Da steht ein 22-Jähriger schlaksiger Junge mit Mick-Jagger-Mund.
Max Prosa, er wurde am Vorabend noch mit der TV Noir-Rakete preisgekrönt.
Was weiß der von Degenhardt? Was könnte die beiden verbinden, einen jungen Songwriter und den Barden?
"Wo man zum Fischfang lauthauls Lieder singt, und wo ein Sänger sogar fette Fische fängt, möcht ich Poet und Fischer sein..." Wieso sollte das nicht passen? Max Prosa schrammt wild, unpathetisch, dieses wunderbare Chanson Gelobtes Land. Diese Suche nach ihm, der Drang nach Freiheit, ein bisschen Anarchie, velleicht der kleine gemeinsame Nenner.
Konstantin Wecker, der gemeinsam mit Prinz Chaos II. (beide schrieben im Freitag den Nachruf auf Degenhardt) durch den Abend führt, kündigt Barbara Thalheim an, die ihn früher über die Grenze nach Ostberlin geschmuggelt hat, eine Große des ostdeutschen Lieds. Ihr Land sei das nicht, indem kein Politiker zur Beerdigung von Christa Wolf erscheint, erklärt sie. Das sei "eine Bankrotterklärung an die intellektuelle Elite Deutschlands". Mag sein, aber es passt nicht so recht in diesen Abend, es soll um Lieder gehen. Seine Lieder.
Der Satiriker Wiglaf Droste, eng verbunden mit "Karratsch" wie sie ihn hier zärtlich nennen, zischt, flüstert, etwas heiser, raumgreifend und mit Rotwein geröteten Wangen, von den "Wölfen mitten im Mai". Ungefällig. So stellt man sie sich vor, die "Freunde", die von dem Mann mit der Klampfe und den politischen Balladen politisiert, berührt, irritiert wurden. Die nun Abschied nehmen. Grauhaarig, in zerknitterten schwarzen Jacketts, älter gewordene Existenzialisten, aus dem Osten, aus dem Westen. Degenhardt sang für sie alle.
Dass seine Lieder poetisch und politisch waren, das spürt man auch bei Dota Kehr, die sich als "Kleingeldprinzessin" einen Namen gemacht hat und wunderbar Ein schönes Lied interpretiert, so zart wie spottend. Komm sing uns mal ein schönes Lied, eines wo man sich so richtig gut nach fühlt, eins das nicht in Schmutzgefühlen wühlt, wohl makaber, aber unterkühlt... Die Formation Erdmöbel hatte es bereits gecovert und es scheint noch in die Zeit zu passen, weil es nicht konkrete Revolte fordert, sondern ein diffuses Unbehagen beschreibt.
Kai Degenhardt erscheint, der Sohn, ein begnadeter Gitarrist. Auch er singt, wie mehrere Künstler an diesem Abend, von der Kommune, der Kirschenzeit, dem Traum, der scheiterte. Schöner und authentischer klingt sein eigenes Lied Tage im Mai.
Pause. Plaudereien im Foyer. Heike Makatsch ist gekommen, der Philosoph Richard David Precht. Seine Eltern waren mit den Degenhardts befreundet, erzählt er, er ist mit den Liedern groß geworden. Ein Sohn der alten Linken, wie man sie am gestrigen Abend im Berliner Ensemble, Brechts Theater, gehäuft sieht, frühere Idealisten, manche hängen noch an ihren Utopien, oder suchen neue.
Daniel Kahn, ein aus Detroit stammender jüdischer Musiker mit Akkordeon, der gerade aus Moskau kam, kannte den "Towarisch Degenhardt" bis vor kurzem gar nicht. Wie man aber die leichte Resignation eines desillusionierten Liedermachers umwandeln kann in eine unsentimentale Klage, die fast noch ein Klezmer-Fest wird, zeigt er, wenn er mit jiddischem Einschlag Die alten Lieder interpetiert, und von den alten deutschen Volksliedern erzählt, die mit Auschwitz verloren gingen. Es bleibt eine seltsame Traurigkeit. Aber dann redet er von Berlin, und von "Ostalgie", die er hier kennen gelernt habe.
Jan Degenhardt, der zweite Sohn, auch mit Gitarre, wird im zweiten Teil des Abends sehr persönlich. Er hat seinem Vater das Lied Mantel aus Brokat gewimdet. "Ich hab geträumt, dass Du mich liebst, dass Du mich bringst nachhause, dass Du mir winkst..." Wenn er redet, glaubt manDegenhardt zu hören. An dessen Elektro-Bett habe die Familie in der letzten Zeit gewacht. Einmal habe er gerufen: "Schluss mit der Charade, wir haun ab!" Dann wurde es still.
Hannes Wader, der Dinosaurier, singt für seinen alten Freund, mit dem er noch unterm jungen Kirschbaum sitzen wollte.
„Irgendbald müssen wir weichen. Rieselt schon das Stundenglas? Hoffentlich wird dann noch reichen der Champagner und das Gras...", klingt dann der echte Degenhardt vom Band.
Diese Verse stehen auf der Karte, die seine Familie nach Degenhardts Tod verschickte. Das Publikum hat sich erhoben, die Freunde auf der Bühne manifestieren sich umarmt in einer Reihe.
Hinterher stehen sie noch ein bisschen herum in der Kantine des Berliner Ensemble, es gibt Rotwein, Bier und Gulasch, zum Rauchen muss man rausgehen. Es sind keine Gras-Zeiten mehr. Aber die Freunde sind noch da. Wader, Wecker, und die Neuen, der junge Max Prosa, die Kleingeldprinzessin. Kumpanen, würde Degenhardt sie nennen, Kumpaninnen.
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