Ex-Mann

Tatort Es gibt nur ein'n Rudi Völler, aber viele Kölner Tatort-Folgen: Andreas Kleinerts Afghanistan-Heimkehrer-Trauma-Film "Fette Hunde" entdeckt Ort und Figuren dennoch neu

Der große Rudi Völler hat der Süddeutschen Zeitung vom Freitag ein Interview gegeben (hier nur ein Teaser) , in dem er viel Energie darauf verwendete zu erklären, warum das Image, das ihm seit seinem Waldi-Weizenbier-Wutausbruch falsch ist. Und auch wenn man ihm unbedingt glauben möchte, dass er ein "total harmoniesüchtiger" Mensch ist, so hat das Gespräch doch eine schöne Pointe, weil Rudi am Ende wieder einen raushaut, der im ersten Moment nicht in Richtung Harmoniesucht geht: "Das war aber auch wirklich ein schlimmes Wochenende. Erst diese total unnötige Niederlage, dann muss ich am Sonntag im Doppelpass diese Niederlage vernünftig erklären– und dann dieser Tatort am Abend! Ich bin ja ein leidenschaftlicher Tatort-Gucker und hab’ mich auf die Ablenkung nach diesem Wochenende gefreut. Ich gucke in die Programmzeitung und sehe: Schweizer Tatort. Komm, dachte ich, gibst du den Schweizern mal eine Chance. Und dann setze ich mich vor den Fernseher und sehe, das können Sie ruhig so schreiben, den beschissensten Tatort aller Zeiten. Was für ein traumhaftes Wochenende!"

Der Boulevard hat natürlich nichts Besseres zu tun, als mit seiner Reiz-Rhetorik ("lästern", "nachtreten") darauf zu hoffen, dass irgendjemand nach der Kavallerie ruft. Dabei hat Rudi Völler naturgemäß recht, und er hat vor allem verstanden, wozu der Tatort da ist: um einem harmoniesüchtigen Menschen mit einer hübschen Kriminalgeschichte einen Wochenausklang zwischen Beruhigung und Anspruch zu verschaffen. Und folglich sind die Emotionen, die Rudi Völler, dieser Thomas Bernhard der Sportseiten, am allergemessensten und haben weder mit "lästern" noch "nachtreten" zu tun: Das Leiden am Tatort ist die Arbeit seines Liebhabers.

Falsch liegt Rudi Völler nur mit dem "beschissensten Tatort aller Zeiten" – das war bekanntlich die Lena-Ödenthal-PR-Nummer zur Fußball-WM der Ladies, und es muss aus heutiger Perspektive als Radikalstringenz dieses Schicksals erscheinen, dass wir seinerzeit gezwungen waren, uns auf Rudi Völler abzustützen, um das Elend zu ertragen.

Deutlicher Sieg

Langer Vorrede kurzer Sinn: Diese Woche alles super, vor allem für Rudi Völler. Adrian Leverkusen, wie der dem Fußball nicht abgeneigte Thomas-Mann-Aficionado zu scherzen pflegt, hat 2:0 gewonnen, und der Tatort Fette Hunde aus Köln ist (anders als der bemitleidenswerte FC) ein erstes Highlight der Saison. Wird am Ende nicht für Meisterschaft oder Champions League reichen, aber man ist doch verdutzt, dass in Köln, mit Köln so was noch geht – so ein präzise inszenierter (Regie: Andreas Kleinert) und schön fotografierter (Kamera: Johann Feindt) Film.

Weil beim Tatort die Regisseure und Drehbuchautoren wechseln, das Stammdarstellerpersonal aber nicht, läge der eigentliche Reiz von Tatort-Langzeitbeobachtungen darin, die kleinen Unterschiede zu finden. Hier kommen einem die Fernsehnasen Dietmar Bär (Fab Five Freddy) und Klaus J. Behrendt (Borderlining Ballauf) jedenfalls wieder als Figuren entgegen, zu denen man im Kino "Sie" sagen könnte. Wie Freddy bei der Empfangsfeier für den traumatösen Heimkehrergatten von Ex-Kollegin Lissy Brandt (Anna Loos) dänct, ist eine Schau. Das muss man sich erstens erstmal trauen, und zweitens so hinkriegen, dass es nicht gewollt, sondern true, organic, adäquat wirkt. Gilt auch fürs Bierkastenhinwerfen und –aufwischen von Ballauf. In Fette Hunde ist's ein wenig so, als würde Kleinerts Verfilmung von André Georgis Buch die Konturen der Figuren nachzeichnen, die übers viele Reproduzieren (Fette Hunde ist, je nach Zählweise bei der Doppelfolge mit Lipsia, der 54. bzw. 55. Kölner Auftritt) verwischt sind.

Feindts Kamera erhöht den Bewegungsspielraum für die Akteure über das im Fernsehen standardisierte Maß (wenngleich es für den Subplot der flüchtenden Bodypackers from Afghanistan vielleicht auch andere Environments als den kanonischen Nachtwaldregen hätte geben können). Die Stadt Köln leuchtet aber sehr schön, und ihre Unorte (dieser Tunnel mit der Tür im Mauerwerk! – Location Scout: Frank Meter) werden gebührend gewürdigt.

Fette Hunde hat ein Gespür für das Off der Geschichte, für die Distanz, wenn Fanzis Haarlocke auch mal rötlich schimmern darf durch die Glasscheibe, und für den Raum – dass dieser hochsuspekte Stiftungs-Rüther (großer Auftritt: Max Hopp) erstmal durch das lange Rattern seiner Druckereibude vorgestellt wird und nicht mit Innen/Büro/am Tisch, muss all jene Zuschauerherzen erobern, die nicht nur fallrelevante Informationen aufgesagt bekommen wollen, sondern something like Atmo. Also: diese Omas da am Beginn, die nur Garnitur sind. Oder die Zeugin, die redselig ist, aber nichts zu sagen hat. Und der Doc (Jo Bausch) darf zwischendurch mal rauchen.

Verwandschaftsfalltechnologie

Eigentlich könnte man hier weiter lobend die Gewerke durchgehen: Fab Five Freddy diesen grauen V-Pullover zu schwarzem Hemd anzuziehen (Kostümbild: Elisabeth Kraus) ist ein ebensolcher Hingucker wie die dezente Unaufgeräumtheit in Ballaufs Bude, die den Wäscheständer am Rande der Wohnküchenzeile nicht verschweigt, ohne ihn denunziatorisch ins Bild zu rücken (Ausstattung: Dagmar Wiggenhauser). Schnitt (Gisela Zick) und Musik (Daniel Dickmeis) haben ihre Momente, der Schnitt die stärkeren, wenn wir uns entscheiden müssten.

Der Atem geht unserer Begeisterung allein im letzten Drittel aus, also bei dieser Geschichte im Janzen, die den Ball etwas engführt. Ex-Kollegin Lissy (die Franzi before Franzi aka before Anna Loosens Popularität) ist zweifellos eine bessere Verwandschaftsfalltechnologie als irgendein erfundener Schulfreund, von dem in 54. aka 53. Folgen zuvor noch nie jemand gesprochen hat. Aber es bleibt so viel in der Familie, wie diese Drogenlogistik zum Glück nur andeuten will – von den Nebengeschäften der Freunde Papas über die Bodypackerausweider direkt zum Sohnemann, der vorher noch die Sprüche kloppt. Dieser Sohnemann (Theo Trebs) ist womöglich überflüssig, er verbraucht sein ganzes Potential am Anfang mit dem schönpubertären Spruch von den "Ballerärschen", um danach seiner Mutter und dem Zuschauer unnötige Sorgen zu machen, die in dieser ratlosen Grabschaufelszene resultieren.

Fette Hunde bietet durchaus eine gewisse Komplexität im Blick auf den Afghanistan-Einsatz auf (deutlich mehr als seinerzeit Sarrebruck), aber irgendwie werden die Karten von Bodypacker-Dilemma, Rüther-Engagement, Papa-und-seine-Kumpels-Trauma (Roeland Wiesnekker feat. der große Godehard Giese und Wanja Mues) nur auf den Tisch gelegt und nicht gemischt. Aus dem Abschiebe-Hustle von Amina Rahimi (Maryam Zaree) allein hätte man einen Roman machen können, statt ihn im vorletzten Bild halb pflichtschuldig, nämlich wie angekündigt zu vollstrecken.

Kein Frosch mehr

Die unangenehme Geschlossenheit der Anlage zeigt sich nicht zuletzt an dieser merkwürdigen Romanze von Franzi (Tessa Mittelstaedt), die sich beim Warten auf dem abgedunkelten Revier mit Klages (Giese) anflirten darf nach vorausgegangenem Misserfolg auf dem Gebiet des Amourösen. Es wirkt leider etwas arg umweltbewusst, den rausgeschraubten Verdächtigen in die Fassung des Lovers drehen zu wollen. Hope not, denn da kann unmöglich Segen draufliegen, wenn dieses geschichtlose Drehbuch Fab Five Freddy den Rat in den Mund legt, Franzi solle es doch mal mit "den Fröschen" probieren (und nicht auf den Prinzen warten). Denn wer erinnert sich nicht, dass der letzte Schwangerschafts-Abtreibungs-Verdruss von Franzi eben einem "Frosch" im Karneval zu verdanken war!

Man kann nicht alles haben. Wer weiß das besser als Rudi Völler.

Hundenamen, die man sich merken sollte: Magic, Aileenchen

Ein Satz, auf den man gern mit Ja antworten würde: "Ach, komm schon, Junge, hast doch auch mal Feierabend, oder?"

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