Die Regel ist simpel: Jeder „Plan social“ - Spieler schlüpft in die Rolle eines Aktionärs. Jede Karte steht für einen Beschäftigten: mittlere oder höhere Führungskräfte, Techniker, Angestellte, Arbeiter, Putzfrauen. Es gibt auch Karten mit korrupten Politikern, die verdeckt auf der Lohnliste des Unternehmens stehen oder mit „illegalen“ Ausländern ohne gültige Papiere, mit Gewerkschaftern oder Fast-schon-Rentnern. Die Namen der verschiedenen Personen, die auf den 52 Karten jeweils einen Beruf darstellen, sind so karikaturenhaft wie die dazugehörigen Bilder. Je höher die Position, desto mehr ist die Karte wert.Und wer einen Behinderten oder eine schwangere Frau entlässt, erhält sogar einen Bonus. Gewonne
nnen hat der Spieler, der sich als Erster aller Karten, also seines Personal entledigt und somit seinen Sozialplan erfüllt hat. Er kann seine Firma nach China auslagern.Es scheint als hätten die Franzosen nur auf die Erfindung gewartet: Das Spiel der kleinen bretonischen Firma Arplay verkauft sich wie frisches Baguette: Nachdem die ersten 3.000 Exemplare (für je 12 Euro) innerhalb weniger Wochen weg waren, reagierte der bretonische Spieleverleger Stéphane Daniel mit einer zweiten Auflage von 10.000 Exemplaren. Sie kam in diesen Tagen in die Buch – und Spielzeugläden der Republik, man kann das Spiel auch im Netz bestellen.„Plan Social ist das "bevorzugte Kartenspiel der Bosse, es ist ein erbarmungslosen Kartenspiel, das Ihre Raubtier-Instinkte und Ihren inneren Sadismus weckt“, mit diesem Slogan wirbt Arplay Editions.Ist das komisch, ätzend oder zynisch?Der „Patron“ auf der Packung hält grinsend eine Zigarre in der Hand und trägt einen Schnurrbart, der eher an die Herren Fabrikbesitzer aus dem 19. Jahrhundert erinnert. Dass das Spiel bei den Franzosen aber so gut ankommt, kann daran liegen, dass sie flüchten können. Wer spielend andere entlässt, der wird draußen nicht selber gefeuert, dem kann nichts passieren. Der Boss ist man ja selber. Und wer das auch noch schnell und ohne moralische Skrupel tut, gewinnt. Ein „antikapitalistisches Spiel“ sei es, sagt Stéphane Daniel. „Wir wollten einfach provozieren“. Die realen Verhältnisse lieferten die Vorlage. Viele Franzosen hätten die Verlagerungen ihrer Unternehmen satt und die sinnlosen Sozialpläne.Ist das nun komisch, ätzend oder einfach nur zynisch? Mancher Citoyen gerät angesichts des Spiels mit dem Feuern in Rage.„Darf man über alles lachen?“, schreiben wütende Bürger in Briefen an die Firma. Sie können den schwarzen Humor darin nicht entdecken und empfinden das Spiel eher als bösen Scherz. Meist sind es Betroffene, die dieses „Dallas auf französisch“, wie es genannt wird, nicht ironisch finden, sondern geschmacklos. Es verletzt ein moralisches Tabu.Schon einmal fegte ein Diskurs über ein fragwürdiges Spiel durch die Republik: Als das "Clodogame", die französische Version des deutschen Online-Spiels "Pennergame" auf den Markt kam, kritisierten Obdachlosenverbände, Journalisten und Soziologen. Einige wollten es verbieten. Die Realität war zu rau als dass sie als Inspiration für ein kommerzielles Spiel herhalten sollte. Man darf eben nicht über alles lachen und vor allem nicht über das Elend der Welt, das der Soziologe Pierre Bourdieu in einem Buch beschrieben hat.In Clodogame fängt der Aufstieg ganz unten an. In der Rolle des Clochard muss man Flaschen sammeln und kriminell werden. Dann kann man es bis ins Schloss Versaille schaffen. Wirklichkeit und das Bild von ihr vermischten sich. Die realen Verhältnisse würden verharmlost und Obdachlose herabgewürdigt, hieß es 2009. Im Plan social klaffen Wirklichkeit und Spiel jedoch nicht so weit auseinander wie im Clodogame, die Parodie ist weniger gelungen, weil sie in eine Zeit schwappt, in der sich die Misere der Ausgeschlossenen nicht mehr als romantischer Mythos à la Clochard zeigt, sondern sie ist (nicht nur) französischer Alltag.Aus den Fugen geratener Kapitalismus Arbeitgeberverbände wie Croissance Plus empören sich nun auch über das im Sozialplan-Spiel transportierte Image und die Verhöhnung der Arbeiter sowie der Wirtschaft. Spiele-Verleger Daniel wundert sich über solchen Unmut und wünscht sich von seinen Landsleuten einen „offeneren Esprit“. Das klingt bizarr. Gerade entsteht in Frankreich ein aufrührerisches Manifest nach dem nächsten, es sind die Franzosen, die millionenfach gegen die Rentenreform auf die Straße gehen und Aufrufe zur Radikalisierung zu Bestsellern machen. Gleichzeitig wollen sie im Spiel effizient kündigen?In der Grande Nation scheint sich beides zu vereinen: die innere Revolte und der Wunsch, die eigenen Ängste, die Nachrichten von steigenden Suiziden im Betrieb und der unsicheren sozialen Lage zu verdrängen, zumindest am Samstag beim Spieleabend mit Freunden. Wer nicht gegen die Verhältnisse protestiert, der verharmlost sie, indem er sie spielt? Man kann sich darüber empören.Arplay, die Firma, die anfangs alternative Öko-Spiele hergestellt hat, bekam aber auch unerwartet Zuspruch: ausgerechnet von einem Gewerkschafter. Der findet, man könne mit dem Spiel den "aus den Fugen geratenen Kapitalismus anprangern". Man kann das Spiel wohl nicht spielen, ohne darüber zu reflektieren, was es eigentlich vermitteln soll. So geht die Debatte weiter, in welchen Zeiten wir leben.Der mediale Aufachrei hat den Machern jedenfalls genützt: Sie expandieren. Das Spiel soll bald auch in Belgien, der Schweiz, in Kanada und Spanien auf den Markt kommen. Der (Business)-Plan hätte nicht besser aufgehen können. Aber hergestellt werden die Karten, natürlich, chez nous.