Stadt, Land und reif für die Insel

Schleswig-Holstein SPD und Grüne haben an der Küste harmonisch zusammen regiert. Aber kurz vor der Wahl holt die blasse CDU auf
Ausgabe 17/2017
Wahlkämpfer unter sich: Torsten Albig und Martin Schulz
Wahlkämpfer unter sich: Torsten Albig und Martin Schulz

Foto: Thomas Imo/Photothek/Getty Images

Schafe, Deiche, Dünen und Meer, Schleswig-Holstein wird gerne mit Postkartenmotiven assoziiert. Doch die politischen Tragödien, für die das nördlichste aller Bundesländer immer wieder Schauplatz war, zeigen, dass Idylle trügerisch sein kann. Die Bilder von SPD-Kanzler Willy Brandt und Günter Guillaume bei ihrer Reise durch Schleswig-Holstein haben sich ebenso ins Gedächtnis eingeschrieben wie die Affäre um den CDU-Ministerpräsidenten Uwe Barschel. 2005 beschäftigte der „Heide-Mord“ die Republik. Ein bis heute unbekannter Abweichler aus den eigenen Reihen verweigerte der damaligen SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis in vier Wahlgängen die Stimme. Im Vergleich dazu wirkt der aktuelle Landtagswahlkampf geradezu friedlich, von politischen Intrigen ist bisher nichts zu spüren. Wachsam beobachtet wird er von den Parteien im Bund dennoch. Und das liegt nicht nur daran, dass das Rennen zwischen CDU und SPD in Schleswig-Holstein traditionell knapp ausgeht. Am 7. Mai wird gewählt, nur eine Woche später folgt die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die als Signal für die Bundestagswahl gilt. Die Ausgangslage in Schleswig-Holstein erinnert an die im Saarland, das den Auftakt für das Superwahljahr machte – nur unter umkehrten Vorzeichen. Hier hat mit Torsten Albig ein SPD-Ministerpräsident den Amtsbonus. Seine Bundespartei dürfte sich wohl sehnlichst wünschen, dass der „Schulz-Effekt“ mit einem Wahlsieg endlich Wirklichkeit wird. Die CDU, die nur noch in vier Bundesländern die Ministerpräsidenten stellt, träumt davon, ein weiteres Flächenland zu erobern.

Küstenstar Robert Habeck

Die Grünen, die zurzeit die schlechtesten Umfragewerte seit 15 Jahren haben, hoffen, dass ihr Küstenstar Robert Habeck sie aus der Abwärtsspirale befreit. Die Linkspartei, die mit Oskar Lafontaine an der Saar stark war, kämpft nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern auch in Nordrhein-Westfalen um die Rückkehr ins Parlament. Und die FDP, die 2013 aus dem Bundestag flog und auch im Saarland an der Fünfprozenthürde scheiterte, betet nicht nur dafür, dass Wolfgang Kubicki mit einem guten Ergebnis Christian Lindner bei der Wahl in NRW beflügelt. Die beiden sollen auch noch für die Auferstehung der Partei sorgen und sie aus dem Elend der außerparlamentarischen Opposition befreien. Sollte die FDP es wieder in den Bundestag schaffen, will Kubicki, der seit 21 Jahren Fraktionsvorsitzender im Kieler Landeshaus ist, sein Mandat im Bund wahrnehmen.

Eine Wechselstimmung konnten die Meinungsforscher im Hinblick auf die Wahl in Schleswig-Holstein bisher nicht ausmachen. Auch wenn der CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther seine Partei zur stärksten Kraft machen möchte und Wolfgang Schäuble Wahlkampfhilfe leistet, wenn er behauptet, das Bundesland werde schlecht regiert. Seit fünf Jahren führt Albig die sogenannte Küstenkoalition aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband der dänischen und friesischen Minderheit (SSW) weitgehend geräuschlos. Abgesehen davon, dass fast jede Debatte im Bundestag im Vergleich zu den Wortgefechten, die sich der SPD-Fraktionschef Ralf Stegner und Kubicki im Kieler Landtag liefern, geradezu dröge anmutet. Der Landesverband der CDU war in den letzten Jahren vor allem mit sich selbst beschäftigt. Seit 2011 hielt sich kein Vorsitzender länger als zwei Jahre im Amt. Der Fraktionsvorsitzende Günther wurde erst im November zum Landeschef und Spitzenkandidaten gekürt. Günther ist angetreten, um die CDU zu modernisieren. Seine Partei gewinnt zwar in ländlichen Gebieten, aber in den Städten läuft es schlecht. In Flensburg, Lübeck und Kiel stellt die SPD die Bürgermeister. „Eine CDU, die nicht mit Frauen antritt, ist auf Dauer nicht attraktiv“, betont der 43-jährige oft. Für diese Erkenntnis hat Schleswig-Holsteins CDU sehr viel Zeit benötigt, 1993 wurde dort mit Heide Simonis die erste Ministerpräsidentin der Republik ins Amt gewählt, sie blieb zwölf Jahre. Im Wahlkampf möchte Günther vor allem mit dem Thema Bildung punkten, er fordert die Abkehr vom Turbo-Abi und die Rückkehr zu G9. Ob die CDU für dieses Anliegen eine glaubwürdige Vertreterin ist, ist eine andere Frage. Schließlich war sie es, die vor einigen Jahren in Schleswig-Holstein die Verkürzung der Schulzeit durchboxte. Ansonsten setzt die CDU auf die Stärkung der Gymnasien, ginge es nach ihr, könnten Schüler an den Gemeinschaftsschulen nur noch den mittleren Abschluss machen.

Die SPD will keine Änderungen am Schulsystem vornehmen, die Wahlfreiheit, ob man nach 12 oder 13 Jahren Abitur macht, gibt es bereits. Grüne, SSW und FDP setzen bei der Bildung ebenfalls auf Wahlfreiheit. Die Linkspartei möchte die Schulsozialarbeit ausbauen, die Grünen wollen die Inklusionsangebote verbessern. Ein Blick in die Wahlprogramme offenbart, dass das Konfliktpotenzial zwischen den Parteien – mit Ausnahme der AfD – überschaubar ausfällt. CDU und FDP wollen die Kitagebühren senken, Grüne, Linkspartei, SPD und SSW wollen sie schrittweise abschaffen. Alle Parteien sprechen sich für den Ausbau der Windenergie aus, allerdings mit unterschiedlichen Akzenten. Wo die Windparks angesiedelt werden sollen, ist ein Streitthema. Als Robert Habeck, Schriftsteller und promovierter Philosoph, 2012 in der Küstenkoalition den Posten des Umweltministers übernahm, rechneten viele damit, dass es zwischen ihm und den Bauern-, Fischer- und Jägerverbänden alsbald zum Eklat kommen würde. Konflikte gab es durchaus, aber mittlerweile gehört Habeck zu den beliebtesten Politikern des Landes.

Streit um Windparks

Schleswig-Holstein ist landwirtschaftlich geprägt, es gibt kaum Industrie, dafür boomt der Tourismus. Nicht nur auf Sylt, das spätestens seit Gunter Sachs es in den 1960er für sich entdeckte, als Sehnsuchtsinsel der Reichen gilt, sondern auch an der Ostseeküste. Die Lübecker Bucht wurde in den vergangenen Jahren mit Millioneninvestitionen aufgerüstet, nun gibt es Vier-Sterne-Hotels und Wellness-Tempel. Der Timmendorfer Strand und Travemünde versuchen mitzuhalten. Die Touristenzahlen steigen, noch rasanter preschen allerdings die Immobilienpreise in die Höhe. Mit dem Effekt, dass es sich viele nicht mehr leisten können, dort zu wohnen, wo andere Ferien machen. Schließlich gibt es in der Tourismusbranche nur wenige Gutverdiener.

Dass die Linke für Schleswig-Holstein mehr Sozialwohnungen fordert, klingt vor diesem Hintergrund denn auch gar nicht mehr nach einem Wahlkampfthema, das nur in urbane Metropolenlandschaften passt. Der SPD-Ministerpräsident wirbt im Wahlkampf mit dem Slogan „Zeit für Gerechtigkeit“. Albig hat als Pressesprecher die rigide Sparpolitik von Hans Eichel unter Rot-Grün verkauft, in der Großen Koalition arbeitete er für Peer Steinbrück im Bundesfinanzministerium. Nun spricht er wieder gerne darüber, dass es Lafontaine war, der ihn entdeckte. Souveräner wirkt er, wenn er seine Entscheidung, in seinem Bundesland einen Abschiebestopp für Afghanistan verhängt zu haben, verteidigt.

In den aktuellen Umfragen liegt die SPD in Schleswig-Holstein stabil bei 33 Prozent, die CDU hat fünf Prozentpunkte aufgeholt und kommt auf 31 Prozent. Die Grünen, bei denen nicht Robert Habeck, sondern Finanzministerin Monika Heinold Spitzenkandidatin ist, kommt auf zwölf Prozent. Die FDP schafft neun, die Linke liegt bei vier Prozent, der SSW kommt auf drei Prozent, für ihn wurde als Minderheitenpartei allerdings die Fünfprozenthürde außer Kraft gesetzt. Bleibt es dabei, würde es für ein Fortbestehen der Küstenkoalition reichen, schafft die Linkspartei den Einzug, gibt es dafür keine Mehrheit mehr. Der CDU-Kandidat umgarnt bereits eifrig die Grünen und träumt von Jamaika. Die FDP würde mitmachen, Habeck favorisiert zwar das Bündnis mit SPD und SSW, aber eine Koalitionsaussage hat seine Partei nicht getroffen. Eigentlich müssten beim Angebot von Günther bei FDP und Grünen die Alarmsirenen schrillen. Juniorpartner der CDU leben gefährlich. Nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland die erste und bisher letzte Jamaika-Koalition der Republik aufkündigte, haben weder die FDP noch die Grünen dort wieder Boden unter die Füße bekommen.

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