Bretterverschläge und Planen überall, noch ist die neue Brauerei auf dem Berliner Pfefferberg eine Baustelle. Die Kupfertanks stehen jedoch schon im Keller, das Eichamt ist an diesem Vormittag zum Vermessen da. So kann das Bier genau besteuert werden. Thorsten Schoppe trägt Zopf, bestellt eine Cola und hat nicht mal den Ansatz eines Bierbauchs.
Der Freitag: Herr Schoppe, Sie sind Kleinbrauer und sagen dem Industriebier den Kampf an?
Thorsten Schoppe: Ich will und kann die Großen ja nicht kaputt machen, aber mein Ansatz ist ein anderer. Ich treffe häufig Leute, die ein ordentliches Handwerk zu schätzen wissen. Ich produziere in einem Jahr so viel Bier wie die Großbrauerei in etwa zwölf Stunden. Es muss ja einen Grund geben, warum ich mir das antue. Dieses kleinteilige Brauen ist sehr urtümlich, man entwickelt andere Geschmackseindrücke, hat andere Verarbeitungsmethoden und lokale Strukturen.
Der Bierkonsum der Deutschen sinkt, derzeit sind es hundert Liter pro Kopf und Jahr. Bedroht das eigentlich die Brauereien?
Die Zahl der Brauereien bleibt mit etwa 1.300 konstant, es müssen jedoch viele mittelständische schließen, weil sie gegen die Konzerne nicht mehr ankommen. Dafür machen kleine Gasthausbrauereien mit geringerem Ausstoß auf, so wie meine in Berlin-Neukölln. Die Industriebrauereien wachsen und bestimmen den Preiskampf. Mein persönlicher Absatz steigt jedoch seit Jahren.
Bier war das Getränk der kleinen Leute, aber auch Thomas Mann bekannte: „Ich Geringer trinke täglich zum Abendbrot ein Glas helles Bier“. Heute ist es längst in der Mittelschicht angekommen.
Es gibt nicht das Bier als Gesamtheit. Natürlich existiert noch das Arbeiterbier, das die Firma Schultheiss für kleines Geld auf den Markt schmeißt. Kleinere Brauereien stellen komplexe, aufwendige Biere her, die nach und nach in den Kreis der Oberschicht gelangen. Man kann das am Preis festmachen: Manche Brauereien schämen sich nicht dafür, das Bier in eine Champagnerflasche zu füllen und für eine 0,7-Liter-Flasche 25 Euro zu nehmen. Andere sind weniger unverschämt, sagen aber: Ich kann dir mein Bier nicht für den Preis eines Radeberger verkaufen.
Männer in einkommensschwachen Milieus trinken mehr Bier als solche in gehobeneren: Es sind ungefähr 0,3 Liter pro Tag, im Vergleich zu 0,2 Litern – das besagt eine landesweite Studie des Max-Rubner-Instituts. Frauen konsumieren zwar weniger, aber auf alle Schichten gleichmäßig verteilt.
Das hat einen einfachen Grund: Normales Industriebier ist billig. Und wenn man sich nicht gerade mit einer Flasche Schnaps bedröhnen will, kriegt man das mit Bier sehr gut hin. Dafür trinken die Leute in der oberen Schicht dreimal mehr Wein und Sekt als Bier.
In einer Kampagne der Marke Sternburg wird mit dem Status, der sozialen Spaltung, die sich auch im Bier zeigt, kokettiert: Nur billiges Bier ist ehrlich?
Dagegen steht dieser Trend, den man unter dem Begriff „Craft-Beer“ zusammenfassen kann. Er stammt aus dem Angelsächsischen, aus den USA. Dort war die Industrialisierung noch massiver, eine Brauerei braute so viel Bier wie ganz Deutschland zusammen. Das Bier war immer gleich: hellgelb, und es schmeckte nach nichts. Nur ein bisschen Alkohol und Blubbern. Die Amerikaner nennen es: Yellow Fizzy Stuff.
In den USA ist daraus eine Gegenbewegung entstanden, und der Umsatz der Minibrauereien steigt kräftig.
Ja, man schmiss von allen Rohstoffen das Doppelte rein; besondere Hefen, mehr Malz und Hopfen. Das schwappt jetzt auch zu uns, Verbraucher nehmen das wahr.
Es bilden sich Communitys, Biertrinken wird zum Event. So ähnlich wie im Fußballstadion: Es geht ums Erlebnis?
Frauen sind eine spannende Klientel, die bei Bier noch unterrepräsentiert ist.
Krombacher hat im vergangenen Jahr mit Biermischungen, Alkoholfreiem und Limonaden erstmals mehr verkauft als mit Pils. Dank weiblicher Konsumenten?
Man hat mal wissenschaftlich festgestellt, dass Frauen dieses Bittere viel stärker wahrnehmen als Männer – also passt man sich ihnen an in der Vermarktung. Man hat vielleicht ein paar leere Tanks und stellt diese Biermischgetränke her, weil man Menschen erreichen und beliefern möchte, die eigentlich gar kein Bier mögen. Ich würde allerdings niemals freiwillig ein Biermischgetränk herstellen.
Oh. Mir schmeckt das.
Man nimmt etwas Bier, kippt Limo dazu und nennt es dann „Curuba“. Niemand weiß, was es sein soll, aber es hört sich abgefahren an. Wem Bier zu uncool oder zu bitter ist, dem verkauft man etwas Exotisches. Aber da verliert sich der Biergeschmack. Limonade besteht ja nur aus Wasser, Kohlensäure, Aromastoffen. Das finde ich nicht reizvoll. Ich finde auch nicht, dass Frauen Bier trinken müssen. Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn sie es tun.
Frauen finden das schick?
Frauen sind jetzt auch offen. Meine Freundin probiert gerne diese moderneren Biere, die ich auch herstelle.
Sie verweigern sich künstlichen Biermischungen, experimentieren jedoch selbst mit Chili, Kaffee, Zimt, Nelken oder Koriander.
Ich bin kein Reinheitsgebotsfanatiker, der behauptet, Bier müsse nur aus Hopfen, Malz, Wasser und Hefe bestehen. Nur, wenn ich ein Aroma in mein Bier bringen möchte, dann tue ich das nicht mit Aromastoffen, sondern ich braue erstmal ein anständiges Bier und werfe echte Kirschen hinein. Oder ich schabe Chilischoten aus. Solche Brautraditionen sind beispielsweise in Belgien beheimatet, dort stellt man Himbeerbier her oder schmeißt etwas Koriander in die Trapistenbiere. Die Stoffe werden dann im Brauprozess zugesetzt, vergoren, fermentiert – spannend.
Man bekommt bei Ihnen Biere, die Heller Stern oder Dunkler Stern heißen.
Altmodisch, oder? Ich beliefere mit den Sorten vor allem Gasthäuser und Kiez-Kneipen in Kreuzberg.
Jetzt gehen Sie in den gentrifizierten Stadtteil Prenzlauer Berg, um eine höchst individualistische Klientel zu erobern.
Meine Craft-Biere, mit denen ich experimentiere, könnten hier gut ankommen. Immer nur hell oder dunkel ist auf die Dauer ja langweilig. Aber werde ich mit den Leuten klarkommen? Ich spüre schon, dass sie hier reservierter sind als in Kreuzberg-Neukölln, nicht so offen wie meine Kunden dort, die mich alle kennen. Ein bisschen hat man hier das Gefühl, dass man bei jedem Schritt, den man macht, bei irgendjemandem auf dem Grundstück landet und ganz schnell einen Anwalt am Hals hat. Solche Geschichten höre ich jedenfalls von Bekannten. Aber meine Zeit fängt ja erst an.
Manche sehen im Bier den neuen Wein, es gibt Bierselektionen, und man kann es inzwischen überall verkosten, auch Sie bieten Tastings an. Aber will man das? Ist nicht das Biererlebnis ein alltägliches, beiläufiges?
Ja, und das wird es auch immer bleiben. Doch zusätzlich gibt es nun auch diese andere Tendenz. Ich spüre ja selber, wie ich mit der Zeit zu einem Biersnob werde.
Biersnob? Was heißt das?
Gestern Abend war ich mit meiner Freundin essen. Da habe ich mir ein stinknormales Franziskaner-Hefeweizen bestellt, ein Alltagsbier. Als wir zu Hause waren, habe ich mir dann aus meinem speziellen Bierkühlschrank eine kleine Flasche India Pale Ale genommen: viel Hopfen, viel Alkohol, eine Geschmacksexplosion. Ich habe es in ein Glas geschüttet, das einem Weinglas ähnelt, schön bauchig. Dann habe ich mich auf das Sofa gesetzt und das Glas in der Hand geschüttelt, damit mir die Aromen in die Nase fliegen.
Das eine war zum Durstlöschen, das andere wie ein guter Scotch? Nur ohne Zigarre.
Es gibt bestimmte Biere, da bietet sich auch eine Zigarre an: Biere mit Rauchmalz, dunkle Biere.
Die Tempelarbeiter in Babylon tranken aus Krügen, heute sollen es möglichst Designerflaschen sein. Kann die Ästhetik den Erfolg eines Bieres mitbestimmen?
Natürlich. Es gibt praktische Alltagsflaschen für acht Cent, die man an der nächsten Haltestelle stehen lässt, für Flaschensammler. Und dann gibt es die Schmuckflaschen. Sie sind speziell geformt, ähneln manchmal Sekt- und Weinflaschen. Sie können das gleiche Bier enthalten, aber es wirkt edler. Wir suchen immer nach Höhepunkten in unserem Leben, wollen uns etwas gönnen, sagen: Das habe ich mir jetzt verdient. Dazu gehört, dass es hübsch aussieht. Das ist nicht verwerflich. Natürlich steigert man mit der Flasche den Preis. Aber ein gutes Bier braucht einen schönen Rahmen – den man auch durch ein gelungenes Etikett mit passendem Kronkorken schaffen kann.
Alkoholfreies ist ebenfalls im Kommen. Rund 200 deutsche Brauereien stellen es her, der Anteil am gesamten Biermarkt beträgt 3,5 Prozent. Wie erklären Sie sich das?
Es ist der Gesundheitsgedanke, der uns dazu bringt, mal den Alkohol wegzulassen. Und auch der Leistungsdruck in der Gesellschaft hindert uns daran, der Gedanke: Ich muss ja morgen wieder früh raus. Ich würde dann allerdings lieber eine Apfelschorle trinken.
Wie kamen Sie zum Bierbrauen?
Mein erstes Bier war Weizenbier – ich habe es früher meiner Mutter weggetrunken, weil mir Pils zu bitter war. Ursprünglich wollte ich Lehrer werden. Ich hatte Abitur gemacht und war damals oft surfen. Die Lehrer hatten diese riesigen Camping-Mobile auf dem Parkplatz stehen. Oft Ferien haben, das wollte ich auch. Doch der Beruf war sehr überlaufen. Beim Arbeitsamt stieß ich später auf ein Diagramm, das anzeigte, was man in akademischen Berufen verdient. Ganz oben stand Diplombraumeister, mit 7.500 Mark. Ich war sowieso naturwissenschaftlich interessiert, und es klang reizvoll. Ich habe dann in Braunschweig bei Feldschlößchen in der Großbrauerei eine Lehre gemacht, kam zum Studium nach Berlin und habe in einer Kleinbrauerei gearbeitet.
Was halten Sie von Dosenbier?
Die Amerikaner entdecken das ja gerade wieder.
Ja, wie die Firma Six Point in Brooklyn, eine gute Brauerei.
In Deutschland ist die Dose durch das Dosenpfand tot gemacht worden. Aber sie hat gewisse Vorteile: Bier muss vor Licht geschützt werden, die Bierflaschen sind daher meist grün oder braun. Die Dose ist komplett lichtundurchlässig. Sie steht vielleicht nicht unbedingt für etwas Hochwertiges, und ich würde nicht aus der Dose trinken. Das bedeutet aber nicht, dass das Bier darin abscheulich ist.
Die Pfefferberg-Brauerei im Prenzlauer Berg wurde 1841 von einem Bayer gegründet: Joseph Pfeffer. Es wurden untergärige Biere gebraut, die Eigentümer wechselten häufiger. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Produktion industrialisiert und ausgeweitet. In den folgenden 50 Jahren ließen die Brauereibesitzer neue Gebäude auf dem Gelände errichten, und drumherum sind größere Wohngebiete entstanden. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Pfefferberg von der Schultheiss-Brauerei aufgekauft, die aber bald dicht machte.
Zu DDR-Zeiten saßen auf dem Areal eine Druckerei und Kommunale Wohnungsverwaltung. In den neunziger Jahren entstand dann die Idee der „Kulturfabrik Pfefferberg“. Nun belebt Thorsten Schoppe dort das Brauen wieder, und es wurde sogar eine Hausmarke kreiert: Pfefferbräu. Die Hausbrauerei mit Schankhalle und Biergarten soll Ende August eröffnen. Daran angebunden ist das neu entstandene Pfefferberg-Theater der Produktion Woesner-Brothers. Die Spielzeit läuft bereits.
Thorsten Schoppe wurde in Braunschweig geboren und hat dort eine Lehre bei Feldschlößchen Braunschweig absolviert. Der heute 42-Jährige studierte an der TU Berlin bis 2000 Brauwesen und schloss mit Diplom ab. Seit 2001 produziert er naturbelassene, unfiltrierte Biere in seiner Brauerei Schoppebräu. Angeboten werden neben Hellem, Dunklem und Weizen saisonale Biere wie Maibock oder Oktoberfestbier. Schoppe experimentiert auch gerne mit mehr Alkohol, exotischen Fruchtaromen oder lagert im Whiskyfass.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.