Der Freitag: „Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll“ von Steven Soderbergh startet bei uns im Kino. In den USA war das ein Fernsehfilm. Der Grund: Es geht um die Biografie eines schwulen Entertainers.
Jan Künemund: Soderbergh hat sich so zitieren lassen: „zu schwul für Hollywood“. Es gab einen Executive, der zurückgetwittert hat, das sei alles Quatsch. Es ist aber eine Frage, die man stellen kann. Brokeback Mountain war kommerziell sehr erfolgreich. Es wurde behauptet oder gehofft, jetzt gäbe es einen solchen Film nach dem anderen. Nichts davon ist passiert. Seitdem kamen im Mainstreamkino nur zwei queere Filme heraus: Milk von Gus Van Sant und The Kids Are All Right, in dem Annette Bening und Julianne Moore ein lesbisches Paar mit Kindern spielen. Hinter allen drei Filmen steckt der gleiche Produzent, James Schamus, der im New Queer Cinema angefangen hat. Für große queere Filme in Hollywood sind immer nur Schamus und seine Firma Focus Features verantwortlich.
Haben Sie eine Erklärung?
Kino hat viel mit Begehren zu tun. Man geht da nicht zur Informationsaufnahme hin, sondern damit man etwas sieht, auf das man steht, in das man sich hineinfantasiert. Und da trennt sich homosexuelles Begehren von heterosexuellem. Früher war man neugieriger aufeinander, in der Zeit von Aids etwa. Inzwischen muss man sogar queere Kinobetreiber dazu überreden, queere Filme zu zeigen.
Ein politisches Problem?
Man kann das ökonomisch erklären, die Zielgruppe ist klein, man kennt sie nicht gut. Es werden viele Filmemacher davon abgehalten, queere Stoffe aufzugreifen, Schauspieler davon, queere Rollen zu übernehmen. Das ist ein interessanter Punkt, wenn wir über Liberace sprechen. Denn es gibt die Ausnahme, wenn es sich bei der queeren Rolle um eine handelt, für die man einen Oscar kriegen kann. Jeder Schauspieler will mal einen Schwulen spielen, aber nur richtig groß, so wie jetzt Michael Douglas und Matt Damon. Dann ist es eine Herausforderung. Ich weiß aber von Fällen, wo PR-Agenturen jungen Schauspielern abraten, solche Rollen anzunehmen.
Ist das aus schwuler Perspektive nicht abstoßend, wenn die eigene Identität zum Kalkül in Schauspielerkarrieren wird?
Ja. Andererseits liebt die Community es auch. Man sieht gerne, wie, kurz gesagt, Matt Damon Michael Douglas in den Hintern fickt, weil die Rolle das erfordert. Das ist eine Art von Rache. Ben Affleck macht sich auch darüber lustig, dass Damon im Film so oft seinen Arsch zeigen muss. Das ist witzig und gehört dazu. Auf der anderen Seite: Wenn man einen Killer spielt, färbt das nicht auf den Schauspieler ab. Bei einer schwulen Rolle gibt es dagegen die Angst, dass was hängen bleibt: dass man das Begehren einer weiblichen Zuschauerschaft nicht mehr erfüllen, den Actionhelden nicht mehr spielen kann. Diese Angst ist real.
Schauspieler können es also nur „big“ machen oder gar nicht.
Das ist bei dem deutschen Film Freier Fall auch so. Hanno Koffler und Max Riemelt haben beschlossen, dass sie das groß machen, keine Halbheiten. Dann geht es. Dann kriegen sie wie auf der Berlinale Schulterklopfen von Kollegen und Kritik, dass sie das handwerklich besonders gut gemacht haben.
Das Übersteigern war ja für den echten Liberace ein Schutz.
Michael Douglas sagt im Film einmal: „I built my name.“ Als Schwuler konnte Liberace in seiner polnisch-italienischen Einwandererfamilie nicht leben. Also musste er sich selbst erfinden als diese Kunstfigur, auf die er stolz ist. Er verklagt alle, die dagegen angehen und hinter das Geheimnis sehen.
Das Übersteigerte, Grelle würde man hierzulande am ehesten bei Rudolph Moshammer oder Harald Glööckler finden.
Das sind Kopien, Figuren wie Liberace gibt es nur in Amerika. Soderbergh geht damit interessant um: Er nimmt sich dieses Klischee, diesen Glitzer, dieses Visual Display, zelebriert das und bricht es runter auf eine Fassbinder’sche Machtstruktur in der Beziehung zwischen Liberace und seinem Lover Scott. Das hat etwas Klaustrophobisches in dem Palast, in dem es nur noch darum geht, wer gerade wen ausbeutet. Dabei bleibt der Film aber menschlich, es wird im Prinzip eine ganz normale Beziehung erzählt. Das ist schön, auch wie Soderbergh das visuell macht. Mit Scott kommt man in die Liberace-Welt rein wie in ein fremdes Universum. Das Visuelle kann sich langsam entwickeln und normalisieren. Das hat viel mit Kino zu tun und nicht nur mit Homosexualität.
So wäre „Liberace“ Beispiel für einen schwulen Mainstreamfilm. Braucht es den überhaupt?
Wenn es das nicht gäbe, würde mir persönlich nichts fehlen. Die Narration des Kinos ist durch heterosexuelles Begehren geprägt. Mit einem queeren Ansatz müsste man anders erzählen. Das Queer Cinema war immer auf eigene Vertriebswege angewiesen, auf eine eigene Art der Produktion, eigene Abspielorte. Ich weiß aber, dass es eine große Sehnsucht von Leuten gibt nach Partizipation. Die wollen ihre Schnitte abhaben: den schwulen James Bond. Das Mainstream-Narrativ ist so verwurzelt, dass Leute denken, solange es keine queere Geschichte in dieser Narration gibt, solange ist man gesamtgesellschaftlich nicht akzeptiert.
Das ist wie der Minderwertigkeitskomplex der DDR, die sich gegen die BRD entworfen hat und trotzdem nach Anerkennung und Weltniveau gierte.
Peter Rehberg hat das neulich im Freitag toll beschrieben, dass diese Partizipation aus queerer Perspektive nur als Handel funktioniert: Es darf dann nicht mehr um Sexualität gehen. Wenn man einen queeren Film hat, der tatsächlich anders ist, wie Weekend von Andrew Haigh oder Keep the Lights on von Ira Sachs, in denen explizit von schwulen Lebenserfahrungen erzählt wird und in denen es Verweise auf eine queere Geschichte und Kultur gibt, dann sagen die Leute: Das ist einfach ein sehr guter Film und zufälligerweise geht es halt um zwei Männer. Das gibt es auch als Argumentation von schwul-lesbischer Seite: Wir möchten gerne universelle Geschichten erzählen, in denen die sexuelle Orientierung egal ist. Ich finde das falsch. Es braucht Filme, die eine Kultur, ein Lebensgefühl, eine Erfahrung visualisieren, anstatt sie wegzumogeln.
Wegmogeln wäre Angela Merkel. Die ist Frau und ostdeutsch, kann aber beides nicht sein zu den Bedingungen ihrer Macht.
Genau. Das eigentlich Interessante an so einer Figur wäre doch, dass sie ihre ganz spezifischen Lebenserfahrungen einbringen und kommunizieren würde.
Was wäre das Queere am queeren Film?
Seit ich mich damit beschäftige, versuche ich einzukreisen, was Queer Cinema eigentlich sein könnte. Und was das mit einer Logik von Kino zu tun hat. Da gibt es immer eine Innovationsstruktur, Impulse vom queeren Kino zurück in den Mainstream. Andererseits gibt es so viele Leute, die sich darüber freuen, wenn Javier Bardem James Bond das Knie tätschelt, und dann werden darüber sofort Magisterarbeiten geschrieben. Wie überhaupt das Lesen von queeren Codes eine elegante Art und Weise ist, sich mit queeren Aspekten von Kino zu beschäftigen.
In der Pressevorführung von „Liberace“ fand ich seltsam, dass die Leute über die Frauen im Film lachen, die in Liberace verliebt sind, weil sie nicht checken, dass er schwul ist.
Es ist eine Kulturleistung, dass man sich heute über Dinge verständigen kann, die offen sichtbar und doch nicht für jeden zugänglich waren wie ein Liberace-Konzert. Das gehört zu einer schwulen Geschichte, weil gerade diese Codes in Zeiten von Unterdrückung entwickelt wurden. Wenn man das als Schwuler sieht, denkt man nicht, die Frauen waren damals alle so blöd, sondern man freut sich und ist stolz darauf, dass jemand in der Lage ist, unterschiedliche Signale auszusenden.
Als Heterosexueller kann es einem gehen wie den Frauen: Man versteht manche Anspielung nicht.
Ja, berühmt ist die Ben Hur-Szene, in der Ben Hur seinen alten Freund Messala trifft. Da hatten sich Drehbuchautor, Regisseur und Messala-Darsteller darauf verständigt, dass das die Wiederbegegnung zweier Liebhaber ist. Alle Schwulen verstehen das, nur Charlton Heston und das heterosexuelle Publikum nicht. Das wird dann sogar zitiert in einem so schrecklichen Film wie Parada, wo die ex-jugoslawischen Bürgerkriegspartisanen sich das angucken und sagen: Wow, das ist noch echte Männlichkeit, wie die beiden sich da begrüßen.
Jan Künemund ist Redakteur von Sissy, dem „Magazin für den nicht-heterosexuellen Film“ und verantwortlich für die Pressearbeit bei der Edition Salzgeber, einem Verleih vor allem für queeres Kino und Dokumentarfilme
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