Der Film trägt schwarz-weiß, aber er verbreitet keine schlechte Laune. Und das ist nicht nur eine beglückende Entdeckung, die man nach etwa einer Viertelstunde macht, sondern fast eine Sensation: dass einem auffällt an diesem Niko (Tom Schilling), wie sehr man gewohnt ist von Hochschulabsolventenfilmen, dass die Leute, die in ihnen leben, mies drauf sind, weil sie irgendein Problem haben, und wenn sie dann mal nicht mies drauf sind, sitzen sie im Auto und kreischen aus dem fahrenden Fenster raus, weil sie in der Werbung gelernt haben, dass man das so macht.
In Oh, Boy aber, dem Debüt von Jan Ole Gerster, herrscht eine sehr feine Komik, die dem Zuschauer nicht auf die Schenkel klatschen will, wie es in den sogenannten Komödien immer versucht wird. Sondern eher so ein wissendes Schmunzeln, das sich einstellt, wenn man nur lang genug auf den Ernst des Lebens schaut. Eine Ironie, wie man sie mit Niko und seinem Freund Matze (der großartig grunzige Marc Hosemann) beim Besuch einer Off-Tanztheateraufführung im Tacheles empfinden kann. Denn die Off-Tanztheateraufführung ist nicht übertriebend schlecht, sondern mittelmäßig verquast, und genau das sowie die anschließende Diskussion mit dem Regisseur beobachtet Oh, Boy mit gebührenden Abstand.
Berlin, wie es bald nicht mehr existiert
Der Film zeigt einen Tag im Sommer in Berlin, durch den Niko sich slackt, A Day in the Life, wie das Beatles-Lied heißt, aus dem der Titel stammt, der halb seufzend, halb verzweifelt dem Helden über den Kopf streicht. Niko hat sein Leben nicht richtig im Griff, aber es macht nichts. Um solche Leichtigkeit, zu der die eigentlich für Berlin und die Zeit unpassende Jazzmusik beiträgt, zu finden im deutschen Kino, muss man lange zurückgehen, wahrscheinlich bis zu Werner Enke und May Spils, Zur Sache, Schätzchen. Ein Schätzchen ist dieser Niko in der Tat, der sich am Morgen von seiner Freundin trennt, mit der verdruckst-pseudochefigen Auskunft: "Ich hab' Termine." Tom Schilling, dieser Manboy, ist der richtige Darsteller für Niko, weil er so durchlässig ist für alles, was um ihn herum passiert.
Das Tolle an dem Film zeigt sich etwa daran, dass Friederike Kempter toll sein darf als leicht neurotische Schulfreundin von früher, die damals dick war und gehänselt wurde und heute Tanztheater spielt. Friederike Kempter kennt man aus dem Münster-Tatort und einigen deutschen Filmen, in denen sie auch gut aussehen muss (What a Man von Matthias Schweighöfer), aber bei Jan Ole Gerster hat sie eine richtige Rolle, in der sie zeigen darf, das Schauspiel mehr ist, als Dialog zusammen zu tragen. Etwa in der Szene, in der sie den jungen Mackern auf der Oranienburger Straße den Kopf wäscht. Oh, Boy ist auch ein Film, der die Zeit festhalten will, ein Berlin, das, die Tage des Tacheles sind gezählt, es bald nicht mehr gibt.
Arnd Klawitter, den man auch aus dem Tatort kennt als beliebte Nebenfigur und der dort etwas mehr Freiheit genießt, hat einen Auftritt als Schauspielerfreund von Matze in einer Nazi-Schmonzette, deren absurden Inhalt er sanft delirierend nachzuerzählen versucht. Auch hier öffnet sich der Blick aufs Kino, weil der ungedrehte Film, den Klawitter zu resümieren versucht, als hübscher Kommentar auf die Ödnis der Nazi-History-Event-Movies fungiert, die pädagogisch ergriffen in Gut und Böse scheiden und ansonsten vom historisch verbrieften Stiefelklackern recht begeistert sind.
Ungeschliffenes Wunder
Oh, Boy öffnet das Bewusstsein für einen deutschen Film, der einfach einmal nicht macht, was man immer macht. Mit Michael Gwisdeks altem Mann, der Kindheitserinnerungen erzählt, deren Pointe die sogenannte Reichskristallnacht von 1938 ist, ohne dass das ausgesprochen würde, kommt ein Sinn für Geschichte in das Berlin von heute, von dem man nicht geglaubt hat, dass es ihn in einem deutschen Debüt geben könnte.
Jan Ole Gerster ist ein kleines Wunder gelungen. Wie es sich für ein Debüt gehört, ist manches noch etwas ungeschliffen. Der Running Gag mit dem Kaffee, den Niko will, aber nicht bekommt, wirkt etwas pflichtschuldig inszeniert oder zumindest nicht so, dass er eine pointierte Wirkung entfaltete. Manchen Szenen, wie Nikos friedsuchendes Wegdämmern im Massagesessel der Oma eines Drogenvertickerfreundes von Matze, sieht man die Standardsituationen an, aus denen Oh, Boy rauskommen will. Der Film ist ein Schmetterling, dem man beim Entpuppen zuschauen kann. Und man möge Jan Ole Gerster wünschen, dass er mit diesem Entpuppen nicht aufhört, egal, was die Normierer sagen. Dann kann er eines Tages vielleicht sehr hoch fliegen.
Oh Boy läuft am 15.4.15 um 20.15 auf arte
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