Geldpolitik for Future

Klima Die Europäische Zentralbank soll mehr grüne Anleihen aufkaufen. Diese Forderung hat einen Haken
Ausgabe 48/2020

Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) deutet sich ein Kursschwenk an. Während ihr Vorgänger, Mario Draghi, sich dazu fast nie äußerte, scheint Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB, ein neues Lieblingsthema zu haben: grüne Geldpolitik. Aus dem linken und grünen politischen Spektrum kommt großer Zuspruch. Doch welchen Beitrag kann die EZB im Kampf gegen den Klimawandel wirklich leisten?

Die EZB ist eine öffentliche, aber technokratische Behörde mit einer klaren Aufgabenstellung. Sie soll mit ihrer Geldpolitik für Preisstabilität in der Eurozone sorgen. Preisstabilität ist dabei definiert als eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Alles, was die EZB in Sachen Geldpolitik macht, muss diesem Ziel untergeordnet werden. Dafür darf sie ihre Politik allerdings eigenständig festlegen und umsetzen. Hier ist sie also unabhängig. Das heißt: Olaf Scholz darf nicht bei Christine Lagarde anrufen und niedrige Zinsen verlangen.

Zur Geldpolitik gehört vor allem die Steuerung des Zinsniveaus, seit geraumer Zeit aber immer prominenter auch die gezielte Beeinflussung von Preisen auf dem Kapitalmarkt. Als Schöpferin des Euro verfügt die EZB über theoretisch unbegrenzte Feuerkraft und kann alles kaufen, was in Euro zum Verkauf steht. Diese Fähigkeit nutzt sie im Rahmen ihrer Anleihekaufprogramme, um Wertpapiere, insbesondere Staats- und Unternehmensanleihen, auf dem Kapitalmarkt zu kaufen. Wenn sie Anleihen kauft, treibt sie den Preis dieser Anleihen nach oben. Der Preisanstieg macht es Firmen etwas leichter, neue Anleihen auszugeben und Kredite aufzunehmen. Zudem reduziert der Preisanstieg die Zinsaufschläge auf Staatsanleihen. Darüber freuen sich dann die Finanzministerien der Euroländer, weil sie Zinskosten „sparen“.

Was Jens Weidmann sagt

Die übliche Auffassung, dass die EZB Geld „in die Wirtschaft pumpt“, ist falsch. Die Bilanzen der Banken, denen die EZB die Anleihen abkauft, verändern sich unterm Strich nicht. Sie tauschen Anleihen gegen Zentralbankguthaben, das ist so, als würden wir Geld von unserem Sparkonto auf unser Girokonto umbuchen.

Sowohl mit Niedrigzinsen als auch mit Anleihekäufen beabsichtigt die EZB, die Finanzierungskosten für Kreditnehmer zu senken. Die Hoffnung: Durch günstigere Kreditmöglichkeiten sollen Unternehmen zum Investieren animiert werden. Damit soll die Wirtschaft angekurbelt und ein Anstieg der seit Jahren lahmenden Inflation in Richtung zwei Prozent gelingen. Der Erfolg: mäßig. Warum? Nun, wenn die Unternehmen keine Umsatzsteigerungen in der Zukunft erwarten, dann investieren sie auch nicht. Da können Kredite noch so günstig sein. Die Lösung liegt auf der Hand und wird von mehr und mehr Zentralbankern auch öffentlich eingefordert: Die Fiskalpolitik – also die Finanzministerien – muss der Geldpolitik endlich zur Seite springen und durch höhere Staatsausgaben aufs Gaspedal drücken.

Durch die Anleihekäufe ist die Bilanzsumme der EZB die letzten Jahre kräftig gewachsen. Geblendet davon, erklären viele Seiten sie gar zum wichtigsten wirtschaftspolitischen Akteur der vergangenen Jahre. Daher rührt auch die Forderung, dass die EZB doch aktiver zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen solle.

Konkret geht es darum, dass die Geldpolitik stärker berücksichtigen sollte, ob Wertpapiere mit umweltbelastenden oder -freundlichen Folgen verbunden sind. So könnte die EZB etwa verstärkt „grüne Anleihen“ aufkaufen und gleichzeitig die Finger von Anleihen lassen, die mit fossilen Brennstoffen verbunden sind. Alternativ könnte die EZB auch erklären, nur noch Anleihen von Unternehmen zu akzeptieren, die ihre Klimarisiken offenlegen, wenn sie diese von Banken als Sicherheiten für Zentralbankkredite verlangt.

Wenn Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank, davon hört, schüttelt er den Kopf und appelliert an die „Marktneutralität“. Damit meint er: Die EZB solle bei ihren Käufen niemanden bevorzugen oder benachteiligen, weil das Geld auf dem Kapitalmarkt dann nicht effizient verteilt würde. Zudem fehle der EZB dafür das Mandat. Kritiker dieser Haltung entgegnen, dass schon heute ein Marktversagen vorliegt, weil Klimarisiken nicht berücksichtigt werden. Dadurch würden die zukünftigen Erträge von fossilen Industrien überschätzt und die Folgekosten ihrer Aktivitäten ignoriert. Diese Haltung unterstützte zuletzt auch Isabel Schnabel, Ex-Wirtschaftsweise und heute Direktoriumsmitglied der EZB.

Von dort aus wird die Diskussion allerdings dann sehr schnell sehr technisch, weil über den „richtigen“ Preis für Wertpapiere gestritten wird. Das große Ganze gerät dabei aus dem Blick. Ja, die Preise sind verzerrt und bilden keine Klimarisiken ab. Das ist korrekt. Genauso ist vorgegebene Neutralität eine Nebelkerze. Doch wie relevant ist das in Sachen „Klimarettung“?

Der ökologische Umbau ist eine gewaltige Aufgabe. Umweltschädliche Industrie muss heruntergefahren und grüne Industrie aus dem Boden gestampft werden – ohne Arbeitslosigkeit, soziale Härten und Inflation zu erzeugen. Wenn die Anleihen von Shell durch eine grüne Geldpolitik benachteiligt werden, mag das vielleicht den Aktienkurs von Shell etwas schmälern, ein signifikanter Einfluss auf das Geschäftsmodell ist aber nicht zu erwarten. Ein Strukturwandel kann damit gewiss nicht angestoßen werden. Dasselbe gilt, wenn Olaf Scholz grüne Anleihen ausgibt. Denn neue Klimaausgaben werden damit nicht angestoßen. Dafür müsste der Bundestag zusätzliche Investitionen beschließen.

Damit kommen wir zum springenden Punkt: Wer Strukturwandel vorantreiben will, der muss zu Olaf Scholz und Peter Altmaier gehen – nicht zu Christine Lagarde. Der Fokus muss auf der Fiskal- und der Industriepolitik, also auf Investitionen, Subventionen, Besteuerung und Regulierung liegen – nicht auf der Bepreisung von Wertpapieren. Klimapolitik ist Sache von gewählten Regierungen und Parlamenten – nicht von technokratischen Behörden.

Solange die öffentlichen Nettoinvestitionen um null tendieren, also der Wert der Infrastruktur auf dem alten Niveau verharrt, gibt es keine politische Reaktion auf den Klimawandel. Das ist der Indikator, der sich bewegen muss, damit der Kampf gegen den Klimawandel Wumms bekommt.

Maurice Höfgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi (Linke) und Autor des Buches Mythos Geldknappheit. Modern Monetary Theory oder Warum es am Geld nicht scheitern muss

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