Der Prinz von Bel Hair

Kino In der Tragikomödie „Coming In“ soll ein Homosexueller Hetero werden. Der scheinbar originelle Clou beschwert jedes Erzählen
Ausgabe 43/2014

Die deutsche Komödie hat der Homosexualität viel zu verdanken, zum Beispiel ihre größten Erfolge. In Sönke Wortmanns Der bewegte Mann wurde ein heterosexueller Schürzenjäger (Til Schweiger) durch schwulen Beistand zum tendenziell verantwortungsfähigen, perspektivisch monogamen Vater geläutert. Der Schuh des Manitu arbeitete 2001 den unter Arno-Schmidt-Geeks kanonischen Befund über die Homoerotik bei Karl May zu einem Film aus lauter Fernsehnummern aus. Als lustig galten Bully Herbigs schwule Karikaturen („Winnetouch“), die im nun offenen Wissen um kulturwissenschaftlich erforschte Subtexte scheinbar ungeniert entworfen werden konnten – vor allem aber die Möglichkeit boten, gerade in einer Zeit größerer Offenheit, alte Abwertung auszuteilen.

Marco Kreuzpaintners Film mit dem deutlichen Titel Coming In wird vermutlich kaum in die Zuschauerregionen vorstoßen, in denen Der bewegte Mann (6,5 Millionen) und Der Schuh des Manitu (11,7 Millionen) spielen. Dafür ist der Film handwerklich zu lahm, lang und ungelenk. Zwar macht die Optik auf dicke Hose, aber der Versuch, Berlin weltstädtisch-globalschick aussehen zu lassen, wird schon von Dialogen dementiert, die keine Einführungsveranstaltung „Kreatives Schreiben“ unredigiert verlassen dürften (Buch: Kreuzpaintner, Jane Ainscough; Geschichte: Christoph Müller). „Jeder scheint zu wissen, was gut für mich ist, aber keiner macht nicht mal ’nen Ansatz, nachzufragen, was ich will, nicht mal ’ne Nuance“, klagt Protagonist Tom Herzner (Kostja Ullmann) einmal.

Verwuschelt im Kiez

Die Zuschauerin lernt ihn als erfolgreichen Frisör kennen, der gerade dabei ist, sein erstes Parfüm herauszubringen. Ein PR-Termin führt Herzner in einen pittoresk unschicken Hinterhof („Außerdem ist Neukölln gerade extrem angesagt“). Genauer in das Frisörgeschäft von Heidi (Aylin Tezel), dessen Name (Bel Hair) eine schöne Parodie auf den Wortspieldruck des Coiffeurgewerbes ist – und damit viel zu smart für den dauerwellendominierten, maschinegetriebenen Kiezladen, der hier als Gegenbild zum kühlen Minimalismus vom Starfrisörsalon entworfen werden soll.

Coming In erzählt nicht nur von einem Aschenputtel-Prinz-Gefälle, sondern codiert die Distanz zwischen den beiden, die sich am Ende kriegen sollen, zuerst sexuell: Herzner ist homo- und Heidi heterosexuell. Für einen deutschen Publikumsfilm ein erstaunlich sensibles Thema, das als Komödie denkbar wäre in Form einer nicht zimperlichen Parodie heterosexueller Ängste von „Verlust“, die dann auf schwules Wissen und Reden bezogen werden müssten.

Das würde allerdings bedeuten, dass das Heterosexuelle als Abweichung markiert wäre; dauernde Gags auf Kosten der Mehrheit des vermuteten Publikums würde sich kaum ein Film erlauben, allem Man-wird-ja-noch-Gerede vom total unverkrampften Spiel mit Klischees zum Trotz. Coming In setzt folglich auf eine verwuschelt-sentimentale Tragikomik, kriegt damit die Suppe aber immer noch nicht ausgelöffelt, die ihm sein scheinbar origineller Clou eingebrockt hat – dass mal ein Schwuler heterosexuell „wird“ (wobei das „werden“ schon eine schiefe Denkfigur ist, aber das diskutieren wir bei anderer Gelegenheit).

Denn eine ideologische Lesart des umgedrehten „Umdrehens“, die mit Blick auf das in den letzten Jahren offen artikulierte Geschimpf gegen gleichgeschlechtliche Ehen politisch aktuell wäre, würde dem Film schon deshalb nicht gut zu Gesicht stehen, weil damit schlechte Laune verbunden ist. Der deutsche Film mag bieder sein (wie die Szene zeigt, in der Kreuzpaintner es schafft, zu einem Discokracher wie Relax einen stakeligen Paartanz von Tom und Heidi zu inszenieren), Bernd Luckes Humor aber wäre die Hölle.

Also landet der schematische Versuch, das schwule Coming-out gut gelaunt in ein Coming-in ins Heterosexuelle zu transponieren, in einer Einbahnstraße, für die neue Verkehrsregeln erfunden werden müssen. Die Frau kommt für Herzner daher wie Amerika für Christoph Kolumbus – als Terra incognita. Der Starfrisör bedient nur Männer in seinem Salon, der PR-Termin in Neukölln wird anberaumt, um auch Käuferinnen anzusprechen – als wäre bei der Wahl von Frisörgeschäft und Parfüm die sexuelle Vorliebe des Betreibers für irgendjemanden bedeutsam.

Die Misogynie, die Coming In seinem Protagonisten in zarter Ausprägung unterjubelt (alles andere wäre ein viel zu heftiges Gefühl für eine verwuschelt-sentimentale Tragikomödie), gehört im richtigen Leben doch eher zu den heterosexuellen Männerrechtlern. Das weiß Coming In am Ende auch, wenn die möglichen Beziehungen zwischen Frauen und Männern, die Männer lieben, plötzlich Namen kriegen („Schwulenmutti“, „bester Freund, der schwul ist“). Deswegen hätte jemandem durchaus auffallen können, dass es keine gute Voraussetzung fürs Erzählen ist, wenn eine Geschichte sich dümmer stellen muss, als das allgemeinste Wissen ist: Herzner soll als Heidis Praktikant Horst heterosexuell tun – in einem Beruf, den der letzte Dösbaddel mit Schwulsein verbindet.

Coming In Marco Kreuzpaintner D 2014, 104 Minuten

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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