Fernsehen funktioniert ungefähr so: Jemand macht - bestenfalls - etwas Originelles oder - normalerweise - zumindest etwas Erfolgreiches, und ein paar Redaktionssitzungen später machen alle das Erfolgreiche nach, was dann aber auf keinen Fall mehr originell ist. Originell und erfolgreich war vor ein paar Jahren der Kinofilm Good bye, Lenin, was das Fernsehen als Auftrag missverstand, in so genannten Ostalgie-Shows Axel Schulz und Kati Witt Alltagsprodukte eines untergegangenen Lebens unter die Nase zu halten, verbunden mit der Hoffnung, dadurch Erinnerungsschübe auszulösen, die irgendetwas über dieses untergegangene Leben erzählen könnten. Diese Hoffnung erfüllte sich naturgemäß nicht.
Erfolgreich war vor einem Jahr der Kinofilm Das Leben der Anderen, der die DDR melodramatisch auffasste (Stasi) und damit zum Teil für die Renaissance von Filmen verantwortlich ist, die nun im Fernsehen die DDR melodramatisch auffassen (Stasi, Republikflucht, Zwangsadoption). Um es kurz zu machen: Nach Ansicht dieser Filme kann man die DDR nicht mehr sehen.
Damit ist nicht allein der Überdruss an Stasi-Mitarbeitern, Grenzwäldern und großen Fernsehfilmgefühlen beschrieben, sondern auch der Umstand, dass in diesen Produktionen die DDR nicht wiederzuerkennen ist. Das liegt an der Ausstattung, auf die Das Leben der Anderen noch größten Wert gelegt hatte, die im Fernsehen aber - aus Kostengründen oder Pragmatismus - mit weit weniger Liebe zum Detail betrieben wird. Die blank geputzten Trabis, Wartburgs und Ladas konnten aus dem Museum offenbar nur entliehen werden gegen die Zusicherung, sie mit keinem Körnchen Dreck zu beschmutzen. Die Aktivisten, die in den achtziger Jahren in der DDR Umweltbibliotheken gründeten, müssen sich angesichts solcher Reinheit fragen lassen, ob es Bitterfeld und Kohleheizungen je gegeben hat. Augenscheinlich kann ein Fernsehfilm von einem Schauspieler wie Christoph Bach (Prager Botschaft) nicht verlangen, sich allein für einen Fernsehfilm die Haare so zu frisieren, dass man nicht laufend an die Gegenwart der Berliner Szenebezirke denken muss, wenn man den Schopf des Darstellers sieht. Des Weiteren trifft das Zuschauerauge auf Bärte, die sich ab Mitte der neunziger Jahre aus unerfindlichen Gründen einiger Beliebtheit erfreuten (Heimweh nach drüben) und auf zackig toupierte Scheitel (An die Grenze), an denen man bislang Filme über die Nazi-Zeit identifizieren zu können glaubte. Die Anzüge, exemplarisch der des Botschaftsattachés Georg Stein (Prager Botschaft), sind so tailliert und schick geschnitten, wie es noch nicht einmal kurz vor der Milleniumswende modisch war, als Joschka Fischer dem Dreiteiler zu neuer Blüte verhalf. Absurderweise erinnert ausgerechnet in dem Film, der ausnahmslos im Heute spielt (Ich wollte nicht töten), die krustige Krawattenauswahl des ehemaligen Grenzsoldaten und heutigen Immobilienverwalters an die Zeit, als Egon Krenz noch Trends der Schlipsmode setzte. Das ist doppelt absurd, insofern das gesamte vormalige DDR-Personal in diesem Film in Wohnungen wohnt, deren Einrichtung den Geschmack eines Bürgertums ausstellen, das über Jahrhunderte sämtliche Anstrengungen auf die Pflege desselben konzentriert hat.
Es liegt deshalb die Vermutung nahe, dass es im Grunde genommen nur einen einzigen Fernsehfilm gibt, der in den Kulissen der immergleichen Geschichte wieder und wieder gedreht wird. Diese Geschichte handelt von der Liebe (am besten zwischen einer Frau und zwei Männern), weshalb es egal ist, ob um sie herum Bombenkrieg, Vertreibung oder DDR herrscht. Die Liebe ist das Placebo, das bewirkt statt aller politischen oder ökonomischen Motivationen, sich mit der Staatsmacht anzulegen. Dass das Begehren, also die Trennung der Liebenden durch die Grenze, häufig erst geschaffen werden muss, heißt beim Fernsehfilm Dramaturgie.
Das Verblüffendste an all diesen Filmen, durch die ihre Protagonisten vorzugsweise mit grimmigem Gesicht gehen (beispielhaft: Veronica Ferres als "Frau vom Checkpoint Charlie"), ist aber, wie mutig der DDR-Bürger kaum 17 Jahre nach ihrem Ende den Organen derselben entgegentritt. Jürgen Heinrichs NVA-Ausbilder macht den Eindruck, als hätte er seine Schulung in einem Westberliner Kinderladen um 1970 erhalten, der junge Volksarmist Karow (Jacob Matschenz) nimmt beim Geburtstag seines Nationalpreis dekorierten Vaters kein Blatt vor den Mund und weist später der Liebe (Bernadette Heerwagen), die ihn leider verlässt, den Weg durch den antifaschistischen Schutzwall, als wäre er da als Pförtner angestellt (An die Grenze). Die Stasi-Kader in Die Frau vom Checkpoint Charlie haben bei den Tschekisten-Seminaren offenbar so schlecht aufgepasst, dass sie nicht wissen, wie sie ein paar - nur im Film - zwangsadoptierten Kindern, die ihre Mutter im West-Fernsehen gesehen haben, die Flötentöne der führenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse beibringen sollen.
Wer das so sieht, kann ins Grübeln geraten, warum die DDR erst 1989 beziehungsweise überhaupt zusammen brechen musste. Es war doch alles nicht so schlecht.
Zu sehen waren Ich wollte nicht töten (10. September, ZDF), Prager Botschaft (23. September, RTL), Die Frau vom Checkpoint Charlie (30. September, 1. Oktober, ARD) und Heimweh nach drüben (3. Oktober, ARD). An die Grenze, bislang nur auf Arte, wird am 29. Oktober noch einmal im ZDF ausgestrahlt.
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