Eigentlich hätte es ein perfekter politischer Jahresauftakt für die Grünen werden können. Zurzeit scheint kaum ein Tag zu vergehen, an dem man nichts von ihnen oder über sie hört. Totgesagte leben länger: Vor der letzten Bundestagswahl las man angesichts miserabler Umfragewerte oft, die Grünen hätten sich zu Tode gesiegt. Am Wochenende bezeichnete Alexander Dobrindt beim CSU-Landesgruppentreffen im Kloster Seeon die Grünen als „Angstpartei“, während der FDP-Parteinachwuchs beim Dreikönigstreffen vor der Stuttgarter Staatsoper für mehr Klimaschutz demonstrierte. Parteichef Christian Lindner versuchte indes, dem Publikum im Saal seinen marktliberalen „Gegenentwurf“ zur Klimapolitik der Ökopartei zu vermitteln, der natürlich ohne Verbote auskommen muss. Wenn sich CSU und FDP so ins Zeug legen, dann steckt dahinter auch die Sorge, dass es bei der nächsten Bundestagswahl für ein schwarz-grünes Bündnis reicht. Vom schlechten Zustand der Großen Koalition profitieren die Grünen am stärksten, sie liegen in Umfragen bei rund 20 Prozent.
Bei der Vorstandsklausur der Grünen, die am Montag begann, standen die Themensetzung für die Europa-Wahl und die Landtagswahlen in Ostdeutschland auf dem Programm, passend dazu hatten sie die Grenzstadt Frankfurt (Oder) und als Motto „und nicht unter und nicht über“ aus Brechts Kinderhymne Anmut sparet nicht noch Mühe gewählt. Und dann verstolperte Parteichef Robert Habeck schon vor dem Start der Veranstaltung die Inszenierung mit einer missglückten Video-Botschaft zur Wahlkampfhilfe für Thüringen: „Wir versuchen alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.“
Ohnehin dürften die Grünen 2019 nicht mehr so leichtfüßig unterwegs sein. Erfolge wie in Bayern oder Hessen werden sie im Osten nicht erwarten, dort hatten sie schon oft mit der Fünf-Prozent-Hürde zu kämpfen, in Mecklenburg-Vorpommern verpassten sie 2016 den Wiedereinzug in den Landtag. Wobei sie auch im Osten derzeit höhere Umfragewerte erzielen: In Thüringen und Brandenburg liegen sie bei zwölf, in Sachsen bei neun Prozent.
Eine Zukunft für den Soli
Es gehe um eine gesamtdeutsche Erzählung, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock zum Abschluss der Klausur, was nicht nur zur gegenwärtigen Debatte um die Spaltung zwischen Ost und West passt, sondern auch zum Anspruch der Grünen, Volkspartei zu werden. Für die Wahlen setzt die Partei auf Sozialpolitisches: einen Härtefallfonds für benachteiligte Berufsgruppen, einen Altschuldenfonds für überschuldete Kommunen, der Soli, den die Große Koalition bis Ende 2019 teilweise abschaffen will, soll ein „Soli für gleichwertige Lebensverhältnisse“ werden. Die „Garantiesicherung“, die Habeck anstelle von Hartz IV ins Spiel gebracht hatte, fügt sich da ein, sie ist aber ebenso wie der Soli nicht Länder-, sondern Bundessache, bei der derzeit schon Union und SPD aneinandergeraten. Die CDU hat bei ihrem Parteitag im Dezember beschlossen, den Soli ganz im Sinne der Besserverdiener bis Ende 2021 vollständig abzuschaffen, was nicht im Koalitionsvertrag vereinbart ist.
Dass neben diesem Streit auch die Auseinandersetzung in der Asylpolitik fortgesetzt wird, ist sicher. 170.000 Wähler sind bei der Bayern-Wahl von der CSU zu den Grünen abgewandert. Die Ökopartei sammelte ein konservatives Milieu ein, das auf Distanz zum flüchtlingspolitischen Kurs der Christsozialen geht. Koaliert hätten sie trotzdem mit der CSU. Eine Abkehr von Hartz IV würden Union und FDP nicht mitmachen, aber das wäre für die Grünen sicher kein Ausschlussgrund für Jamaika oder Schwarz-Grün. Mitte Dezember wurde bekannt, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer weitere Verschärfungen bei Abschiebungen plant. Mit einer Gesetzesinitiative will er den Behörden erlauben, abgelehnte Asylsuchende bis zum Zeitpunkt der Abschiebung in Gewahrsam zu nehmen. Zuletzt nutzte er eine Prügelattacke alkoholisierter Asylsuchender auf Passanten im bayrischen Amberg für die Forderung nach schnellerer Abschiebung von straffällig gewordenen Asylbewerbern. 2018 haben sich die Grünen als veritable Gegenspieler der CSU etabliert, entsprechend prompt kam die Kritik der innenpolitischen Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion, Irene Mihalic: Im Deutschlandfunk warf sie Seehofer vor, das Ausländer- und Aufenthaltsrecht als Ersatzstrafrecht zu missbrauchen.
Trotzdem muss man festhalten: Auch die Linie der Grünen in der Flüchtlingspolitik ist härter geworden. Winfried Kretschmann stimmte 2014 der Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu, trotz großer Kritik aus der eigenen Partei und von Menschenrechtsorganisationen. Ein Jahr später wurde die Liste, mit seiner Hilfe als Verhandlungsführer der Grünen im Bundesrat, um Albanien, Montenegro und den Kosovo erweitert. Der Protest in der Partei fiel da schon deutlich leiser aus. Kurz darauf fassten die Grünen auf einem Parteitag einen Beschluss, in dem steht: „Dabei ist klar, dass nicht alle im Land bleiben können.“
In den kommenden Wochen wird die Entscheidung über die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer erneut im Bundesrat auf der Tagesordnung stehen. Seit der Silvesternacht 2015/2016 in Köln üben vor allem die Unionsparteien massiven Druck auf die Grünen aus, zuzustimmen. Die Bundesregierung hatte das Vorhaben damit begründet, Asylverfahren für Bürger aus Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien endeten fast immer mit einer Ablehnung. Im März 2017 schmetterte der Bundesrat das Vorhaben ab, weil die Voraussetzungen für die Einstufung – keine politische Verfolgung oder unmenschliche Bestrafung – nicht erfüllt sind. Von den Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung zeigte sich nur Baden-Württemberg bereit.
Was macht der Südwesten?
Als die Große Koalition in diesem Sommer den zweiten Anlauf nahm, richteten sich die Blicke der Grünen in den Südwesten und zur schwarz-grünen Koalition in Hessen. Zum aktuellen Stand der Debatte in Baden-Württemberg sagt Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer und innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion: „Grün-Schwarz hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die sicheren Herkunftsstaaten um Algerien, Tunesien und Marokko zu erweitern, wenn die hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt werden. An dieser Bedingung im Koalitionsvertrag halten wir fest.“ Er fügt hinzu, dass die Grünen-Fraktion insbesondere im Hinblick auf lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Menschen (LSBTTIQ) berechtigte Zweifel hat, ob diese Voraussetzungen vorliegen. „Deswegen muss sichergestellt werden, dass besonders verfolgte Gruppen wie LSBTTIQ, Journalisten oder religiöse Minderheiten im Asylverfahren Schutz finden können. Damit ist gemeint: Für diese Minderheiten soll auch dann ein hoher Schutzstandard gelten, wenn ihr Heimatland zu einem sicheren Herkunftsstaat erklärt wird und sich die Regeln beim Asylverfahren für die Mehrheit verändern.“
In Hessen haben sich CDU und Grüne kurz vor Weihnachten bei den Koalitionsverhandlungen beim Thema nicht geeinigt und das auch im Koalitionsvertrag festgehalten. In diesem Fall gilt: Man enthält sich bei der Abstimmung. Damit schwindet die Mehrheit für eine Ausweitung.
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