Der Himmel über Berlin-Spandau ist am gestrigen Sonntagabend fast wolkenlos. Ein Holländer steht in der Schlange für Restkarten, zwar kannte er die Sängerin, die hier auftreten wird nicht, sagt er, aber seine deutschen Freunde hätten von ihr geschwärmt. Also hat er sich ein paar Songs auf Youtube angesehen und ist spontan zum Konzert in die Zitadelle gekommen.
Manche picknicken noch als Anna Depenbusch, eine junge Deutsche aus Hamburg, mit ihrer Band auftritt. Sie sei großer ZAZ-Fan sagt sie und sehr stolz. Sie singt von einer französischen Falschspielerin, von Hafenbars und ihrem Freundeskreis, in dem jeder in jeden verschossen ist, nur nicht in den eigenen Partner. Nett, ein bisschen harmlos. Es dämmert, und schwarz gekleidete Musiker betreten dann die Bühne, sie jazzen sich ein, mit Kontrabass, Gitarre, Schlagzeug. Dann hört man nur ihre etwas angeraute Stimme, die ersten Sätze von Le passants, und da ist ZAZ, im kleinen Schwarzen, mais oui!
Doch diese Schuhe? Rote, knöchelhohe Stiefel, was hätte wohl Coco davon gehalten. Ach, die können ihr gestohlen bleiben, das Ritz, Bijoux von Chanel oder Limousinen. Die 31-Jährige ist hier, und die etwa 3000 Zuhörer feiern sie von den ersten Takten an. Sie springt, sie tanzt. Nur was machen all die älteren Herren hier? Begleiter ihrer Frauen, oder eher Töchter, die bald mal au pair in Frankreich machen möchten. "Ca va, Berlin?" ruft Zaz. „Ouiii“ schreien alle zurück.
"Wird dit ne Therapiesitzung?"
„Die neue Piaf“ wird Isabelle Geoffrey, so ihr eigentlicher Name, von Journalisten genannt, seit im Mai 2010 ihr erstes Album erschienen ist, mit dem sie es sofort an die Spitze der französischen und belgischen Albumcharts schaffte. "ZAZ" hat sich auch in Deutschland hervorragend verkauft. Dabei singt ZAZ schon länger, sie tingelte durch die Welt, stand häufig an den Straßenecken von Montmartre, oder verdiente ihr Brot mit Piaf-Covern, die sie auch mal in Sibirien zum Besten gab.
2009 hat sie dann „vollkommen unerwartet“ beim „France Bleu/Réservoir Generation“-Talentwettbewerb in Paris gesiegt und schoss kometenhaft nach oben. Popstar Raphaël schrieb mehrere Songs für ihre CD – es klingt wie ein Märchen, aber dass ZAZ dafür gekämpft hat, dass es wahr wird, kann man auf ihrer Webseite zwischen den Zeilen lesen.
In Spandau ist es dunkel geworden, ZAZ lässt es etwas ruhiger angehen. „Ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass man sich erst selbst lieben muss“, erklärt sie in reizend gebrochenem Deutsch, „erst dann kann man in eine Beziehung zu anderen treten“. Ah, l'amour. „Wird dit jetzt 'ne Therapiesitzung?“, fragt eine Mittfünfzigerin. Der Mann neben ihr, über dessen Bauch das T-Shirt spannt, schüttelt den Kopf. „Iss doch süß, dieset Mädel“.
Als wolle sie nun Geister rufen
Dieset Mädel stammt aus der kleinen Stadt Tours und ging irgendwann nach Paris. Es wird bei J'aime à nouveau von einem virtuosen Gitarristen begleitet, der lässig zwischen Jazz, Blues, Gypsy und Latino-Anschlägen pendelt, Dans ma rue präsentieren sie unplugged, es ist eine Hommage an das Montmartre der 1930er Jahre, das Viertel der Künstler und der Armen, ZAZ lässt es auferstehen, das Viertel der Piaf, die das Lied geschrieben hat.
Plötzlich wird es mystisch, das grüne Licht gedämpft, die Frontfrau postiert einige Gläser auf einem winzigen Tisch, fährt behutsam mit den Händen über sie, so als wolle sie mit den Geräuschen nun Geister rufen. „Jeder hat doch seine kleine Fee“, haucht sie – als Einstimmung zu ihrem Lied La fée. Weil es wohl doch ein bisschen wie Therapie sein soll, wünscht sich ZAZ als "Geschenk", dass alle Männer und Frauen so laut schreien wie sie können, den Urschrei ausstoßen, „die Männer mit dem, was zwischen ihren Beinen ist, die Frauen mit ihren Eierstöcken“. Ohlala. Würde sich das eine Deutsche trauen? Ina Müller? ZAZ fragt sich gar nicht erst, ob sie darf, und bringt sogar ältere Herren dazu, sich zu enthemmen, sie brüllen so als käme das gesamte verdrängte Unterbewusste mit einem Mal heraus. Wie macht sie das?
Diese Je veux - Ich will - Haltung mit einer großen Umarmung verbinden?! Je Veux, ein leichtes, charmantes Chanson, très francais, rebellisch, auf kindliche Weise. „Ich will die Liebe, die Freude, gute Laune….Es ist nicht euer Geld, das mich glücklich macht. Vergesst all eure Klischees...“, singt sie und hält beim Refrain das Mikro in die Masse.
ZAZ ist Rebellin, aber eine, von der sich niemand bedroht fühlt. Sie ist auch Pariserin, ein bisschen links, ein bisschen romantisch, ein bisschen arm, ein bisschen reich. Sie passt in ihre Zeit und provoziert mit ihrer robusten Weiblichkeit statt sie bewusst einzusetzen. Sie möchte nicht verführen, zumindest nicht mit einer lasziven Art, als zerbrechliche Mademoiselle mit rauchiger Stimme. Sie will nur ihre Musik machen. Als Zugabe kommt Hardrock.
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