Frankreich Die Schriftstellerin Saphia Azzeddine weiß, dass sie es leichter hatte als andere Migranten. Trotzdem wird auch sie mit Vorurteilen konfrontiert
Im leeren Speisesaal eines Hotels in der Nähe des Ku‘damms. Saphia Azzeddine trägt zum Interview Wollpullover und Schal. Es ist kalt an diesem Märztag in Berlin, und die 33-Jährige kommt gerade aus Katar. Sie sagt, sie habe ein bisschen Hunger. Pfirsichkuchen? Davon hat sie noch nie gehört. Und Tea please, Darjeeling. Während des Gesprächs rührt sie den Kuchen dann kaum an.
Der Freitag: Frau Azzeddine, hat man es als schöne Frau leichter?
Saphia Azzeddine: In der westlichen Welt öffnen sich einer schönen Frau sicher alle Türen. Hier bringt man schon Kindern bei, sich zu schminken, wie Mama auszusehen, sich verführerisch zu verhalten. Ich finde das gefährlich. Man nimmt ihnen die Unschuld.
Jbara, die Heldin Ihres Roman
lten. Ich finde das gefährlich. Man nimmt ihnen die Unschuld.Jbara, die Heldin Ihres Romans, stammt aus einem ärmlichen Dorf in der Wüste Marokkos. Man sagt dort nicht: Ein Mädchen ist schön. Man sagt: Es ist fleißig.Ja, Schönheit ist dort nutzlos. Sie schafft ja kein Essen heran. Jbara sagt jedenfalls niemand, dass sie schön ist.Als 16-Jährige prostituiert sie sich für ein paar Münzen – um sich ein Granatapfeljoghurt zu kaufen.Der Geschmack dieses Joghurts steht für den Traum von einem anderen Leben. Sie bricht dann aus, in eine größere Stadt, verdingt sich als Dienstmädchen und als Prostituierte. Sie erkennt schnell: In dieser Welt hat Schönheit einen Marktwert. Sie wird eine Edelnutte, die Favoritin eines Scheichs. Er entwürdigt sie extrem, aber trotzdem sieht sie sich nicht als Opfer.In einem Monolog schildert sie ihre ziemlich brutalen Erlebnisse mit Männern.Sie hat keine Zeit für Nuancen. Ihr Leben ist hart. Aber sie hat sich in gewisser Weise dafür entschieden.Wie war das in Ihrer Kindheit? Sie stammen auch aus einem Dorf in Marokko.Meine Mutter ist Modeschöpferin, sie fertigt Kleider nach Maß. Ich bin in einem Milieu aufgewachsen, in dem das Ästhetische sehr wichtig ist. Meine Mutter würde nie ungeschminkt auf den Hof gehen. Ich habe sie beobachtet, wie sie sich zurechtgemacht hat. Sie war nicht reich, hatte aber die Allüren einer großen Frau. Das steckt in mir.Als Autorin, die Bücher verkaufen möchte, benutzen Sie dafür auch Ihr Äußeres – lassen sich etwa groß von der Elleporträtieren.Ich bin nicht sehr strategisch. Nur wenn ein neues Buch erscheint, dann mache ich die Show mit – ganz amerikanisch! Ich schminke mich, ziehe mich raffiniert an. Das hat mit Respekt zu tun: Man macht sich ja auch schön, wenn man in ein Restaurant geht. Ich spiele das Spiel, gebe viele Interviews, gehe ins Fernsehen.Kann Schönheit manchmal auch Nachteile haben?Als Zorngebete erschienen ist, hat man mir in Frankreich angeboten, Literatursendungen im Fernsehen zu moderieren. Die Leute haben nicht verstanden, warum ich Nein gesagt habe. Ich konnte das Geld gut gebrauchen. Ich fühlte mich jedoch nicht literarisch bewandert genug, um anderen Bücher zu empfehlen. Es war nie mein Traum, ins Fernsehen zu gehen und dort ein tiefes Dekolleté zu tragen. Die Fernsehmacher dachten aber so simpel: jung und hübsch – sie wollten mit mir den medialen Raum füllen. Aber das interessiert mich nicht. Ich muss nicht von allen geliebt werden.Weil sie vom Dekolleté reden: In Deutschland gab es gerade eine heftige Sexismus-Debatte. Ein Politiker bemerkte abends an der Bar zu einer Journalistin: Sie könnten gut ein Dirndl ausfüllen.Dirndl?Ein Trachtenkleid, das man in Bayern trägt. Die Journalistin machte es öffentlich, und es gab einen Aufschrei gegen Sexismus.Mehr hat er nicht gesagt? Außer dass sie einen schönen Busen hat? Das schockt mich überhaupt nicht.Sind Sie Feministin?Mein Vater ist Feminist. Das Erste, das er zu mir und meiner Schwester gesagt hat: Seid unabhängig. Mein Feminismus – sollte ich überhaupt einen haben – ist aber rein ökonomisch. Ob es Autor oder Autorin heißt? Das ist mir egal. Mit nackten Brüsten schockieren wie die Protestgruppe Femen? Da bin ich eher fürs Überzeugen. Aber ich würde für die Gleichheit der Löhne kämpfen. Wenn eine Managerin so bezahlt wird wie ein Manager, wird das den Blick des Mannes auf die Frau verändern. Dann begegnen sie sich auf Augenhöhe. Feminismus muss daher gewaltsam sein.Was meinen Sie damit?Man muss die materiellen Strukturen ändern. Alltägliche Dinge – wer hält wem die Tür auf –, so etwas interessiert mich nicht. Wenn ein Mann mit mir flirtet und ich mit ihm und er mir sagt, ich hätte einen schönen Busen? Merci!Kann man das nach der Strauss-Kahn-Affäre noch so naiv sagen?Mich haben einige Frauenmagazine gefragt: „Was denken Sie über das Verhalten von Anne Sinclair, Strauss-Kahns Frau?“ Ich dachte: Diese Frau ist frei! Sie ist kein Opfer. Sie kann tun und lassen, was sie will. Soll er doch die ganze Welt vögeln, wenn es der Code ihrer Liaison ist. Es existieren tausende Modelle einer Gemeinschaft. Es gibt ein muslimisches Sprichwort: Wenn ein Mann und eine Frau einverstanden sind mit dem, was sie tun, kann nur der Teufel stören.Wie kann ein Mann Ihnen ein Kompliment machen?Er kann mir sagen, dass ich schön bin, intelligent – oder auch unmöglich. Er kann mir die Tür aufhalten oder ich ihm. Mein jetziger Freund war aber der Erste, der wirklich wollte, dass ich schreibe. Die Jungs davor wollten mich in einen goldenen Käfig stecken. Er hat gesagt: „Werde immer besser – gib dich nicht zu schnell zufrieden.“ Er hat keine Angst davor, dass ich schreibe. Und manchmal schmeichelt er mir auch.In der marokkanischen Gesellschaft gibt es oft keine Gleichberechtigung in Beziehungen.Ich werde wütend, wenn ich höre, dass man eine vergewaltigte Frau in Marokko fragt: „Warum waren sie allein mit einem Mann auf der Straße?“ Ein Minister sagte auch: „Einem seriösen Mädchen wäre das nicht passiert.“ Vor einem Jahr hat sich eine 16-Jährige sogar umgebracht. Sie hatte Rattengift geschluckt, weil sie ihren Vergewaltiger heiraten musste. Der entging durch diese Heirat dem Gefängnis. Ich kann es verstehen, wenn man solche Männer töten will.Ein patriarchalisches System ...Die Männer wollen vor allem eine Frau, die aus einer „guten“ Familie stammt, die Jungfrau ist. Das ist auch hier im Westen in manchen Milieus so. Man amüsiert sich mit „leichten“ Mädchen – und heiratet dann eine seriöse Frau.König Mohammed VI. setzt sich sehr für Frauenrechte ein. Er hat das Familiengesetz reformiert. Seine Frau trägt kein Kopftuch und ist Informatikerin. Ist sie ein Vorbild?In Marokko gehen die Dinge symbolisch in eine bessere Richtung. Das ist gut. Aber im Alltag hat sich wenig verändert. Die Mentalität bleibt dieselbe. Wenn eine Frau aus einem Dorf sich scheiden lassen will, wie soll sie mit einem Bus in die nächste Stadt fahren? Das ist vor allem eine finanzielle Frage. Außerdem wird auf Geschiedene herabgeschaut. Eine geschiedene Frau ist verloren.Wie entwickelt man in einem solchen Umfeld als junge Frau ein Gefühl für die eigene Sexualität?Die Eltern müssen das einem nahebringen. Meine Eltern waren strikt, es gab keine Blumen oder viel Romantik. Aber mein Vater hat nicht umgeschaltet, wenn sich im Fernsehen jemand geküsst hat oder eine Liebesszene kam. Er hat Je t’aime zu meiner Mutter gesagt oder sie in der Küche geküsst. Abends am Tisch machte er mitunter anzügliche Witze. Ich habe mit meinen Brüdern auch gebadet. Das war ganz natürlich. Der männliche Körper war für mich kein Tabu. Ich hatte nie Angst vor einem Mann. Und ich bin nackt durch die Wohnung gelaufen.So etwas ist eher selten in einer muslimischen Familie ...Ja, bei meinen Freundinnen war das anders. Ich kenne noch heute viele Frauen, die in arrangierten Ehen leben.Sie waren neun, als ihre Familie nach Frankreich ausgewandert ist. Wovon träumten ihre Eltern?Meine Mutter hatte bereits den französischen Pass – meine Eltern wollten, dass meine Geschwister und ich in Frankreich studieren. Sie selber konnten das nicht. Meine Mutter macht Mode, seit sie 14 ist. Mein Vater war Krankenpfleger. Für sie war das magisch: die Bücher, das Studium, Bildung. Und so sind wir in die Nähe von Genf gezogen. Es gab dort viele Reiche. Meine Mutter entwarf Kleider für saudische Prinzessinnen. Wir gehörten zur Mittelklasse, konnten aber manchmal unsere Rechnungen nicht zahlen. Meine Mutter hat meinem Vater ihren Beruf später auch beigebracht. Sie hatten ihr kleines Atelier zu Hause, es war schön, die Berge, der Genfer See, der Mont Blanc. Wir wären auch nie in eine Banlieue ausgewandert. Wir hätten Marokko nicht für schlechtere Umstände verlassen.Warum wollen Sie heute nicht Marokkanerin genannt werden?Wie kommen Sie darauf?Das stand in einem Text über Sie.Ach, diese Journalisten. Anfangs nannten sie mich „die schöne Scheherazade“. Ich fragte: Mehr kennt ihr also nicht von der marokkanischen Kultur? Ich habe einen Vornamen! Ich heiße Saphia. Ich möchte keine Fahnenträgerin für irgendetwas sein. Man muss mich nicht „die marokkanische Schriftstellerin“ nennen. Ich habe den französischen Pass – und nicht den marokkanischen.Sie sind aber doch beides.Ich bin zufrieden. Warum immer diese orientalistischen Vorurteile? Bei einer Spanierin oder Amerikanerin fragt man ja auch nicht ständig nach den Wurzeln. Nur bei uns Arabern.Franzosen und Maghrebiner sind gleich, sagte Albert Camus einmal. Ist das nicht immer noch eine Utopie?Der Umgang miteinander wird rauer. Aber ich glaube nicht, dass mein Land, also Frankreich, rassistisch ist.Marine le Pen hat großen Zulauf.Sie weiß, wie man Menschen um sich scharen kann. Sie hält perfekte Reden. Es gibt viele Menschen, die aus ökonomischen Gründen immer intoleranter und ängstlicher werden. Wir wissen ja, wie Hitler die Leute einst überzeugte. Le Pen erreicht heute die Leute. Aber das sind nicht alles Rassisten, die ihre Tasche verstecken, sobald sie einen Schwarzen sehen.Wurden Sie jemals angefeindet?Ich habe den „Bon Look“: Man hat mir niemals den Eintritt in ein Restaurant oder eine Disco verweigert. Wer mich sieht, denkt meist: Die ist keine Araberin wie die anderen. Meine Mutter hat Wert auf unsere Kleidung gelegt. Als wir in Frankreich ankamen, ging ich auf eine normale Schule. In meiner Klasse waren auch Kinder, die wie ich in Marokko aufgewachsen sind. Aber meine französischen Klassenkameraden sagten: „Du bist nicht so wie die.“ Meine Eltern sprachen Französisch, und wir waren freiwillig ausgewandert.Sarkozy und jetzt auch Hollande holen gern eine maghrebinische Frau ins Kabinett: als Zeichen für gelungene Integration.Ich bin gegen diese positive Diskriminierung. Ich bin für Kompetenz. Man muss kämpfen. Natürlich ist das für jemanden aus der Banlieue hundertmal härter. Aber so bin ich erzogen worden: alles zu tun, um eines Tages einen Posten zu erreichen, in dem ich wirklich kompetent bin und nicht nur für die schöne Scheherazade stehe. Kompetenzen bedeuten Würde.Wie würden Sie Ihr Marokko heute beschreiben?Es ist das Land meiner Kindheit, und die war wunderbar. Ich mag es, wie man sich dort um unsere Alten kümmert, ganz ohne Altersheime. Es gehört zum Leben, für die Alten da zu sein, auch wenn sie schrecklich sind oder sehr krank. Und ich mag es, wenn beim Tee alle zusammensitzen, die Wärme der Menschen. Aber ich bin ein bisschen enttäuscht von den großen Städten. Man kann als Frau dort nicht ruhig die Straße entlanglaufen. Ich war vor drei Jahren in Casablanca, und ich war verschleiert. Aber es gab eine Gruppe Männer, die hinter mir herkamen. In Marrakesch ist es etwas besser, weil es eine touristische Stadt ist. Da passt die Polizei mehr auf.Können die Menschen in Ihrem Dorf Ihre Bücher lesen?Nur wenige. Manche haben sich daran gestört, dass ich in dem Roman an der Figur des Vaters kratze. Das tut man nicht. Der Vater ist heilig. Meine Heldin hasst ihren Vater, sie durchschaut seine Bigotterie. Allerdings können sich die meisten ein Buch für 15 Euro gar nicht leisten. Und es ist ja auf Französisch, daher ist es überhaupt nur einer gewissen Elite zugänglich.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.