Geiz ist nicht nur geil

Alltagskommentar Praktiker ist pleite, Schlecker und der Nachfolger auch. Offenbar wollen wir nicht mehr nur Rabatte, sondern auch Stil beim Einkaufen. Ein Widerspruch in sich
Ausgabe 29/2013

Man kann bei Lidl einmal im Jahr Barilla kaufen, sehr gute italienische Pasta, für 69 Cent, die sonst zwei Euro kostet. Oder der Kaffee, den man gewöhnlich trinkt, kostet einen Euro weniger, eine Woche lang. Und solche Aktionen kündigt der Supermarkt-Discounter dann in den Prospekten an, die den Anzeigenblättern am Wochenende beiliegen.

Man kann auch den Boss-Anzug, der sonst 400 Euro kostet, einmal im Jahr für die Hälfte erstehen. Man muss nur wissen, wann Rabatt-Wochen sind. Zeit für Qualitätsschnäppchen. Aber wer geht noch in einen Baumarkt, der marktschreierisch mit dem Slogan „20 Prozent auf alles außer Tiernahrung“ wirbt? So ein Spruch passte in eine Ära, in der die heranrollende Wirtschaftskrise und die damit einhergehenden neuen Vermarktungsstrategen der späten Neunziger den Konsumenten mit Trash-Versprechen den Kopf verdrehten.

Optisches Wellness

Praktiker mit seinem Billig-Image nutzte die um sich greifende Geiz-ist-geil-Mentalität aggressiv aus. Diese Zeit ist vorbei. Auch Schlecker bekam die gehobenen Erwartungen des Kunden zu spüren. Der Drogeriemarkt ging 2012 pleite, und vor Kurzem musste auch der Nachfolger Dayli hunderte Filialen in Österreich schließen, noch bevor die deutschen überhaupt geöffnet haben. Auch wenn Schlecker nicht mit Rabatten Gewinn machen wollte – wer in so ein Geschäft kam, wollte am liebsten gleich wieder raus, die Kassiererinnen wirkten mal gelangweilt, mal müde, selbst wenn gar nichts los war. Kein Ort für Herumstreifer. Das aber möchte der Kunde 2013 – Erlebnisshopping.

Optisches Wellness. Und ein Lächeln.

Das trashige Schnäppchenjagen ist vorbei: Nach Einschätzung von Konsumexperten achten Deutschlands Verbraucher beim Einkaufen wieder mehr auf die Qualität statt auf den Preis. „Die Geiz-ist-geil-Mentalität ist überwunden“, stellt Wolfgang Warth von der Gesellschaft für Konsumforschung fest. Auf dem Sektor der Lebensmittel und Drogerieartikel stagniert der Marktanteil der Discounter.

Natürlich wollen wir immer noch Geld sparen – aber nicht um jeden Preis. Es soll ästhetisch zugehen beim Einkauf, in hellen Räumen, breiten Gängen, mit freundlichen Gesichtern. Klar, gerne auch Sonderangebote, aber bitte mit Stil – dieser offensichtliche Mentalitätswandel ist einerseits eine gute Nachricht, andererseits ist es natürlich verlogen, denn was hinter der ansprechenden Fassade der Trash-Alternativen, beispielsweise der Drogeriekette „DM“, vor sich geht, wissen wir genauso wenig wie vorher. Es fühlt sich nur besser an.

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