Der Garderobier redet Englisch, er stammt aus L.A., erzählt er, wohnt seit ein paar Jahren in Berlin. Bald will er nach Amsterdam umziehen. Dann schickt er einen in den first floor. An der Decke hängen Neonleuchten, an die Wände werfen Beamer die Silhouette von Bryan Ferry, seine Posen, und Videos. In einem spielt Kate Moss mit. Das ist Pop. Seine Inszenierung. Aus einer Bar strömen Beats. Am Tresen lehnen Männer um die 30, die wohl den gleichen Stilberater hatten: Jungs, lasst den Bart stehen, eher fünf als drei Tage. Becks? We haven't, sagt der Barkeeper. Eine verwunderte Japanerin bestellt Kusmi Tee. Die 250-Gramm-Dose kostet 23 Euro. Als sie ihn ans Kassieren erinnert, lächelt der Barmann: „Kriegst einen Treuepunkt.“ Einen Drink? „Nee, eher so eine ideelle Treue.“ Willkommen im HBC.
Durch die Fenster der Location in der Karl -Liebknecht-Straße schaut man auf die Marienkirche. Das Gebäude beherbergte früher das Haus der Ungarischen Kultur. Heute mieten sich Stars der Berlinale für private Soirées ein, nur die holzgetäfelten Wände sind noch übrig, und der Kinosaal.
An diesem Montagabend ist er mit etwa 100 Leuten voll besetzt. Auf einem schmalen Tisch an der Seite sind Magazine ausgebreitet, mit Namen wie Oh comely, Found, Here and there, Room Service oder Manzine. Ein älterer (bereits graubärtiger) Mann blättert ein wenig, er sei ein „passiver Konsument“ und hätte gern eine Antwort auf die Frage, „wovon die eigentlich leben“: Zeitschriften wie das Leben selbst: Indie-Magazine, die dem Glamour entsagt haben heißt der Abend aus der Reihe „Tinta de la casa“. Warum wird der Alltag zum Thema für Zeitschriften? Was ist Alltag?
Auf dem Podium sitzen Magazin-Macher: Fabian Dietrich (Dummy), Kevin Braddock (Manzine), Axel Völcker (Der Wedding) und Mark Kiessling (Do You Read Me?!). Der Saal ist voll besetzt, etwa hundert meist junge Leute sind gekommen, um das zu erfahren. Kati Krause, die Moderatorin, grüßt, man könne jederzeit intervenieren, sagt sie, die „Haussprache“ sei Deutsch. Sie stellt zehn unabhängige Magazine vor, die sie auch in einer Ausstellung präsentiert.
Eines wird von einer älteren Dame in Wilshire produziert, sie schreibt über die Gewohnheiten ihrer Nachbarn. Ein anderes gestaltet ein japanischer Künstler. Room Service dreht sich um Leute, die auf ebay ihren Körper als Werbefläche anbieten. Oder Manzine. Eine Zeitschrift für „echte Männer und echte Probleme“. Manche der Hefte muten an wie klassische Hochglanzmagazine, sie seien aber „sensibler“, so Krause. Sie ist von Barcelona nach Berlin gezogen und betrachtet sich als „Kuratorin“: Sie möchte Magazinmacher und solche, die es werden wollen, zusammenbringen.
Männer in Jogginghosen
Für ihn sei das Heft eine „Spielwiese“, sagt Fabian Dietrich, Chefredakteur von Dummy. Er halte sich außerdem für „zu soziopathisch, um in großen Läden zu arbeiten“. Klingt ein bisschen kokett. Neben ihm sitzt Axel Völcker von Der Wedding. Er ist Designer und habe sich in die Ästhetik des Wedding verliebt, ein Stadtteil in Berlin, der erst Arbeiter- und dann Arbeitslosenbezirk wurde. Er wird im Heft so ungeschönt abgebildet: Es gibt Hertha-Balkons oder eine Modestrecke mit Männern in Jogginghosen. Die sei von Thilo Sarrazin inspiriert, der mal sagte, in keiner Stadt schlurfen so viele Menschen in Jogginghosen wie in Berlin. Der Wedding erscheint einmal im Jahr und das Heft sei wie regionale Küche, glaubt Völcker, „wie Brandenburger Sattelschwein“. Es nehme sich Zeit für die Menschen.
Kevin Braddock ist internationaler. Der britische Journalist war lange beim Esquire, hat es irgendwann nicht mehr ausgehalten, dass es nur um Ferrari, Supermodels und teure Uhren ging. „Mann werden hieß: James Bond!“ Konstruierter Lifestyle. „Bullshit“, für Braddock. Wenn er abends mit seinen Kumpels in Pubs herumhing, da redeten sie über andere Themen als Fußball oder Autos. „Wir sind Männer, die sich über das was wir denken, fühlen und sagen definieren“, erklärt er. 2008 hat er Manzine gegründet, für Männer, die über ihre Gefühle reden. Im Magazin, das über spezielle Shops vertrieben wird, kommen alleinerziehende Väter, allerdings auch Wax-Anleitungen für Frauen vor. „Content first, design second“, sei sein Motto. Das bringt Braddock viel Applaus ein. Seit der Finanzkrise, seit viele ihre Kredite nicht mehr bezahlen können, sei das reale Leben in England „cool“. Man gebe an damit, „für einen Tag normal zu sein“, den Kaffee bei Starbucks zu kaufen. Es ist eine doppelte Konstruktion.
„Papiermäßig drauf“
Rentabel ist keines der Hefte, sie werden alle querfinanziert, privat oder öffentlich. Aber sie sind auch eine Visitenkarte für ihre Macher – und Heimat für ihre Leser: Im Weddinger Karstadt seien an einem Tag 300 Exemplare verkauft worden. ‚Mensch iss ja alle‘, habe sich der Verkäufer gewundert.
Antonia, 24, studiert Biotechnologie und ist gekommen, weil ihr Freund Art Director in Wien ist. Als Teenager habe sie häufig Frauenmagazine gelesen und gedacht: Wann werde ich mir diese Schuhe leisten können? Heute gehe es ihr mehr um eine Komposition von Inhalt und Text. Das alte und das neue Berlin, London, Barcelona, der Wedding. Global Village im HBC? Es ist ein Ort für die urbane Kreativszene. Und die inszeniert sich gern mal glamourös.
„Was ist mit Dummy wenn das digitale Zeugs kommt? Bleibt ihr Papier?“, ruft ein Zuhörer. Fabian Dietrich sagt, das iPad im Büro benutze keiner. Und Dummy sei „zu sexuell“ für Apple. Blogs und Kommentare zu Artikeln seien zurück gegangen und auch er sei „papiermäßig drauf“. Seine Kollegen nennen sich „Print-Fetischisten“. Es ist eine weitere Form, sich abzugrenzen. Man hält heute was drauf, nicht online zu sein. Auf dem Podium sitzen Journalisten, die das wahre Leben von außen betrachten, das vermeintlich Echte wandert durch ihren Filter. Sie inszenieren sich damit, aber sie können ehrlicher sein als Redakteure, die nicht ihre Leser bedienen, sondern Anzeigenkunden.
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