Die RAF – und alles, was damit zusammenhängt – ist der Blinddarm der Bundesrepublik, der nie rausgenommen wurde, weshalb sich von Zeit zu Zeit eine Reizung einstellt. Es mag etwas naiv anmuten, das zu beklagen – aus einer höheren Warte auf einen Diskurs schauen zu wollen, der die Bahnen nicht zu verlassen scheint, in denen er sich seit Jahren bewegt. Naiv deshalb, weil angesichts der vielfältigen Verwicklungen bei diesem Komplex (persönliche Biografien, politische Ideen, staatliche Sicherheit) und der beschädigten Leben auf Seiten der Opfer wie der Täter die Hoffnung gering ist, dass ein nüchterner Frieden mit diesem Kapitel bundesrepublikanischer Geschichte möglich sein könnte, bevor seine Autoren tatsächlich historisch geworden sind.
Das jüngste Rühren am Trauma – die Verhaftung Verena Beckers, die Vergangenheitsbewältigung Michael Bubacks – hat zwei Perspektivwechsel in der Befassung mit der RAF als Geschichte immerhin angedeutet. Zum einen war von Aufzeichnungen Beckers die Rede, zum anderen haben die obsessiven Recherchen von Michael Buback, dem Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts, das Interesse der medialen Öffentlichkeit auch auf den staatlichen Sicherheitsapparat gelenkt, dessen Anteil und Wissen an und um die Vorgänge bislang nur Raum für Spekulationen bot, denen nicht selten der Ruch der Verschwörungstheorie anhaftete.
Endstation Cohn-Bendit
Die Rolle des Films ist einem solchen Umfeld nicht zu unterschätzen, weil das Kino ein Biotop für Spekulationen ist. Man kann sich ausmalen, was in Amerika allein an Spannung aus dem vagen Zentrum der Ereignisse zu schlagen wäre. Man kann daran denken, welche Möglichkeiten ein Film hätte, der versuchte, hinter die Schablonen der widerstrebenden Kämpfe um die Deutungsmacht zu kommen (Andres Veiel hat das mit dokumentarischen Mitteln in seinem Doppelportrait des ermordeten Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen und des in Bad Kleinen getöteten RAF-Mitglieds Wolfgang Grams in Black Box BRD probiert).
Aber leider: Die Rolle des Kinos wäre nicht zu unterschätzen. Denn das Thema RAF ist zuletzt filmisch so bearbeitet worden, dass eine Ausdifferenzierung des Diskurses nicht zu erwarten ist. Und damit ist noch nicht einmal Bernd Eichingers Baader-Meinhof-Komplex gemeint, der sich als pornöses Potpourri 2008 noch einmal an Ästhetik und Gewalt des bewaffneten Kampfs berauscht hat. Vielmehr sind die Werke, die gerade Vergangenheit im Heute erzählen wollen, von einer erschreckenden Trostlosigkeit. Im Sommer kam Conny Walthers Film Schattenwelt in die Kinos (Freitag vom 25. Juni 2009), der sich durch die emotionalisierende Engführung des Konflikts – ein entlassenes RAF-Mitglied wird mit der Tochter eines bei einem von ihm verübten Anschlag zu Tode gekommenen Gärtners konfrontiert – die Möglichkeit vergab, das Thema außerhalb der Beziehungsgestörtheit eines für deutsche Verhältnisse besseren Fernsehfilms zu behandeln.
In dieser Woche startet mit Es kommt der Tag ein zweiter Film, der ein ähnliches Interesse hat. Iris Berben spielt Judith, eine gewesene Terroristin, die im Elsass mit französischem Mann und zwei Kindern lebt, wo sie von Alice (Katharina Schüttler), der Tochter, die sie einst verlassen hatte, um in den Untergrund zu gehen, aufgespürt wird. Das Drehbuch stammt von Susanne Schneider, die auch Regie geführt hat.
Als aufschlussreicher Führer in den Dschungel des politischen Befunds, der dem Film zugrunde liegt, erweist sich das Presseheft. Dort wird, in Gesprächen mit Schneider oder auch Iris Berben, recht umstandslos von „1968“ gesprochen, was für die Ursprünge des deutschen Terrorismus eine nicht unbedeutende Chiffre sein mag, vor allem aber die Stoßrichtung des Films verunklart. Der Schuld, die Menschen auf sich geladen haben, die glaubten, aus politischer Konsequenz töten zu müssen, wird nicht näher kommen, wer eine äußerst heterogene Generation zum Gegenstand seiner Meditationen macht.
Die verquaste Annahme, eine Fraktion zu meinen, aber für eine Generation zu sprechen, zeigt sich im Platz, den Schneiders Film der Iris-Berben-Figur zuweist: Judith ist verbürgerlicht als Betreiberin eines pittoresken Weinguts mit geschmackvollem Wohnhaus, in dem jeder Serviettenhalter mit Namen versehen ist, und engagiert sich aktuell in einer Anti-Genmais-Bewegung. Man könnte es auch so sagen: In der Figur Judith wird eine Karriere imaginiert, bei der Ulrike Meinhof (als Vorbild für die Mutter, die den politischen Kampf den Kindern vorzieht) als Klaus Wagenbach oder Daniel Cohn-Bendit endet, auch wenn der scheinbare Wohlstand des traditionsreichen Weinguts in Es kommt der Tag angekränkelt ist durch diffuse Geldprobleme (die die Großelterngeneration lösen könnte). Die Unbedarfheit einer solchen Anordnung besteht darin, dass sich durch das späte Wohlleben der 68er- oder Terroristenfigur (die überdies noch inkognito leben soll, um ihrer Verhaftung vorzubeugen) die Schuldfrage einem Neid überlassen ist, auf den sich Springers heiße Blätter seit je verstehen.
In dem Presseheft-Interview sagt Susanne Schneider ebenfalls, dass sie beiden Figuren, der schuldhaften Mutter und der verletzten Tochter, gerecht werden wolle. Dagegen spricht nicht nur die beschriebene Verortung der Mutter, sondern vor allem die haltlose Tochter. Katharina Schüttler spielt Alice als bindungsunfähige junge Frau, die ihren Freund nach schnellem Sex auf der Raststätte zurücklässt und in französischen Bars mühelos in Trinkspielen mit der lokalen Jugend reüssiert. Auf dem Weingut gebärdet sich Alice wie die Staatsanwältin ihres eigenen Unglücks, wodurch ebenfalls zwei an sich verschiedene Diskurse kurz geschlossen werden: Alice ist verletzt, weil sie sich als Tochter verraten fühlt, tritt aber auf, als vertrete sie die Interessen aller Hinterbliebenen von Opfern und die des angegriffen Staates dazu. Die Sehnsucht zu wissen, woher sie kommt, dient nur als Einleitungssatz zu einem Plädoyer, bei dem mit den „Leichen im Keller“ eben nicht die private Zurücksetzung, sondern die Fehlerhaftigkeit des politischen Kampfes gemeint ist. Wo es um Liebe gehen sollte, wird ständig mit „Beweisen“ herumgefuchelt. Damit bedient Es kommt der Tag vor allem mediale Ressentiments, die Betroffene womöglich davon abhalten werden, Bundesverdienstkreuze zurückzugeben. Als ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit einem Thema, bei dem es vielleicht einmal nicht darum ginge, alle gefühlten Bedürfnisse einer medialen Öffentlichkeit zu befriedigen, disqualifiziert sich der Film dadurch aber rasch. Es bleibt eine, in der Wiederholung des Körperlichen schönen Szene, in der Katharina Schüttler mit leeren Flaschen wirft.
Magenprobleme
Die falsche Bewegung, die Es kommt der Tag vollzieht, um heil über das Minenfeld seines ideologisch aufgeladenen Sujets zu kommen, ist die Verallgemeinerung eines Widerstandsbegriffs, der Opas Resistance mit Mamas Terrorismus und dem ziellosen Wohlstandsunbehagen der Gören auf einen Dreisatz bringen will. Die inszenatorischen Mittel von Schneiders Regie (der, mit dem gerade ein Hühnchen zu rupfen ist, kommt immer im richtigen Moment vorgefahren) sind außerdem zu begrenzt, um auf filmischer Ebene eine Kritik zu leisten an den Bildern, die unsere Vorstellung vom deutschen Terror bestimmen. So mag Judiths Kämpferpose bei der Anti-Genmais-Demo wie ihre Fähigkeit, Schlösser zu knacken ebenso gut zur corporate identity eines Post-RAF-Films passen wie Alices Idee, in Anlehnung an die Fahndungsplakate Kopien über Judiths wahre Identität in elsässischen Weingütern aufzuhängen – mit Reflektion hat das aber nichts zu tun.
So bleibt von Es kommt der Tag die Einsicht, dass die größte Strafe der 68er ihre eigenen Kinder sind, wofür es in diesem Film noch nicht mal Alicens bedürfte. Und die Tatsache, dass Fundamentalopposition den Magen reizt: Bei der finalen Rückfahrt nach Deutschland (Judith darf das Glück ihrer trügerischen Zweitfamilienidylle nicht behalten und reist mit Alice ab) muss die einstige Radikale an der vormaligen Grenze erst einmal kotzen.
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