Studienkredit wird zur Schuldenfalle: Sind Unis doch nur was für Rich Kids?
Aufstiegsversprechen Hunderttausende Studis taumeln in die Schuldenfalle, weil auf ihre Studienkredite jetzt fast 10 Prozent Zinsen fällig werden. Der Staat macht sie so zur Billigbeute auf dem Arbeitsmarkt und straft das Aufstiegsversprechen Lügen
Die KfW dreht den Geldhahn für Studis erst auf, um sie dann per Rutsche in die Schuldenfalle zu schicken
Foto: Imago / Everett Collection
Mittlerweile gehen jeden Monat mehr als einhundert Euro vom Konto ab, nur für Zinsen. Und weil man den Alltag ja irgendwie bezahlen muss, bleibt für die Tilgung nicht mehr viel über. Die Rede ist von Studienkrediten, die gerade für Hunderttausende zur Schuldenfalle werden. Die Zinsen haben sich nämlich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt: von vier auf neun Prozent. Studierendenwerke warnen deshalb vor den Krediten, die Nachfrage bricht dramatisch ein und die Betroffenen starten mit Schuldenlast ins Berufsleben. Und die Bundesregierung? Schaut nur zu.
Studieren soll sich in Deutschland zwar theoretisch jeder leisten können – unabhängig von Herkunft und Elternhaus. Doch davon ist die Realität weit entfernt, vor allem in Metropolen wie Hambu
wie Hamburg, München und Berlin. Selbst wenn an staatlichen Unis keine Studiengebühren anfallen, müssen die hohen Mieten gewuppt werden. Bezahlbarer Wohnraum ist in Metropolen bekanntlich ein knappes Gut. Und was knapp ist, ist teuer.Wer fürs Wunschstudium umgezogen ist und weder auf BaFög noch auf den Geldbeutel der Eltern setzen kann, soll Hilfe in Studienkrediten von der Staatsbank finden können. 2006 hat deshalb die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) die Studienkredite eingeführt.Darum sind Studienkredite so teuerDas Gute: Jeder Student kann den Kredit bekommen. Die KfW prüft nicht, ob die Studis kreditwürdig sind, sondern verzichtet auf Bonitätsprüfungen und Sicherheiten. Das hat allerdings einen Haken. Um das Risiko für faule Kredite klein zu halten, gibt es höchstens 650 Euro im Monat und einen pauschalen Risikoaufschlag von rund fünf Prozent. Das macht die Kredite teuer. Hinzu kommt, dass der Zins in der Regel variabel ist, sich also jedes halbe Jahr ändert, abhängig von der Zinspolitik der Zentralbank.Ganz genau gesagt: Der Zins wird immer zum 1. April und zum 1. Oktober eines jeden Jahres an den europäischen Referenzzinssatz Euribor angepasst. Der lag Anfang 2022 noch bei -0,5 Prozent, hat sich aber nach zehn Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank auf heute 4,1 Prozent erhöht. Rechnet man die fünf Prozent Risikoaufschlag drauf, landet man bei den aktuellen Konditionen: 9,01 Prozent Effektivzinssatz.Klar, theoretisch können Studis sich auch den Zins für zehn Jahre festschreiben lassen. Das geht allerdings erst ab der Rückzahlungsphase, also meistens in der Zeit nach dem Studium; nicht dann, wenn der Kredit aufgenommen wird. Das Risiko zu Studienbeginn bleibt also. Und weil der Festzinssatz in der Vergangenheit immer deutlich teurer war als der variable, wurde er kaum genutzt. Lediglich in 2.500 von 172.000 Rückzahlungsverträgen wurde davon Gebrauch gemacht, das sind rund 1,5 Prozent aller Verträge.Viele Studierende erleben gerade einen ZinsschockDie allermeisten erleben also gerade einen Zinsschock. Auf etwas mehr als 2,3 Milliarden Euro beläuft sich die Summe, die die KfW gerade zurückfordert. Obendrauf kommen noch 49.000 Kredite, die gerade erst ausgezahlt werden und 41.000 Kredite, die sich in der Karenzphase zwischen Aus- und Rückzahlung befinden. Auch diese in Summe rund 90.000 Studis sind von dem Zinsschock betroffen. In der Auszahlungsphase werden die Zinsen nämlich gleich vom Auszahlungsbetrag abgezogen. Und in der Karenzphase muss zwar noch nicht getilgt, dafür aber noch immer der Zins gezahlt werden. Der wird dann erstmalig direkt vom Konto abgezogen und überrascht viele. Schließlich soll die Karenzphase dafür sein, in das Berufsleben zu starten und einen Job zu finden, der genug Geld einbringt, um den Kredit abzulösen.„Ist das nicht Abzocke?“, mag sich manch einer vielleicht gefragt haben. Nun, Gewinne macht die KfW mit den Krediten nicht, wie sie zumindest selbst angibt. Da der Bund nicht für Verluste einspringt, müsse sie kostendeckend aus der eigenen Kasse arbeiten – und mögliche Kreditausfälle in den Zinssatz mit einkalkulieren. Derzeit sind etwa 4.000 von den 172.000 Krediten in der Rückzahlungsphase notleidend, können also nicht zurückgezahlt werden. Aber: Das hat die KfW ja in den Risikoaufschlag einkalkuliert. Um die Bank muss man sich keine Sorgen machen. Um die Studis aber schon.Die Ampel ist mit dem Versprechen angetreten, eine Fortschrittskoalition zu sein. Alle drei Parteien eint die Position, dass Bildung der beste Weg für sozioökonomischen Aufstieg sei. Besonders die FDP hängt das besonders hoch. Und die stellt gerade sogar die Bildungsministerin, Bettina Stark-Watzinger.Schuldenfalle statt Aufstieg durch BildungNun bedeutet der Zinsschock bei den Studienkrediten eher Rückschritt als Fortschritt. Nicht nur, dass die betroffenen Kreditnehmer in die Schuldenfalle taumeln, nein, auch werden dieses Jahr so wenig neue Kredite vergeben wie nie zuvor. Wurden 2013 noch 33.000 neue Kredite abgeschlossen, waren es 2022 schon nur noch 15.000 und in der ersten Jahreshälfte 2023 gerade einmal etwas mehr als 4.000 – Negativrekord. Man fragt sich: Warum schweigt Bildungsministerin Stark-Watzinger dazu?Hinter diesen Zahlen stehen Studis, die ihr Wunschstudium dann doch nicht antreten, weil sie es sich schlicht nicht leisten können oder eben noch größere Lasten auf sich nehmen. Etwa, indem sie mehr Stunden im Nebenjob verbringen (und Zeit fürs Studium verlieren), noch prekärer wohnen, sich sozial isolieren und außer Nudeln mit Pesto nicht viel konsumieren.Wohl denen, kann man nur sagen, die aus dem eigenen Elternhaus finanziert werden – und sich während des Studiums keine Geldsorgen machen müssen. Die sind aber auch nicht die typische Zielgruppe solcher Studienkredite. Vielmehr ist die untere Mittelschicht betroffen, bei der die Eltern zwar so viel verdienen, dass es kein BaFög gibt; aber so wenig, dass die Eltern die Kinder nicht ausreichend unterstützen können.Kinder von Nicht-Akademikern arbeiten 3 Stunden pro Woche mehr im NebenjobNicht von ungefähr kommt, dass Studis aus nicht-akademischen Elternhäusern statistisch gesehen häufiger Nebenjobs ausüben und dabei im Schnitt fast drei Stunden länger pro Woche arbeiten als Studis aus Akademiker-Familien, wie die jüngste Datenerhebung des Bildungsministeriums „Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in Deutschland 2021“ zeigt. Außerdem geben sie mit fast 70 Prozent an, aus finanzieller Notwendigkeit neben dem Studium zu jobben, während Studis aus Akademikerfamilien häufig eher praktische Erfahrungen sammeln oder sich neben dem Studium weiterqualifizieren wollen. Auch wählen Studis aus Nichtakademiker-Familien ihr Studienfach häufiger danach aus, wie die späteren Einkommens- und Karriereaussichten sind.Die Erhebung ist leider blank, wenn es um die ökonomische Situation der Elternhäuser geht. Über den sich aufdrängenden Unterschied zwischen reicheren Akademiker-Eltern und ärmeren Arbeiter-Eltern erfährt man nichts. Hier ist die Bildungsministerin also im Blindflug unterwegs. Man kann allerdings erahnen, dass die genannten Unterschiede umso größer werden, je ungleicher die Einkommenssituation ist.Während die einen es sich leisten können, sich ganz aufs Studium zu konzentrieren oder den Lebenslauf schon während des Studiums mit teuren Auslandssemestern und unbezahlten Praktika aufzuhübschen, wird das Studium für die anderen zum finanziellen Überlebenskampf und der Lebenslauf zur Nebensache.Die Studienkredite produzieren leicht ausbeutbare ArbeitskräfteDie Nachteile ziehen sich bis zum Berufseinstieg durch. Wer nach seinem Studium mit zehntausenden Euros verschuldet ist, wird zum Berufseinstieg eher den erstmöglichen als den wirklich passenden Job annehmen. Wer vor der Privatinsolvenz flieht, hat auf dem Arbeitsmarkt keine Verhandlungsmacht, wird eher niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen akzeptieren und sich bei Streiks und Arbeitskämpfen eher zurückhalten. Das bedeutet: Der Zinsschock macht Absolventen zu leicht ausbeutbaren Arbeitskräften.Schon heute arbeiten rund 1,4 Millionen Menschen mit Studienabschluss in Deutschland zu Niedriglöhnen, verdienen also weniger als 12,50 Euro pro Stunde. Mal abgesehen davon, was das für eine Verschwendung von qualifizierten Arbeitskräften ist, während in jeder Talkshow über fehlende Fachkräfte geklagt wird. Diese ernüchternde Zahl wird eher steigen als sinken, je mehr Absolventen in die KfW-Schuldenfalle tappen.Die bittere Bestandsaufnahme lautet deshalb: Weder das BaFög, das nur elf Prozent aller Studis erhalten, noch der KfW-Studienkredit ändern daran etwas. Aufstieg durch Bildung bleibt damit ein zu oft nicht einlösbares Versprechen für die, die kleine Geldbeutel haben.Je unattraktiver die Studienkredite werden und je länger eine echte BaFög-Reform aufgeschoben wird, desto ungleicher werden die Chancen.Die Regierung schaut nur zu und flüchtet sich in billige AusredenUnd was macht die Ampel? Sie schweigt und schaut zu. Zuletzt hatte die CDU-Abgeordnete Katrin Staffler die Regierung gefragt, ob sich Bildungsministerin Stark-Watzinger mit der KfW dazu ausgetauscht hätte. Das hat sie zwar, so die Regierung, allerdings ohne Ergebnis. Die KfW sehe keine Möglichkeit, die Zinsen zu senken.Und der Finanzminister? Kann der kein Geld bereitstellen, um die Zinsen zu deckeln, so wie es die Studierendenwerke es fordern? „Angesichts der klaren Konzeption als Eigenmittelprogramm und der Haushaltslage war es schlussendlich auch keine Option, den KfW-Studienkredit mit Bundesmitteln zu unterstützen“, so die Regierungsantwort. Heißt: Lindners Sparpolitik kennt auch vor den Studis kein Erbarmen, denen Aufstieg durch Bildung versprochen wird.Die Ausrede der Regierung geht aber noch weiter. Das Programm sei seinerzeit mit der Bedingung eingeführt worden, „dass sich daraus keine Belastungen für den Bundeshaushalt ergeben dürfen“, schreibt das Bildungsministerium. Dabei hat der Bund schon mehrfach in das Programm eingegriffen. Nach der Finanzkrise 2008 etwa hat die KfW den Zinssatz auf Druck der damaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) von sieben auf 6,5 Prozent gesenkt, immerhin. Während Corona hat der Bund noch stärker eingegriffen und der KfW sogar ermöglicht, zinslose Notkredite zu vergeben. Wo ein politischer Wille, da auch ein Weg. Ganz offensichtlich fehlt der Ampel derzeit aber der Wille. Nicht zuletzt, weil das Einhalten der ach so heiligen Schuldenbremse ihr offenbar wichtiger ist.So richtig und wichtig ein Zinsdeckel bei den Studienkrediten wäre, so wenig sollte man sich einreden, dass damit die großen Ungerechtigkeiten im Bildungssystem gelöst würden. Dafür müsste man vor allem an das BaFög ran, die Einkommensgrenzen erhöhen und die Regelsätze an die Lebenswirklichkeit anpassen. Dafür bräuchte es allerdings wiederum mehr Geld. Wie man es also dreht und wendet: Das Aufstiegsversprechen durch Bildung bleibt für viele nicht einlösbar, solange sich die Regierung an die Schuldenbremse klammert. Von Lippenbekenntnissen und ideologischen Floskeln lässt sich kein Studium finanzieren.
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