Am 12. Juni gibt es in Berlin das Richtfest für den Wiederaufbau des Schlosses, in dem einmal das Humboldt-Forum residieren soll. Und es gibt ein „Nichtfest“ im Lustgarten gegenüber, zu dem die Initiative „No Humboldt 21“ lädt. Das Humboldt-Forum will mit den außereuropäischen Sammlungen, die aktuell in Berlin-Dahlem zu sehen sind, einst für ein „respektvolles und gleichberechtigtes Zusammenleben der Kulturen und Nationen“ stehen. „No Humboldt 21“ kritisiert, dass die kolonialen Bedingungen, unter denen die Sammlungen entstanden, nicht reflektiert, die Provenienzen der Objekte nicht erforscht seien. Die Kommunikation zwischen beiden Seiten liegt brach, seit Hermann Parzinger, einer von drei Gründungsintendanten des Humboldt-Forums, nach internen Runden ein geplantes öffentliches Gespräch im vergangenen Dezember kurzfristig absagte. Im folgenden Interview wird Parzinger deshalb nach von „No Humboldt 21“ formulierten Kritikpunkten gefragt.
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Das Interview wurde für die digitale Ausgabe des Freitag in seiner längeren Fassung belassen
der Freitag: Herr Parzinger, wie stellt sich „No Humboldt 21“ aus Ihrer Sicht dar?
Hermann Parzinger: Wir hatten in einer größeren Runde ein gemeinsames Gespräch, in dem wir unsere Überlegungen zur neuen Präsentation der Dahlemer Sammlungen im Humboldt-Forum dargestellt haben. Das fand ich eigentlich ganz konstruktiv. Ansonsten nimmt man diese Gruppierung wahr durch Äußerungen, die in meinen Ohren oft sehr pauschalisierend bis polemisch wirken. Ich habe manchmal das Gefühl, es wird ein Feindbild benötigt, an dem man sich abarbeiten kann. Das Anliegen als solches finde ich grundsätzlich durchaus wichtig. Man muss über die Dinge wie den deutschen Kolonialismus reden, weil auch er ein Teil der deutschen Geschichte ist. Ich sehe es als große Chance, diese Themen im Humboldt-Forum aufzugreifen und zur Diskussion zu stellen. Aber ich sage auch: Die Kolonialgeschichte und ihre Folgen sind nicht nur eine Sache der Museen, da würde man es sich in unserem Lande zu bequem machen. Diesem Thema muss sich Deutschland insgesamt stellen, insbesondere die Politik.
Gibt es Impulse für Ihre Arbeit, die sich „No Humboldt 21“ verdanken?
Im öffentlichen Bewusstsein ist wenig bekannt über den Anteil am Unrecht in der Kolonialzeit. Von Namibia, den Verbrechen an den Hereros, haben viele schon gehört, von anderen Dingen weniger. Vielleicht muss man manchmal auch ein bisschen schrill sein, um überhaupt wahrgenommen zu werden. In den Museen ist dieses Bewusstsein vorhanden. Wir wissen, wie essenziell es ist, nach der genauen Herkunft der Objekte zu forschen und den Kontext ihrer Erwerbung aufzuzeigen. Dies aufzuklären gehört zum täglichen Geschäft der Mitarbeiter. Wenn die ethnologischen Sammlungen im Humboldt-Forum präsentiert werden, muss die Erwerbungsgeschichte der Objekte klar sein.
Sie verweisen, zu Recht, auf die Politik, die die Kolonialgeschichte zum Thema machen müsste. Aber könnte sich das Museum da nicht einfach als Innovator in Schale werfen?
Genau das tun wir doch.
Bei der NS-Raubkunst ist die Bereitschaft zur Rückgabe spätestens seit der Sache Gurlitt Konsens. Warum überträgt sich, was naheliegend wäre, der Restitutionsdruck nicht auf Erwerbungen aus früheren Zeiten?
Bei der Stiftung nicht erst seit Gurlitt. Aber das ist ein anderes Thema. Man darf nicht alles in einen Topf werfen. Und eines möchte ich ganz klar betonen: Kolonialer Kontext ist nicht automatisch Unrechtskontext. Wir müssen schon, und das gilt nicht nur bei NS-Raubkunst, immer ganz genau den Einzelfall prüfen. Das ist aufwendig und dafür braucht man Personal und Mittel. Wenn sich dabei herausstellt, dass etwas unrechtmäßig erworben, also geplündert oder gestohlen wurde, dann muss man auch eine Rückgabe in Erwägung ziehen.
Die Kritiker sagen, Kultgegenstände könne man vor der Existenz eines kolonial geprägten Markts gar nicht anders als gewaltsam bekommen haben – ein Thron fände sich nun mal nicht am Wegesrand.
Wir sollten uns vor Pauschalisierung hüten und immer genau hinschauen. Den Thron aus Bamun, ein zentrales Objekt unserer Kamerun-Sammlung, bekam Wilhelm II. von König Njoya als Geschenk, auch wenn es keine Gabe unter Herrschern auf Augenhöhe war. Das Auftreten der Deutschen in Kamerun werden wir an dieser Stelle genauer beleuchten. Bei der Arbeit mit den ethnologischen Sammlungen stellen wir aber auch immer wieder fest: Viele Kultgegenstände, die eine gewisse Bedeutung hatten, wurden von den indigenen Gruppen regelrecht an Sammler verkauft. Ich bin in der Südsee gewesen und habe in Vanuatu, das übrigens nie eine deutsche Kolonie war, das dortige Museum besucht. Dort hat der Museumsdirektor gesagt: Unsere Stücke sind nicht älter als 40, 50 Jahre, weil wir sie früher nicht bewahrt haben, und glücklicherweise gibt es die Sammlungen in Europa und Nordamerika, jetzt wissen wir, wie lange unsere Traditionen zurückreichen. Man kann das Humboldt-Forum also auch als Chance begreifen.
Gab es denn schon Restitutionen von Dingen, bei denen der Raub geklärt war?
Wir haben in den 80er Jahren ein Objekt an Simbabwe zurückgegeben, aus Stein gearbeitete Vogelfiguren, weil sie dort Nationalsymbol sind, obwohl das kein Raubkontext war. Wir haben auch vor drei Jahren an die Türkei eine hethitische Sphinx übergegeben, und zwar als freiwillige Geste, ohne dass dazu ein rechtlicher Grund bestanden hätte. Solche Dinge gibt es immer wieder. Man kann über vieles reden, man kann auch über einen Austausch von Leihgaben sprechen, wenn man unaufgeregt und ohne Polemisierung an das Thema herangeht.
Wie ist denn der Stand der Provenienzforschung? Gibt es da eine Gruppe bei Ihnen, die sich dem widmet?
Zuständig sind dafür die Kuratoren der ethnologischen Sammlung, es ist Teil ihrer Arbeit. Allerdings muss man auch sagen, dass die Bedeutung der Provenienzforschung gestiegen ist und damit die Anforderungen an die Museen. Entscheidend ist, dass uns die Politik durch die Bereitstellung entsprechender Mittel in die Lage versetzt, diese detailreiche, aufwendige Arbeit auch zu bewältigen.
Zur Person
Hermann Parzinger, 56, ist Prähistoriker und seit 2008 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Er bildet mit Neil MacGregor und Horst Bredekamp die Gründungsintendanz des Humboldt-Forums, das 2019 im Schloss öffnen soll
Foto: Reiner Zensen/Imago
„No Humboldt 21“ weist darauf hin, dass von insgesamt 500.000 Objekten nur 8.000 gezeigt werden. Und dass das Restitution doch leichter machte, wenn die Sachen hier nur im Depot liegen.
Ein Museum ist ja keine Ausstellungshalle, es ist ein Wissensarchiv, das die Geschichte, die materielle Hinterlassenschaft der Menschheit verwahrt, auch für die Forschung. Da kann man nicht sagen, wir behalten zehn Pfeilspitzen und die übrigen 200, die ähnlich aussehen, die geben wir weg. Das wäre eine völlig unwissenschaftliche Haltung zur Bewahrung des kulturellen Erbes. Wichtig ist, dass die Dinge für jedermann zugänglich sind. Außerdem sollen im Humboldt-Forum nicht 8.000, sondern 24.000 Objekte präsentiert werden.
Für jedermann zugänglich heißt aber nicht, dass jedermann durch die Depots spazieren kann?
Da gibt es natürlich Sicherheitsstandards. Aber wir haben regelmäßig Besucher von indigenen Gruppen, First Nations zum Beispiel, Yupik aus Alaska sind regelmäßig hier. Forscher aus aller Welt sowieso. Und wenn sich jemand mit gutem Grund dafür interessiert, bestimmte Dinge zu sehen, bemühen sich die Museen, das zu ermöglichen.
Ein weiterer Kritikpunkt von „No Humboldt 21“: die menschlichen Gebeine im Besitz der Sammlung, die zurückgegeben werden müssen. Stimmt es, dass daran noch geforscht wird?
Diese anthropologische Sammlung befindet sich erst seit kurzem in unseren Sammlungen. Wir haben sie von der Charité übernommen, weil im Museum für Vor- und Frühgeschichte Kompetenzen im Umgang damit vorhanden und auch Skelettreste aus prähistorischen Gräberfeldern in Deutschland dabei sind. Ganz entscheidend ist, dass wir menschliche Reste nicht wie übliche Sammlungsobjekte behandeln, sondern Sensibilität und Respekt walten lassen. Wir mussten sie konservatorisch aufwändig bearbeiten, um sie vor dem Zerfall zu retten, wir bewahren sie würdig auf und sind dabei, ihre Herkunft aufzuklären, um Wege für einen angemessenen Umgang damit zu finden.
„No Humboldt 21“ bemängelt auch, dass bei Ihnen viel von Toleranz, Weltoffenheit und Dialog die Rede sei, aber für die hier lebenden Menschen mit afrikanischem Hintergrund, die zur Initiative gehören, das nicht gelte. Ein Widerspruch?
So ist es einfach nicht: Die Museen arbeiten zum Teil sehr eng mit hier lebenden Menschen aus anderen Kulturen zusammen, etwa mit einer Hindu-Gemeinde aus Neukölln, auch zu einer Gruppe aus Kamerun und vielen anderen. Es muss das Ziel sein, diese Verbindungen weiter zu intensivieren und auszubauen. In Berlin gibt es Menschen aus über 180 Nationen – die hier ein Stück ihrer Kultur und ihrer Geschichte im Zentrum der Stadt wiederfinden können. Nirgends ist die eigene Kultur wichtiger als in der Fremde. Es ist eine unserer zentralen Aufgaben, diesen Dialog zu befördern – und hier ist noch Etliches zu tun. Eine lohnende Aufgabe, wie ich finde, denn die Beschäftigung mit den Sammlungen kann sehr wohl zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen.
Können Sie sich vorstellen, mit „No Humboldt 21“ wieder ins Gespräch zu kommen?
Wir sind immer für den Dialog offen. Aber er muss sinnvoll und konstruktiv sein. An einer Plattform für aggressive, absurde Polemik werde ich mich nicht beteiligen. Zum Beispiel, wenn behauptet wird das Humboldt-Forum verletze die Würde von Menschen aus anderen Kulturen, es sei dazu da, den Kolonialismus zu rehabilitieren und Alexander von Humboldt sei einer der größten Leichenfledderer gewesen.
Können Sie verstehen, dass die Initiative die Idee, den Schlossplatz in Nelson-Mandela-Platz umzubenennen, als Kosmetik empfindet, zumal von deren Seite schon länger dafür geworben wird, die problematische „Mohrenstraße“ nach Mandela umzubenennen?
Es kommt darauf an, die Menschen zu sensibilisieren für den zum Teil auch vergessenen rassistischen Hintergrund solcher Begriffe. Deshalb spräche aus meiner Sicht doch einiges für eine Umbenennung der Mohrenstraße. Ob der Schlossplatz aber unbedingt einen anderen Namen braucht und welchen – das müsste man noch sehen. Nelson Mandela würde schon passen, aber man sollte darüber durchaus noch weiter nachdenken.
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