Erschütterung Valérie Donzelli und Jérémie Elkaim sind glücklich. Bis bei dem Sohn des Schauspielerpaars ein Gehirntumor diagnostiziert wird. Wie hat die Krankheit ihr Leben verändert?
Als wir damals von der Krankheit unserer Sohnes überrannt wurden, haben Jérémie und ich uns eigentlich nie die Frage gestellt, ob wir das verschieden erleben oder nicht. Mir fiel allerdings auf, dass es im Krankenhaus nur Räume für Mutter und Kind gab. Da stand nicht: Eltern und Kind. Die Ärzte haben sich so gut wie immer an mich gewendet. Sie gehen offenbar nach wie vor davon aus, dass die Mutter eine privilegierte Beziehung zu dem Kind hat – eine, die der Vater so nicht haben kann. Nur weil die Mutter das Kind zur Welt bringt? Mir erscheint das anachronistisch. Die Frau ist nach wie vor auch meist diejenige, die mit dem Arbeiten aufhört, wenn ein Kind schwer krank wird. Vom Mann erwartet das keiner.
Ich bin durch d
das keiner.Ich bin durch die Erkrankung unseres Sohnes, die so unvermittelt in unser Leben trat, erwachsen geworden. Sorglos leben kann man nur, solange man der Gefahr nicht begegnet und nicht mit Fragen von Leben und Tod konfrontiert ist. Wenn so etwas geschieht, verliert man seine Leichtigkeit. Aber dies muss keine Situation sein, die ein Paar zwangsläufig entzweit. Man kann dadurch auch gemeinsam stärker werden.Etwas Neues erfindenIm Film sagt er zur ihr: „Du tust mir gut. Ohne dich hätte ich das nie durchgestanden.“ Am Ende findet sich das Paar durch die Krankheit isoliert von den Freunden, von der Umwelt wieder – und sie driften auseinander. Es ist nicht so, dass sie sich nicht mehr verstehen, aber sie sind beide an einem anderen Punkt in ihrem Leben gelandet. Die Krankheit ihres Kindes hat sie von ihrem bisherigen Weg abgebracht. Deshalb müssen sie etwas Neues erfinden, eine neue Form des Zusammenseins – eine neue Form der Liebe?Durch unsere Krise wurde unser persönliches Umfeld toleranter. Menschen aus verschiedenen Milieus haben ihre Vorurteile über Bord geworfen. Familien kamen sich näher, ein Elternpaar akzeptierte die lesbische Beziehung eines anderen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich eher verzeiht, wenn es um einen herum ein großes Drama gibt.Seit der Auseinandersetzung mit der Krankheit meines Sohns habe ich auch einen anderen Blick auf Glück. Man muss sich das so vorstellen: Erst kämpft man gegen die Krankheit, dann ist sie scheinbar besiegt, und man wartet, ob sie wiederkommt oder nicht. Das habe ich drei Jahre lang gemacht, da merkt man, dass diese Ungewissheit ein sehr zerbrechliches Glück ist. Hinzu kommt: Glück existiert nicht im luftleeren Raum, es ist eine Verbindung von mehreren Dingen. Wenn es eine Balance zwischen der Beziehung zu meinen Kindern, meiner Arbeit und meinem Liebesleben gibt, geben könnte – das käme meiner Idee vom Glück sehr nahe.Ingmar Bergman hat einmal gesagt, es gebe Filme, die nur eine Frage beantworten: „Existiert die Liebe oder nicht?“ Die, auf die wir Lust haben, drehen sich meist darum. Es gibt ein Ideal menschlicher Beziehungen: Um dieses zu zeigen, drehe ich Filme.Jérémie Elkaim:Wir haben uns im Film von unserer eigenen Geschichte inspirieren lassen. Aber wir wollten den Zuschauer nicht in Geiselhaft nehmen, weil diese Geschichte schwer und pathetisch ist. Man kann durch solche Ereignisse sein Leben auch neu erfinden. Durch die Tragik kann auf bizarre Weise Energie freigesetzt werden. Der Film erzählt von einem Paar, das nicht mehr lieben kann wie die anderen, weil die Krankheit des Kindes sie so verändert hat. Aber beide entscheiden sich dafür, sich ihre Identität nicht nehmen zu lassen. Sie wollen nicht nur „die Eltern des kranken Kindes“ sein, sondern auch Liebende, die so normal wie möglich weiterzuleben versuchen.Wir hatten es irgendwann satt, dass man im Krankenhaus davon ausging, dass nur die Mutter leidet, wenn ein Kind krank ist. Mir als Vater zeigte allerdings erst die Behandlung, die Chemotherapie, was die Krankheit wirklich bedeutete. Man sieht es ja vorher nicht so deutlich, es beginnt erst mit dem Haarausfall. Zu wissen, wogegen man kämpft, gibt einem dabei auch eine Aufgabe, einen Grund zu leben. Das Ziel ist klar: Wir wollen unser Kind retten. Menschlich erhöht das einen, man wird besser, wächst über sich hinaus. In Krisenzeiten entdecken wir neue Seiten an uns. Diese schützen uns davor, oberflächlich und arrogant zu sein, verwöhnt oder gelangweilt.Wir wollten unser Kind rettenSo absurd es klingt: Für uns war diese Krise das Beste, das wir zusammen erlebt haben. Ich habe dabei gelernt: Wenn man die Dinge so nimmt, wie sie sind, macht das einem weniger Angst. Dann wird das Schlimme handhabbarer. Aber es gab Kollateralschäden, vor allem unsere Trennung. Man kann eine gemeinsame Entwicklung durchmachen, gewinnt, aber verliert auch etwas. Wir fragten uns ja ständig: Wie finden wir die Balance, damit wir zwischen den Extremen emotional weiter funktionieren? Diese Situation zerstört das traditionelle Paarsein.Wir sehen uns heute weiter regelmäßig, unternehmen oft Sachen zusammen mit unserem Sohn. Auch wenn wir kein traditionelles Paar mehr sind, lebt das Zusammengehörigkeitsgefühl in einer anderen Form weiter, nur nicht in der, die die Gesellschaft erwartet: Kind mit Mama und Papa, die verheiratet sind.Valérie und ich reden sehr viel miteinander, wir sind seit langer Zeit in einem permanenten Dialog. Und wir haben beide gefühlt, dass es etwas sehr Intensives ist, diesen Film zu machen. Mit unseren Erfahrungen als Hintergrund, die wir verwenden konnten, ohne damit nur unser Ego zu streicheln. Es war der Versuch, eine intime, aber auch universelle Geschichte zu erzählen, in der sich Menschen wiedererkennen können.In der letzten Szene des Films gibt es einen poetischen Moment am Strand – alle drei sind dort, nachdem sich die Eltern getrennt haben. Und sie sind glücklich. Es ist kein Happy End im klassischen Sinn eines Hollywood-Films, aber es ist ein Happy End.
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