ein Projekt zu Verschwörungsideologien machen, können wir dabei zuschauen, wie das vom Netz auf die Straße wandert.“ Dieses Modellprojekt wird von „Demokratie leben“ ab 2020 nicht mehr gefördert, ebenso wie ein Jugendprojekt der Amadeu Antonio Stiftung in Hannover, bei dem es um Antisemitismus und Rassismus geht. Das Büro in Hannover wird die Stiftung aus finanziellen Gründen schließen müssen. Antisemitismus, Rassismus, Verschwörungsideologien, das trifft eigentlich passgenau auf das politische Profil des Täters von Halle.
Am Tag des Terroranschlags verkündete SPD-Familienministerin Franziska Giffey, dass sie sich mit ihrem Parteigenossen, Finanzminister Olaf Scholz, geeinigt habe. „Demokratie leben“ werde im Jahr 2020 auf dem gleichen Niveau fortgesetzt wie 2019. Statt der geplanten 107,5 Millionen Euro soll es wieder mehr als 115 Millionen geben. Ein Sprecher des Familienministeriums betonte in der Regierungspressekonferenz, diese Entscheidung sei schon vor Halle getroffen worden. Aber die Zusage gilt nur für ein Jahr. Nach 2020 sind für die zweite Förderphase von „Demokratie leben“ Kürzungen nicht vom Tisch, Finanzierungsvorbehalt ist das Stichwort. Mehr als 1.000 Anträge für Projekte sind für die Neuauflage des Programms eingegangen. „Das zeigt, wie groß der Bedarf ist“, sagt Rahner. Inzwischen sind bei vielen Organisationen die Absagen für Modellprojekte eingetroffen.
Giffeys Zusage beruhigt nicht
Dass Giffeys Zusage zur Finanzierung wie eine Beruhigungspille wirkt, kann man nicht behaupten. Bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen schon gar nicht. Der Migrationsrat verlangt in einem Aufruf von der Bundesregierung, die Mittel auf 200 Millionen Euro pro Jahr zu erhöhen und kritisiert scharf, dass außergewöhnlich viele migrantische Organisationen eine Absage für ihre Projektanträge erhalten haben. „Das bedeutet, dass ein erheblicher Teil des Engagements von Menschen mit Rassismuserfahrungen auf der Strecke bleiben wird.“ Was fehlt, ist ein Demokratiefördergesetz, steht dort.
Das sehen sämtliche zivilgesellschaftlichen Organisationen ebenso. Ein solches Gesetz fordert auch die Familienministerin Giffey, wie bereits ihre Amtsvorgängerin Manuela Schwesig, die Union sperrt sich, erklärt die SPD. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags hat schon 2013 angemahnt, dass zivilgesellschaftliches Engagement Planungssicherheit braucht. Ohne entsprechendes Gesetz kann der Bund seine Mittel nicht verstetigen, so ist das im Föderalismus, sagt die Regierung. Von Planungssicherheit kann keine Rede sein, die Initiativen gegen rechts hangeln sich von Projekt zu Projekt, von Förderantrag zu Förderantrag. Judith Rahner kann davon ein Lied singen. Befristete Projekte, das heißt befristete Jobs. Kompetenz stärken, so lautet die Zielvorgabe der Programme des Bundes zur Prävention gegen Rechtsextremismus, die Bedingungen dabei gleichen einem organisatorischen Hürdenlauf. Dass ein Programm in die Verlängerung geht, passiert bei „Demokratie leben“ zum ersten Mal. Die neue Förderphase ist mit einer Umstrukturierung verbunden. Das sei aus rechtlichen Gründen zwingend notwendig gewesen, erklärt ein Sprecher des Familienministeriums auf Anfrage. Und verweist auf das dringend benötigte Demokratiefördergesetz. Der Sprecher skizziert die neue Struktur, die sich stärker auf die Förderung von Engagierten vor Ort konzentriere. Aktuell erhalten 300 kommunale Partnerschaften Mittel, künftig sollen es statt 100.000 Euro pro Jahr 125.000 sein. Auch die Landesdemokratiezentren sollen mit mehr Geld gestärkt werden. Und die Modellprojekte werden statt 100.000 Euro jährlich 200.000 pro Projekt erhalten.
Die Zivilgesellschaft direkt vor Ort zu stärken, das klingt gut. Aber den Preis dafür zahlen die zahlreichen Modellprojekte und Initiativen, die nicht mehr gefördert werden. Einige stehen nun vor dem Aus. Nicht nur deshalb ist bei ihnen das Unbehagen mit Blick auf die Umstrukturierung groß. Man denkt an Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der befand, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus, oder an Freital – Rassismus, nicht bei uns, befand die dortige CDU. Geht eine solche Kommune eine Partnerschaft zum Kampf gegen Rechtsextremismus ein? Man denkt auch an Sachsen-Anhalt, wo der Anschlag geschah. Dort gibt es im Landtag eine Enquetekommission zu Linksextremismus, unter AfD-Vorsitz. Linksextremismus, Rechtsextremismus, das wird von der Union gern in einem Atemzug genannt, als handele es sich um zwei Seiten einer Medaille. Die AfD möchte die Antifa am liebsten als terroristische Vereinigung einstufen lassen. Seit CDU-Familienministerien Kristina Schröder, der Erfinderin der Extremismusklausel, hat sich nichts daran geändert: Linke, Rechte, Islamisten, dieser Dreiklang findet sich auch noch im aktuellen Präventionsprogramm. Zeitgemäß ist das nicht, findet Judith Rahner.
Aussteiger? Ja, bitte
„Eigentlich sollten wir beide jetzt über Halle sprechen“, sagt Heiko Klare, Sprecher des Bundesverbands mobiler Beratungen, im Gespräch mit dem Freitag. Stattdessen reden wir über Finanzen. Das Zynische ist: Geht es um Mittel im Kampf gegen Rechtsextremismus, ist zuvor immer etwas passiert. Im Jahr 2000 war es der Anschlag auf jüdische Flüchtlinge in Düsseldorf, danach rief Gerhard Schröder den „Aufstand der Anständigen“ aus, im Anschluss kam das erste Programm gegen Rechtsextremismus vom Bund. Nach Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen setzte die damalige Bundesregierung auf die „akzeptierende Jugendsozialarbeit“. Im Osten lernten sich dabei Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennen, im Westen verübte der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke zur gleichen Zeit einen Anschlag auf eine Asylunterkunft. Nach der Selbstenttarnung des NSU floss mehr Geld in die Förderprogramme, verstetigt wurden sie nie. Als sei der Rechtsextremismus ein Phänomen, bei dem man hofft, es könnte sich von selbst auflösen.
„Das Problem ist, der Bundesregierung fehlt eine klare und an aktuelle Probleme angepasste Strategie im Kampf gegen Rechtsextremismus“, sagt Judith Rahner. Heiko Klare stimmt dem zu. Er ergänzt, der Regierung fehle auch eine Strategie zur Einbindung der Zivilgesellschaft. Klare ging es bis vor Kurzem wie Bernd Wagner, dem Gründer von „Exit“, einem Neonazi-Aussteigerprogramm. Er wusste nicht, wie es weitergeht. Sein Bundesverband gehörte zu den Dachverbänden, die „Demokatrie leben“ in der ersten Phase strukturierten. Nun werden sie durch Kompetenznetzwerke ersetzt. Vor Kurzem erfuhr er, dass sein Bundesverband an der Neuauflage von "Demokratie leben" beteiligt wird. Bereits im Mai schickten mehr als 150 namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen offenen Brief an die Bundesfamilienministerin, in dem sie dafür plädierten, die staatliche Förderung für die Dachverbände fortzusetzen. Sie gehörten zu den Erfolgsgeschichten von "Demokratie leben" und seien "zentrale Ansprechpartner für den unschätzbar wichtigen Wissenschafts-Praxis-Dialog", mahnten die Wissenschaftler. Im Juni hatte sich die Aussteigerinitiative "Exit" mit einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel gewandt, wenige Tage, nachdem ein Neonazi als mutmaßlicher Täter des Mordanschlags auf Walter Lübcke verhaftet worden war. Im Brief von "Exit" ging es um die Sorge, ob es ab 2020 noch staatliche Mittel für das Aussteigerprogramm gibt. Einen Tag nach der Veröffentlichung des Briefes rief die Kanzlerin auf dem evangelischen Kirchentag zum Kampf gegen Rechtsextremismus auf. Nach dem Mordanschlag auf Walter Lübcke wurde landauf und landab gefragt, ob die Bundesregierung den Rechtsextremismus allzu lange ignoriert hat. Schon in den Monaten davor verging kaum eine Woche, in der einem die Gefahr nicht vor Augen geführt wurde. Drohbriefe vom "NSU 2.0", Enthüllungen über rechtsextreme Terrornetzwerke, die "Feindeslisten" mit tausenden Namen, die von Neonazis ins Netz gestellt wurden. Was unter dem Radar blieb, war die Frage nach dem Geld. Und die prekären Bedingungen, unter denen jene arbeiten, die sich seit Jahrzehnten professionell um den Kampf gegen rechts kümmern. Die Amadeu Antonio Stiftung wurde 1998 gegründet, die Aussteigerinitiative "Exit" im Jahr 2000, die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus ist seit 2001 am Start. Wenn ein staatliches Förderprogramm ausläuft, wissen sie nicht, wie und ob sie ihre Arbeit fortsetzen können. „Exit“ hat einen Termin im Familienministerium, berichtete Deutschlandradio am Montag. Nach Halle ist der politische Druck groß, es wäre ein fatales Signal, ein Aussteigerprogramm für Neonazis ins finanzielle Aus zu manövrieren. Am Donnerstag teilte die Familienministerin mit, "Exit" werde auch im kommenden Jahr gefördert. Eine Nachricht, die schon lange hätte selbstverständlich sein müssen.
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