Wenn Magdalena Breszka gerade nicht ihr Gesicht pudert, tippt sie auf dem iPhone herum. Brzeska war mal erfolgreiche Turnerin. Nun ist sie nur noch VIP. Sie sitzt an diesem Sonntagnachmittag in der L’Oréal-Akademie in der Berliner Friedrichstraße und lässt sich frisieren, vom Münchner Coiffeur Santino Primavera. Einem Freund. Neben Brzeska betrachtet sich die Privat-Radio-Moderatorin Gerlinde Jänicke im Spiegel. „Wir machen’s ein bisschen wellig, ist ’ne Abwechslung“, schlägt der Friseur vor. Ein graubärtiger älterer Mann mit Wollmütze und Cordhose filmt für Europa Fashion TV. Es soll immerhin um globale Haar-Trends 2012 gehen.
Das „Schaufrisieren“ wurde im Rahmen des „ersten europäischen Redken Symposiums“ organisiert, einer Fachmesse für weltweite Friseure. Die Frisur 2012? Er habe sich von Marie Antoinette inspirieren lassen, erzählt Santini. Designer Julian Stoeckel schwirrt herein, seine Fingernägel sind schwarz lackiert, sein dünnes, glattes Haar gefönt, „eher zeitlos, so 60er Jahre: Alain Delon, James Dean, Marlon Brando“, es sei wie beim Design, „es kommt alles wieder“, erklärt er und klagt über seine letzte Berlinale-Party.
Erst Luftbrücke, jetzt Fashion
Es gebe keine Ikonen mehr, Leute, die das gewisse Etwas hätten, nur noch Eintags-Celebrities. „Prominent ist heute, wer gestern im Gespräch war, nicht wer etwas geleistet hat.“ Oder der für Stil steht. Er wolle lieber ein klassischer Star sein. Stoeckel posiert erstmal mit DSDS-Sternchen Annemarie Eilfried für ein Foto, stellt sein Lächeln und seine gebleachten Zähne aus. Weiter mit dem Sammeltaxi zur großen Redken-Show. Sängerin Eilfried ärgert sich über die kurze Haltbarkeit ihres iPhones und plaudert vom letzten Trip nach Abu-Dhabi, sie trat dort vor Scheichs auf.
Ankunft Flughafen Tempelhof. Der Flughafen wurde 1923 in Betrieb genommen, 2008 geschlossen. Es ist das drittgrößte Gebäude der Welt, hier wurde 1948 die Luftbrücke zwischen den USA und Berlin gebildet. Jetzt ist es ein Ort für Fashion-Shows.
Betritt man die Eingangshalle, fühlt man sich klein. An den Check-in-Schaltern leuchtet die Marke „Redken“. Das Gepäckband läuft, und in den geöffneten Koffern liegen Buttons mit Slogans wie: „Be my real control“, oder „I am pure force“. Der originale Schriftzug Restaurant wirkt da nostalgisch. Hunderte Menschen eilen durch die Halle, mit schwarzweißen Stoffbeuteln der amerikanischen Friseur- und Haarpflegemarke behangen. Drei Flugzeug-Hangars wurden für die Messe gemietet, die für Fachbesucher 800 Euro kostet, Übernachtung inklusive. Auch eine kleine Abordnung von L’Oréal aus Paris ist gekommen, dem Unternehmen gehört Redken. Seit der Einführung vor über 35 Jahren in den USA gehört das Symposium zu den begehrtesten Events der Friseurbranche. Die Show fand bisher in Las Vegas statt. Nun soll auch Europa erobert werden.
In einer zweiten Halle sind mehrere Fifth-Avenue-Plakate aufgehängt und Mini-Salons nachgebaut. Ein loftartiger Raum, der für das urban feeling stehen soll. Auch im Food-Court soll man denken, man sei in New York. Es gibt Chinatown, Little Italy, Burger und Donuts, bezahlt wird mit Coins, eine Freiheitsstatue aus Plastik steht herum. Auf den WCs liegen Peppermint-Rollen und Haarlack, an den Ständen Accessoires: Eine Haarschere kostet zwischen 815 und 900 Euro. Für eine junge selbstständige Friseurin, die aus Hamburg angereist ist, ist das eine Nummer zu groß. Aber sie freut sich auf die Show. Der Saal ist lichtdurchflutet, über der Bühne hängen fünf Flachbildschirme, drei DJs legen Techno auf. Who’s in the house?, ruft ein Warm-up-Moderator. „Redken’s in the house“ rufen die Friseure aus Russland, Griechenland, England, Italien, Spanien, Norwegen, Mexiko. Die Messe werde sie inspirieren „to learn, earn, live better“, prophezeit der Moderator. Es ist Showtime.
Vier Artisten mit Trommeln um den Bauch hängen an Seilen und trommeln. Sechs Star-Coiffeure treten an zum Schaufrisieren. Die Models tragen allesamt kleine Schwarze, Frisur und Fashion sind nicht zu trennen, die Haarmacher orientieren sich an der Haute Couture. Durch Beats und Lichtspiele wird das Schaufrisieren zu einer Performance. Heraus kommen Bubikopf, Löwenmähne, geglätteter Afro á la Whitney Houston, rot-blau-Punk und Lolita-Wellen. Join the Color Generation ist das Motto – Redken wurde von einer Schauspielerin gegründet, die sich oft die Haare färben musste und mit einem Chemiker liiert war. Spots werben für eine neue Haarfarbe ohne Ammoniak, eine „revolutionäre Formulierung“, die auf der Messe vorgestellt wurde. Nachhaltigkeit ist ein Trend, dem auch solche Friseure folgen.
Der Steve Jobs der Friseure
Tänzer in hautengen silbernen Overalls machen Breakdance, sie sehen aus wie Klone. Danach wieder Haarschau. Artisten kreieren lauter Vogelnester auf einem Kopf, wie Wollknäuel. Plötzlich erklingt Carmina Burana. Das Licht wird gedimmt. Uniformierte Jungs mit schwarzweißen Redken-Flaggen in der Hand marschieren auf die Bühne, umschwärmt von blonden Frauen in langen roten Kleidern. Es wirkt befremdlich, man fühlt sich sofort an NS-Ästhetik erinnert. Weil man Deutsche ist. Die Shows wurde in den USA konzipiert, bevor der Ort feststand.
Das Phantom der Oper ist auch da, es schnipselt rasant an einem Bop herum, bis es sich die Maske vom Gesicht reißt. Es folgt tosender Beifall. Es ist Sam Villa. Der Guru. Der Steve Jobs der Friseure. Eine Ikone. Er ist globaler künstlerischer Direktor bei Redken und frisiert an diesem Abend eine Rotblonde, wickelt und wickelt, sprüht, knotet. Am Ende kniet er nieder vor dem Modell.
Geht es hier um die Frisur? Mit der Performance soll sie mit Bedeutung aufgeladen werden. „Zuviel Firlefanz, die Haare sind zu verkraust“, sagt ein Friseur aus Berlin enttäuscht. In seinem Salon könnte er diesen Style nie verkaufen. Nicht mal als Avantgarde.
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