Niemand wird nach Borowski und der coole Hund bestreiten wollen, dass Kiel so was von Darling der Hinrunde ist und jetzt schon als haushoher Herbstmeister 2011 feststeht. Nach der canonicanonischen Folge vor einem Monat wird nun nachgelegt – Borowski und der coole Hund ist Part two des Henning-Mankell-Agreements, das im Winter mit diesen depravierten Trader-Freizeit-Großwildjägern einen ersten Akzent setzen konnte. Michael Proehl, dessen Namen wir nur noch mit Samthandschuhen eintippen seit dem allerunvergesslichsten Schweighöfer-Tatort, hat die Vorlage von Mankell zu einem Drehbuch ausgearbeitet, das sich einer altmodischen Spannungsökonomie verpflichtet fühlt, die so sehr nach unserem Geschmacke ist, dass wir das Dativ-e hier einmal nicht scheuen.
Den Täter schüttelt der Tatort tatsächlich im Vorbeigehen aus dem Ärmel: Wenn nach 70 Minuten alles auf den mutterpflegenden IT-Narcotics-Tierschutz-Aktivisten Nils Ackermann (sieht aus wie ein gephotoboothter Lars Eidinger: Sebastian Weber) zuzulaufen scheint (ein schönes Detail für den Zuschauer: wie Ackermann da im Garten wasweißich verbrennend den Look des Kapuziner-Rächers zu performen scheint, aber durch die speckige Jacke auch wieder vom eher tighten Style des zuvor eingeführten Täters abweicht), und man sich, von der scheinbar frühen Täterfindung irritiert, innerlich auf ein langes Gefecht zur Dingfestmachung samt sentimental gedehntem Afterglow für den toten schwedischen Ermittlerfreund einstellt, da entdecken Sarah Brandt (Sibel Kekilli) und ihr namenloser Kollege mit dem Goatie-Bart (der mal einen unterkomplexeren Männlichkeitsentwurf vorstellt, wie wir ihn in Analogie zur feschen Conny Nina Kunzendorfs in Bankfurt wünschten) erst den wahren Übeltäter in dieser fancy Neubauwohnanlage.
André Ratownik (sieht aus wie ein gephotoshopter Jan Henrik Stahlberg: Sebastian Zimmler) ist als Rettungssanitäter zuvor nur einmal kurz durchs Bild gelaufen, als Ina Santamaria (what a Name: Mavie Hörbiger) sich absichtsvoll an der Ceran-Herdplatte spüren wollte. Und selbst bei der Entdeckung spielt die Inszenierung (Regie: Christian Alvart) noch geschickt mit falschem Verdacht, weil sie zuerst die Sanitäterkollegin (Kathrin Wehlisch) fokussiert, die mit dem im Täterprofil geforderten Overcaring identifiziert werden könnte und durch den Zuschauerkopf für eine Sekunde den Gedanken schießen lässt, der Vernichtungsfeldzug an den Hardcore-Sexbekanntschaften der borderlinenden Ina müsse natürlich von einer sorgenvollen Frau durchgezogen werden und auf Geschlechterrache hinauslaufen.
Die gute Staatstrojanerin
Es gibt in Borowski und der coole Hund so viele triftige Details, dass der Platz zum Dauerpreisen kaum ausreicht. Mankell/Proehls Buch bringt Disparatestes spannungstreibend zusammen (hübsch auch dieses aufwendige Fallenstellen, bei Mankell ist der Täter ein Künstler) und die Kamera von Ngo The Chau öffnet die Erzählung für die Wucht von großen Bildern (die Geometrie dieser fancy Neubauwohnanlage!) – wobei wir den Pharisäer in uns unterdrücken wollen, der herummäkeln könnte, dass gerade das Pimpen in beiden Fällen die Form mitunter sprengt. Genauso wie wir dem Hinweis, auf die kleinen Ungenauigkeiten in der Erzählung nicht nachgehen (Wie kann der alte Schwede die Nummer von Sarah Brandt in seinem Handy schon bei der ersten SMS am zweiten Tag der flüchtigen Bekanntschaft eingespeichert haben? Was, wenn nicht ködern, will Boro bei der Santamaria und wenn ja, wieso ruft er nicht die Kavallerie, als der Fisch an der Angel zu hängen scheint?). Die Musik (Michl Britsch) hat ihre Momente, der Schnitt (Andreas Wodraschke) erzeugt Effekte.
Vor allem aber ragen die Schauspieler und Rollen heraus (bis hin zum Weber von Kiel: Jan Peter "Nichts für ungut, Klaus" Heyne). Sibel Kekilli macht weiterhin unbändige Freude in ihrer lausbübischen Aufgewecktheit. Solch eine Frauenfigur hat man sich lange gewünscht im Tatort. Schließlich geht Sarah Brandt, diese analog gewordene Online-Durchsuchung (wie sie bei der Santamaria mal eben den Rechner und das Tagebuch checkt, das ist Medienkompetenz, von der die Grundschule träumt), in ihrem lässigen Ermittlungsfleiß incl. dem finalen Rettungsköpper ins Nass so weit, dass man sich Sorgen um den Arbeitsplatz von Boro machen muss. Vor der Überflüssigungmachung von Boro wird allerdings auch diese ominöse, mit großer Geheimnistuerei auch hier performte Krankheit der Sarah Brandt sein. Genderpsychoanalytisch gesprochen steckt darin wohl vor allem männliche Abschaffungsangst.
Stefan Enberg (Magnus Krepper), der envoyé special zur Rabies-Bekämpfung aus Schweden, bringt Boro zum Lachen, klampfert bei den Ladies an, dass es eine Schau ist, und geriert sich sonst als Ermittlungsrambo. Der Drang zur Moral (dieses Bild mit dem Kind!) nervt etwas, Enbergs Technik, den Verhörten immerfort die vermutete Wahrheit auf den Kopf zuzusagen ("Prinzessin auf der Erbse bumst quer durchs Internet, weil sie sich fremd fühlt"), könnte aber Schule machen. Und die raubeinige Figur funktioniert, weil es als Puffer eben den immer nur innermost Boro gibt, der auch hier seinen Verdruckstheit performen kann (sehr hübsch: das Frühstück), ohne dass der vierte Offizielle Manierismus im Spielbericht vermerken müsste.
Und zuletzt ist dieser Tatort mit seinem nie voyeuristischen oder analphabetösen (kinda: Was für krasses Zeug dieses Internet mit sich bringt!) Hot-Sex-Begehren in der Mitte durchaus aktuellst politisch lesbar. Denkt man den Hund wie Sam Fuller in seinem großen Film White Dog und würgt den Hinweis von Enbergs One-Night-Friendin auf die Politik nicht ab, dann funktioniert der tollwütige Hund am Anfang als Medium für das EU-Europa: Kommt mal eben über die Öresund-Brücke spaziert, will nur spielen und verursacht dann lauter existentiellen Trouble. Das sicke Finanzsystem wäre folglich diese Tierschinderbude, in der dem seine Verantwortung für den giftigen Viren resp. Papiere im Hund auf den Kopf zugesagte Arzt (auch toll: Jan Georg Schütte) nur verdattert Job-Angst als Ausrede einfällt. Wie sich das letztlich mit Sanitäters "Nicknamen" aus dem Griechischen kurzschließen lässt (Soter22), sollten wir aber besser weiter zu denken versuchen, wenn das Referendum in Athen durch ist.
Dem kann man sich nur anschließen: für Jeanette Würl (die im Juni verstorbene, zuständige NDR-Redakteurin)
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