Wenn an diesem Mittwoch in Köln die weltweit größte Computerspielemesse Gamescom beginnt, werden diese Fragen wieder einmal hochpoppen: Was machen Computerspiele mit dem Menschen? Wie steht man zu den Ballerspielen? Im Vorfeld sorgte bereits die Ankündigung des ZDF für Aufregung im Spartenkanal ZDFkultur einen Spieltag der Computerspiele-Liga ESL zu übertragen, inklusive des Ego-Shooter-Spiels Counter Strike.
Viel interessanter als die sich endlos wiederholende Diskussion um die Gefahren von Ego-Shootern ist aber eine andere Frage: Was macht der Mensch aus dem Spiel? Eine Verheißung steht seit Erscheinen des ersten kommerziellen Videospiels Pong Anfang der 70er Jahre im Raum: die Emanzipation des Rezipienten. Denn wie kein anderes Medium ermöglicht da
e im Raum: die Emanzipation des Rezipienten. Denn wie kein anderes Medium ermöglicht das Computerspiel die Interaktion. Der Linearität von Büchern und Filmen haben Computerspiele die Simulation entgegensetzt und einen Möglichkeitsraum aufgespannt, in dem sich ein aktiver Rezipient bewegen kann. In dem die Handlung nicht zwingend vorgegeben ist, sondern eigene Entscheidungen getroffen werden können.Viel hat sich getan seit Ataris Tennissimulation Pong: Die Spielegrafik ist heute fotorealistisch, die Stories episch, die Charaktere vielschichtig. Und auch bei der Wahlfreiheit des Spielers hat die interaktive Unterhaltung Fortschritte gemacht. Passé sind die Zeiten, als dem Spieler nur die Wahl zwischen einem Super-Mario-Jump’n’Run-Game oder einem Shooter wie Doom blieb – er also entweder von A nach B hüpfte oder sich von Raum zu Raum ballerte.Das im vergangenen Jahr erschienene, millionenteure Psychodrama Heavy Rain setzte Maßstäbe beim Einfluss der Spieler auf den Verlauf der Geschichte. Das Skript für das Spiel umfasste knapp 2.000 Seiten, in denen alle möglichen Varianten der Handlung je nach Entscheidung des Spielers festgelegt wurden. Dass die Wahlfreiheit des Akteurs auch bei dieser Komplexität weiterhin Grenzen hat, ist der Tatsache geschuldet, die potentiell unendlich vielen Entscheidungsmöglichkeiten am Ende doch wieder zu einer konsistenten Handlung zu bündeln.Selbstentwickelte FigurenSicher, eine völlige Emanzipation innerhalb des Spiels kann es so nicht geben. Gamedesigner werden niemals unendlich viele Wahlmöglichkeiten in ein Spiel packen können. Aber dieses Argument verkennt, dass jedes Spiel nun mal nach Regeln gespielt wird, auf die man sich einlässt, um innerhalb dieser frei zu entscheiden. Wer sich nicht an die Regeln halten will, kann sie als sogenannter Modder umschreiben – also, in der Regel mit Genehmigung der Spielefirma, das Spiel durch selbstentwickelte Figuren oder Landschaften erweitern. Aus von der Modding-Szene veränderten Games sind mitunter schon völlig neue Spiele entstanden.Wirft man aus Sicht eines aktiven Rezipienten einen Blick auf die exponiertesten der 200 Spielpremieren der Gamescom, macht sich allerdings schnell Ernüchterung breit. Die Spieleindustrie betätigt sich vor allem als großer Illusionist und präsentiert dieses Jahr zumeist Titel, die dem Spieler Wahlfreiheit lediglich suggerieren. Der dritte Teil der Egoshooter-Reihe Call of Duty Modern Warfare ist der wohl prominenteste Vertreter dieser Filme im Spielgewand.Die Entwickler dieses Action-Titels verstehen sich gut darauf, beim Spieler die Illusion zu erzeugen, sein Auftreten habe direkten Einfluss auf die Spielwelt. Dass er keine wirkliche Wahlfreiheit hat, sondern lediglich damit beschäftigt ist, simple Probleme zu lösen – töte ich zuerst Gegner A und dann Gegner B oder umgekehrt? –, wird gekonnt verschleiert. Zugespitzt formuliert: Einzig die Abspielgeschwindigkeit der Handlung kann der Spieler hier bestimmen.Selbstverständlich gibt es auch positive Ausnahmen. Der kanadische Spieleentwickler Bioware wird den dritten Teil seines Rollenspiel-Epos Mass Effect vorstellen. Dessen Vorgänger haben sich schon darauf verstanden, den Spieler immer wieder vor extreme moralische Fragen zu stellen und ihn im Verlauf der Handlung mit alternativen Enden konfrontiert. Vor allem vom dritten Teil des Weltraum-Rollenspiels erhoffen sich viele nun neue Anstöße für das non-lineare Gamedesign.Der harte Kern der emanzipationswilligen Gamer-Szene trifft sich aber eher nicht auf Riesenmessen wie der Gamescom, sondern tauscht sich im Netz aus. Bestes Beispiel: das Open-World-SpielMinecraft. Entwickelt wurde Minecraft vom schwedischen Programmierer Markus Persson. Tausende Spieler bauen seit Beginn der Testphase im Dezember 2010 mit virtuellen Blöcken aus Erde, Holz und anderen Materialien, was ihnen in den Sinn kommt. Auf Youtube können Minecraft-Eigenkreationen und riesige Nachbauten von Objekten wie dem Raumschiff Enterprise bestaunt werden. Eine unbändige Lust am Rumbasteln und große Kreativität zeichnen die Community dabei aus.Lieber keine ExperimenteDie Spiele-Industrie schert das bisher nur wenig. Der Gamer als produktive Größe – das ist eine Variable, die sie zu oft vernachlässigt. Keine Experimente lautet das Motto. Schließlich müssen Blockbuster-Spiele wie Call of Duty Kosten für Produktion und Werbekampagnen im dreistelligen Millionenbereich einspielen. Und außerdem denken viele in der Branche: Was ist schon an Slapstick-Handlungen auszusetzen, wenn sie den Spieler doch ausgezeichnet unterhalten? Eigentlich wenig. Nur was unterscheidet dann das Spiel noch vom Film?40 Jahre nach Pong scheitert die Branche meist immer noch an dem Anspruch, dem Spieler mehr als eine lineare Handlung zu präsentieren. Mehr Lust am Spiel, mehr Lust auch am Herumspielen, würde man sich dann doch wünschen.